„Boiler Room ist wie Kim Kardashian auf Instagram“Ein Gespräch mit François X über Techno in Frankreich und das globale Business
4.5.2018 • Sounds – Interview: Benedikt BentlerSucht man auf dem internationalen DJ-Parkett nach Gesichtern aus Frankreich, erblickt man vor allem alte Helden: DJ Deep, Laurent Garnier und Terrence Fixmer zum Beispiel. Vertreter der jüngeren Generation sind rar, derzeit dominiert vor allem ein Name: François X. Letztes Jahr hat er sein Debütalbum „Irregular Passion“ beim eigenen Label DEMENT3D veröffentlicht, auf dem er sich noch ein Stück düsterer gibt als in seinen DJ Sets. An diesem Wochenende bespielt er bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr das Berghain. Wir trafen den Parisien bereits vor einigen Wochen und haben mit ihm über Techno aus Paris und die Kommerzialisierung und Globalisierung des Techno-Business gesprochen. Vom allgemeinen Gejammer über Ausverkauf und den Verlust der Subkultur hält er absolut nichts.
Wie geht's der Szene in Paris?
Kommt darauf an, was man unter Szene versteht. Geht's um die Anzahl von Partys oder um eine Szene, in der Raum für Kreativität ist und in der etwas geschaffen wird? Geht es um Partys – da gibt es eine Menge, vor allem außerhalb der Club-Szene. Denn es gibt gar nicht so viele Clubs, Concrete und Rex Club sind die einzig wirklich bekannten. Es gibt zwar einige weitere, aber die sind kleiner. Wobei ich damit nicht wirklich die Größe meine, sondern eher die Strahlkraft und Wirkung innerhalb der Szene. Es läuft viel über Netzwerke und Communities, was einerseits toll ist. Andererseits gibt es nur so wenige Produzenten, nur so wenige DJs die auch international bekannt sind. Ganz ehrlich, das einzige, was wir je an eigener elektronischer Musik hatten, war French Touch. Ich bin nicht unbedingt Fan davon, aber da ist viel passiert und die Künstler kennt man auch international. Aber wenn es um Techno und House geht? Eher nicht.
Warum ist das so, Paris ist doch riesig?
Geht es um Musik, sind Franzosen nicht sonderlich gut erzogen oder gebildet. Wir hatten eine starke HipHop-Szene in den Neunzigern – oder haben sie immer noch.
Soweit ich weiß, die größte nach den USA.
„Letztendlich veröffentlichen wir Musik, um am Wochenende spielen zu können. Aber das ist bescheuert.“
Genau. Und wenn du nur auf die französische Musik schaust, kannst du fühlen, dass die alten Gewinner immer noch im Pariser Netzwerk unterwegs sind, immer noch die gleichen sind, die alles am Leben halten. Die französische Szene ist außerdem ziemlich posh und das Publikum nimmt, was es von der Musikindustrie bekommt. Geht es um Mode, sieht das natürlich wieder anders aus. Aber wir sprechen ja von Musik. Als Berlin explodiert ist, ab Mitte der Nullerjahre, als Minimal groß wurde, Panorama Bar, Berghain und so weiter, haben sich Menschen in Paris das gleiche für ihre Stadt gewünscht. Aber Paris ist Paris und Berlin ist Berlin. Paris ist dahingehend immer hinterher. Die Popmusik ist eher cheesy, dafür gemacht, Leuten zu gefallen. Es gibt viele kleine Bands und Acts, wie Salut C'est Cool. Das ist so ein typischer, französischer Act, eher ein Witz, aber einer der Geld verdient. Da wird dann diese „I don't give a shit“-Haltung bis ins Extreme geführt. Ich glaube, in UK würde das nicht funktionieren, weil Leute Musik ernster nehmen. Kennst du Jaque?
Ja, dieser Typ mit der komischen Mönch-Frisur.
Seine Musik ist nicht mein Ding, aber schon irgendwie cool. In Paris finden die ihn allerdings zunächst mal wegen genau dieser Frisur cool. Und weil er Musik macht, indem er auf Teller klopft oder sowas. Deshalb hat und hatte Paris nie eine richtige Szene.
Aber Rinse hat doch einen eigenen Sender in Frankreich, der nicht gerade klein ist, oder nicht?
Ja, stimmt schon. Aber – jetzt mache ich aus Freunden womöglich noch Feinde (lacht) – es ist vor allem Hype. Ich lasse mal meinen eigenen Standpunkt außen vor und betrachte mal die Fakten. Es gibt also viele Leute, Künstler und Produzenten, die ihre eigene Show haben. Und auf den großen Festivals außerhalb von Paris, sind auch nur französische Künstler. Aber dann schaust du international und da ist totale Ebbe. Und das bedeutet irgendwo auch, dass da niemand ist, der das Ganze voranbringen will. Wenn man außerhalb des eigenen Landes spielen will, dann muss man hart dafür arbeiten – du musst es wollen. Aber man bleibt lieber in seiner Basis und ist happy damit. Vielleicht ist es das.
Was ist die Geschichte, die Techno mir 2018 noch erzählen kann?
Oh, da gibt es viele Dinge. Ohne jetzt negativ oder positiv urteilen zu wollen, kann man – global gesehen – sagen, dass Techno Popmusik ist. Jeder hört es. Und ich spreche nicht von David Guetta oder so. Viele Leute möchten die Erfahrung von Techno machen.
Was mancher als Verlust bezeichnet.
