Artist Unknown, Conway the Machine & Sabrina BellaouelWochenend-Walkman – 09. Oktober 2020

WWalkman-09102020-lede-gif

Ab sofort schon jeden Freitag haben wir drei Platten für euch – zumeist drei Tipps, mindestens aber drei Meinungen. Nicht immer neu, doch immer die Erwähnung wert. Heute mit: Artist Unknown, Conway the Machine und Sabrina Bellaouel.

WWalkman-Artist Unknown

Artist Unknown – Grau 1 (Concrete Versions)

Thaddi: Ich war mal Dub-Techno-Fanatiker. Angefixt durch die üblichen Berliner Verdächtigen, ging ich mehrere Jahre im Sog des Echos verloren. Egal wie plagiativ die Entwürfe auch waren, ich atmete alles ein, was nach dem Zeug roch, das ich nicht nahm. Entsprechend voll ist meine vernachlässigte Promo-Inbox noch heute mit solchen Releases. Techno ist ja eh schon lange eine museale Angelegenheit – in der Dub-Variante wurde aber schon vor vielen Jahren das Machbare gesagt. Diese Platte erscheint bei Freund der Familie. Wer mich kennt, weiß, dass ich natürlich befangen bin. Da sich seit rund sieben Monaten aber ohnehin jeder Tag wie Sonntag anfühlt, muss ich mir darüber nun wirklich keine Gedanken machen. Und kann mich stattdessen mit meinen Roots (ha!) auseinandersetzen. Dabei kommt mir diese EP gerade recht. Wer immer diese Tracks auch gemacht hat (man hüllt sich in Schweigen – sehr oldschool), weiß auch 3.000 Jahre nach Burial Mix und Rhythm & Sound sehr genau, worauf es ankommt. Rauschen, Rumpeln, zischelnde HiHats und die Chords und Dubs aus einer anderen Welt. Was mich am Dub-Techno aus heutiger Perspektive damals immer am meisten faszinierte: Die Entschleunigung in der gleichzeitig ganz konkreten Auseinandersetzung mit der Realität. Diese Musik zu hören, ist wie auf dem Dancefloor zur Peak-Time eine große Sonnenbrille zu tragen und sich die Ohren so zugekleistert zu haben, dass kaum etwas noch in Echtzeit ankommt im Gehirn. Watte schafft Distanz. Und die brauchen wir heutzutage mehr denn je. Leider. Killer-Stuff! Und natürlich null Techno. Sondern einfach smoothe Vergangenheitsbewältigung.

Conway the Machine – From King To A GOD cover

Conway the Machine – From King To A GOD

Ji-Hun: Von Griselda Records aus Buffalo erzählte mir im vergangenen Jahr Matze Reiling auf dem Kottbusser Damm. Irgendwie sind wir von Horror-Core darauf gekommen und als ich daheim recherchierte, stellte ich fest, dass Benny the Butcher, Conway the Machine und Westside Gunn alles andere sind als Pennywise-artige Rap-Agressoren, sondern viel mehr Gralshüter des guten alten Boombap. Gerade die Arbeiten mit DJ Premier beeindruckten mich sehr und auch für Primo dürfte das ein Glücksgriff gewesen sein. Wie oft soll er noch von glorreichen alten Zeiten berichten? Nun hat Conway sein Album „From King To A GOD“ veröffentlicht. Der erste Langspieler, der auf eine breitere Zielgruppe schielt und dennoch dem eingeschlagenen Weg treu bleibt. Mit Beats von Alchemist, Havoc, DJ Premier und Murda Beatz stehen die Referenzen und Koordinaten äußerst stabil. Das ist hier keine Revolution und genau das ist gut so. Aber ein herzerwärmendes East-Coast-Revival ist das zweifelsohne.

sabrina bellalouel cover walkman

Sabrina Bellaouel – We Don’t Need to Be Enemies

Benedikt: Kann House oder Techno eigentlich noch Punk bedeuten? Nicht im Sinne schmutziger Lofi-Produktion, sondern in Bezug auf Haltung: Unzufriedenheit, Wut, Widerstand – und gleichzeitig Befreiung. Vielleicht ja, wenn man diese Merkmale weniger absolut betrachtet. Die in Algerien geborene Französin Sabrina Bellaouel hat bislang nämlich vor allem Musik mit viel Soul produziert, der man ohne jeden Zweifel am ehesten unter der Bezeichnung R'n'B verbuchen würde. Das vor gut einem Monat beim redaktionellen Label-Liebling Infiné erschiene „We Don't Need to Be Enemies“ bricht völlig mit dieser Zuschreibung. Der friedvolle Titel kann täuschen. Im Opener „Nasser“ sampelt die Künstlerin eine Rede des 1954-1970 regierenden, ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Darin sagt er sich von jeglicher wirtschaftlichen Hilfe und damit einhergehenden Abhängigkeit von den USA los (Youtube-Link). An eine Interpretation traue ich mich nicht heran, aber ebenjene eingangs erwähnte Haltung ist unmissverständlich, nur die sanfte Deep-House-Produktion vermag darüber hinwegzutäuschen. Der Titeltrack zieht das Werk dann noch mehr in Richtung in Richtung Techno, in Richtung eines Nachtlebens, das nicht nur Vergnügen, sondern auch Rebellion bedeutet. Vielleicht deute ich auch viel zu viel in diese kleine, wunderbare EP hinein. Vielleicht liegt es daran, dass heute morgen das queer-feministische Hausprojekt in der Liebigstr. 34 in Berlin-Friedrichshain unter dem Schutz von gut 1500 Polizisten geräumt wurde. Und das eigene Aufbegehren gerade keinerlei unpolitische Perspektive zulässt. Ich hoffe Sabrina Bellaouel hat Gefallen an diesen Patters gefunden und wir dürfen uns auf mehr Vierviertel von ihr freuen.

Warming Up, Winding DownMarta Forsberg, Mary Lattimore, Actress – 3 Platten, 3 Meinungen

Rechtes Instagram, Donald Trump, Eddie Van Halen und BehaviourLeseliste – 10. Oktober 2020