AtomTM, Interface Palm, MoonWochenend-Walkman – 13. Mai 2022

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Jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: AtomTM, Interface Palm und Moon.

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AtomTM – Neuer Mensch

Thaddi: Frage: Ist „Neuer Mensch“ Uwe Schmidts Antwort auf den halben Menschen der Neubauten? Wenn ja? Wie hat sich die elektronische Musik in den vergangenen 37 Jahren verändert und entwickelt? Liegen die Referenzen offenkundig in den Frequenzen oder geht es vielmehr um den Fortschritt der Stahlkoch-Ästhetik inmitten des weltweiten Chaos? Die Referenzen liegen mehr oder weniger gut versteckt auf dem Tisch. Schmidt folgt auf seinem neuen Album seiner eigenen Radikalisierung, die der mit seinen letzten Releases zunehmend befeuert hatte. Trocken und kompromisslos feiert er das, was Lou Reed mit dem Begriff der „Metal Machine Music“ in die Welt gesetzt hatte, sonisch aber nie umsetzte. Das wäre für 1975 vielleicht auch zu viel verlangt gewesen, hatte andererseits aber auch mit dem begrenzten Horizont des Musikers zu tun. In Europa – und nicht nur dort – waren einige schon weiter. Schmidt war damals sieben Jahre alt und hatte vielleicht schon mehr verstanden. Zum Beispiel, dass der Rock'n'Roll keine Lösung für die Zukunft war. Also zurück zum eigenen Schaffen, zu den Referenzen, die er selber geschaffen hat. Beeindruckend, wie sich der Musiker in „Sprechender Raum“ selbst sampelt und referenziert. Das Echo seines „LB“-Albums hallt an genau den richtigen Stellen laut und klar. „Neuer Mensch“ ist trocken, auf den Punkt und erschütternd humorlos. Endloses Zuhören der Maschinen. Und die Dringlichkeit und Tightness der HiHats sind so überwältigend und industriell, dass sie selbst Henry Ford davon hätten überzeugen können, in einer Selbsthilfegruppe für Antisemiten seine widerwärtige Haltung auf den Boden einer umfunktionierten Sakristei in Detroit zu kotzen. Hätte es diese Gruppen nur gegeben. Und Schmidt? Reitet im Flow der metallisch-bestimmten und technoid-amüsierten Sounds weiter um die Wette mit sich selbst. Die Deepness liegt hinter dem x-ten Clonk.

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Interface Palm – Curated Space

Jan-Peter: Zum Glück schneite gestern noch diese Album-Ankündigung in meinem Account rein und zum Glück habe ich die Mail nicht einfach gelöscht wie so oft (Releasedates in drei Monaten, oder ein einziger Track zum Sneaken, was soll man damit?). Ich war auch schon kurz davor, das neue Röyksopp-Album zu besprechen, das ich nach dem ersten Hören eher schrecklich finde. Glück gehabt. Also umgebucht von Norwegen nach Australien: Dort lebt und arbeitet Jordan Hankins, er kommt aus Brisbane, wohnt jetzt in Melbourne, einer absoluten Sehnsuchtsstadt von mir (irgendwann!). Nach einiger Zeit des DJings und Produzierens hat er jetzt mit „Curated Space“ seine erste eigene Mini-LP rausgebracht. Sechs funkig-jazzige Tracks, die aber recht geradlinig housegeführt werden, was dem Ganzen eine schöne Klarheit gibt, trotz des Verspielten oben drüber. Als würde man alte Moon-Harbour- mit alten Unique-Records-Platten mixen, so ungefähr. Hat Potential, der Mann. Seine Frisur ist auch gut. G'day!

Iron Curtis und Johannes Albert Moon III

Iron Curtis & Johannes Albert – Moon III

Ji-Hun: Seit elf Jahren gibt es nun das gemeinsame Projekt Moon von Iron Curtis und Johannes Albert. Hier haben sich von Tag 1 an zwei gefunden, sagt man ja so schön. Und ja, auch beim mittlerweile dritten Album merkt man, wie gut die beiden Producer und DJs harmonieren und ihre Sound-Idee konsequent ausbauen und weiter entwickeln. Der dritte Teil der Moon-Reihe ist kosmischer, poppiger und eindeutiger als die Alben zuvor. Das merkt man auch an der Single „Something Unique“ mit Zoot Woman, die ein großer Hit ist und auch im Radio wunderbar funktioniert. Da mögen Hardliner vielleicht die Nase rümpfen, weil House mit Vocals ja gerne als Nestbeschmutzung betrachtet wird. Aber wen kümmert’s? Exakt. Hier gibt es große Gesten, slammende Disco-Beats, wogende French-House-Becken und viel Positivität, ohne dabei käsig zu werden. Die Produktion ist ausgereift klar und satt. Wer für diesen Sommer sein persönliches Lieblingstanzalbum sucht, dürfte hier fündig werden. Hier wird nichts falsch gemacht. Ein Album, das geschundene und verkümmerte Club-Seelen wieder glücklich macht.

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Frequenzfilter 14. Mai 2022 – andere Medien, andere ThemenVinyl im Weißen Haus, Kinderpornografie, Kliemann/Shitstorms