Die Kontroverse darum ist groß, aber letztlich ist es auch Belohnung. Ich habe ja Ende letzten Jahres ein Album rausgebracht und dabei festgestellt: Durch die steigende Professionalisierung betreten wir langsam aber sicher die Welt der großen Musikindustrie, in der Pop oder jetzt gerade auch Trap stattfinden – die Welt der großen Acts. Und die Menschen in der Szene werden auf einmal ein bisschen neurotisch. Sie haben das Gefühl sich entscheiden zu müssen, für Social Media, für Fake, für Inszenierung – um mitzukommen. Und tatsächlich: Wenn du mit deiner Musik wirklich viele Leute erreichen willst, musst du starke Marketing-Kampagnen fahren, die digitalen Kanäle bedienen, dazu kommt harte Labelarbeit. Wir tendieren mehr und mehr in diese Richtung, die das Gegenteil von Subkultur bedeutet, dabei haben wir doch eigentlich immer den Underground für uns proklamiert. Aber Rockmusik, HipHop, all das war einst Sub- oder Kontrakultur und wurde schließlich zur Musik der Massen. Techno kämpft jetzt gerade damit.
Ich habe mir im Zuge meines Releases angeschaut, wie Drake oder Travis Scott das machen. Der Unterschied zwischen denen und uns: Letztendlich veröffentlichen wir Musik, um am Wochenende spielen zu können. Aber das ist bescheuert. Denn die Musik, die du produzierst, kann ganz anders wirken und ganz andere Leute erreichen als der DJ-Slot am Wochenende. Also hab ich mich damit beschäftigt, wie sich eine Platte verkaufen lässt, die für sich stehen kann. Aber das hat für mich überhaupt nichts damit zu tun, seine Seele zu verkaufen.
Seine Seele zu verkaufen, heißt für mich: Sich selbst und seine Kunst zu verändern und anzupassen, um den Leuten zu gefallen. Aber wenn du ehrliche Kunst schaffst und damit möglichst viele Leute erreichen möchtest, dann ist das doch völlig in Ordnung. Es macht doch keiner Musik, damit sie nur in der Garage deines Freundes gespielt wird. Man möchte viele Menschen berühren.
Ich glaube, wir müssen akzeptieren, dass Techno so groß ist, dass sich das Business professionalisiert. Zweifellos ist es doch lange schon ein echtes Geschäft. Jedes Wochenende wird unfassbar viel Geld verdient, weil Menschen aus der ganzen Welt in bestimmte Clubs strömen. Da können die Berliner sich noch so oft über die vielen Touristen beschweren. Und nicht nur mit Techhouse wird viel Geld verdient, auch mit Techno. Zu glauben, dass man Underground sei, für Subkultur stehe, und dann diese exorbitanten Stundenlöhne zu kassieren, ist doch Heuchelei. Underground heißt für mich, im Iran zu spielen und wenn du erwischt wirst, gehst du in den Knast. Für mich geht es darum, authentisch zu bleiben, ehrlich zu mir selbst zu sein, meine Musik bis ans Limit zu bringen.
Natürlich ist der Gedanke, Teil einer Subkultur zu sein, gerade für junge Leute anziehend. Für viele bedeutet der Technoclub immer noch das erste Ausbrechen aus den Regeln der Gesellschaft, den Guidelines der Eltern – Rebellion und gleichzeitig Equality. Aber auch damit muss man vorsichtig sein. Denn diese Welt steht aufgrund der Eintrittspreise nur den privilegierten Rich-Kids offen.
Hier in Berlin geht’s noch so gerade mit den Preisen.
Stimmt, aber überall anders sieht das anders aus. Es ist eben keine Szene, die auch die schwächere, soziale Schichten inkludiert. Technopartys sind vor allem weiß. Obwohl Hiphop eine Geldmaschine geworden ist, sieht das dort immer noch anders aus. Geh mal in die Pariser Vorstädte, dann weißt du was ich meine.
HipHop und Straße sind historisch schon untrennbar.
Korrekt! Aber insgesamt sehe ich das alles trotzdem positiv: Ich spiele und die Leute genießen es, ich veröffentliche Musik, die Leute hören es – das ist cool. Aber klar, wenn ich ein bisschen Politik mit meiner persönlichen Sicht machen kann, dann ist das in Ordnung, auch wenn das nicht meine Hauptaufgabe ist. Aber allein frei darüber zu sprechen ist meiner Meinung nach schon wichtig.
Ich glaube, Politik ist einer der Gründe, warum die Leute mit dem Größerwerden von Techno Probleme haben. Denn Politik war auf der Metaebene immer ein wichtiger Bestandteil. Der Club als Safe-space, Detroit Techno, die Gay-Szene in New York, selbst hinter dem Berliner Hedonismus stand eine bewusste Aussage. Und je größer die Dimensionen, desto mehr leiden ursprüngliche Ideale. Boiler Room ist auch so ein Thema.
Absolut, du hast Recht. Aber vielleicht sind das auch Ansprüche einer älteren Generation und junge Leute sehen das anders. Aber ja, ich kann das verstehen. Boiler Room ist letztlich das gleiche wie Kim Kardashian auf Instagram. Das ist die Welt in der wir leben.
Dafür hat BR auch die großen DJs in die Dörfer gebracht, was für jemanden wie mich, der vom Dorf kommt, keine schlechte Sache ist.
Du siehst: Es ist verdammt schwierig (lacht).