„Alte Instrumente musst du benutzen, sonst kannst du sie auch gleich anzünden“Klang-Wizard Martyn Heyne im Porträt
1.6.2016 • Sounds – Text: Jan-Peter Wulf, Fotos: Thaddeus HerrmannAls Produzent und Engineer hat Martyn Heyne schon viel Musik zu gutem Klang verholfen. In seinem Berliner Studio hat er eine beeindruckende Sammlung teils antiquarischer Technik miteinander verkabelt. Diesen Signalfluss lässt er nur allein, wenn er mit Efterklang auf Tour ist, solo oder mit anderen Projekten die Welt bereist. Bei so viel Engagement für die Kreativität anderer kommt die eigene Musik oft zu kurz. Nun hat Heyne eine neue Platte fertig. Die er erstmals unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Und umsonst zum Download anbietet. Geld verdienen kann man mit Platten ja sowieso nicht mehr. Eher schon mit Sessions mit Bands wie The National, die in seinem Neuköllner Studio auch schon aufgenommen haben. Ein Studiobesuch.
Ein Berliner Zimmer ist nicht einfach nur ein Zimmer in Berlin. Es ist eine bauliche Besonderheit der Berliner Stadthäuser, die im 19. Jahrhundert errichtet wurden: ein relativ großer Raum, der trotzdem sehr dunkel ist, weil mit nur einem Fenster in der Ecke bestückt. Das Zimmer verbindet das Vorderhaus mit dem Seitenflügel, da ist eben kein Platz für mehr Fenster. Dunkel ist das Berliner Zimmer nicht nur in den unteren Stockwerken, wie man auf Wikipedia lesen kann, sondern auch, glaubt es mir, ganz oben. Hier, bei Martyn Heyne im dritten Stock, ist es auch nicht gerade, haha, lichte – der Name seines „Lichte Studio“ leitet sich ja auch von der Lichtenrader Straße ab, in der wir uns befinden. Die liegt im Neuköllner Schillerkiez, aktuell der place to be, doch als Heyne vor sieben Jahren aus Amsterdam herzog, wollte hier keiner wohnen. Heyne schon: „Ich habe den Raum gesehen und gedacht – das ist genau das, was ich suche.“ Für ein Studio ist diese städtebauliche Notlösung (die Berliner sollen sie von Anfang an gehasst haben, liest man) in der Tat gut. Denn das einzige Fenster ist auch noch quasi-schalldicht. Doppelglas, umrahmt von Aluminium. Das Draußen sieht man, hört es aber nicht, obwohl der Innenhof – wir testen es später mit Klatschen – ein Schall-Monster ist. „Hier gingen früher die Flieger runter“, erklärt Heyne. Direkt, und zwar wirklich direkt hinter dem Häuserblock, befindet sich die Start- und Landebahn des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof, auf dem Dach des Hauses sind noch Positionslampen zu sehen. Ob die Fenster damals was haben reißen können?
Vorne Wohnung, hinten Studio, und da sitzen wir jetzt. Das „Lichte Studio“ ist keins, in dem Rockbands Schlagzeugsoli einspielen, sondern eines für die leisen Sachen. The National haben hier mit einem von Heynes Klavieren, einem Yamaha aus den 1920er-Jahren, das gerade einen Ausflug für Aufnahmen beim Radio macht, Sachen eingespielt. Peter Broderick, Efterklang und das Schauspiel Leipzig haben in dem Berliner Zimmer aufgenommen, um nur einige zu nennen. In Kürze erscheint „Spells“ von Ben Boysen. „Irgendwo spiele ich auf dem Album gestrichene Gitarre“, erklärt Heyne. Auch Masayoshi Fujitas Album „Apologues“ hat er produziert. Nils Frahm kennt er schon seit der Schulzeit aus Hamburg, eine Zeitlang waren sie WG-Mitbewohner, auf Frahms Konzerten hat Heyne, der am Niederländischen Konservatorium in Amsterdam zum Akustik-Gitarristen ausgebildet wurde, oft gespielt. Auch als Solo-Künstler tritt er auf. „Shows spielen ist eine der größten Freuden für mich. Es ist ein toller Nebeneffekt davon, dass man kein Geld mehr mit Platten verdient. Man kann Leute spielen sehen und man kann selber spielen“, sagt er lachend.
Neben der E-Gitarre kommt live auch allerlei Effektgerät zum Einsatz. Viel Hall, viel Echo, viel Soundscape: Ein Heyne-Konzert ist eine sehr deepe, atmosphärische Angelegenheit. Derlei „Enhancement“ brauche es auch, findet Heyne, weil die Gitarre kein großes Instrument ist: „Du kannst nur mit einer Gitarre in einer kleinen Kirche mit 30 Leuten eine Wahnsinnsstimmung aufbauen, aber in einem Club oder einer mit Bar mit fitzeliger Anlage ist das Instrument dann nicht geil für die Leute. Das finde ich auch nicht geil.“ Was nicht bedeutet, dass Heyne der Akustikgitarre live nichts abgewinnen könnte. Auf die Tour mit dem Schweizer Klarinettisten Claudio Puntin, mit dem er das Duo „Set Aglow“ bildet, nahm er seine, wertvolle, über hundert Jahre alte Gitarre mit, die hell und wahnsinnig schön klingt. Es ging unter anderem in die Türkei und den Iran. „Wenn man schon in den Iran kommt, in ein Land mit einer solchen Tradition von Saiteninstrumenten, dann wäre es schade gewesen, die zu Hause zu lassen. Solche Instrumente sind dafür da, dass die Leute sie erleben können. Natürlich können Dinge kaputt oder verloren gehen, das ist schade. Aber nicht so schade, als hätte man es erst gar nicht versucht. Wenn du sie museal in abgeschlossenen Kellern versteckst, dann kannst du sie auch gleich anzünden. Nein, die alten Instrumente musst du benutzen.“
##Erst Komposition, dann Produktion
Stichwort alte Sachen: Eigentlich hatte Heyne das Studio mit seiner Vintage-Ausstattung – Mikrofone, ausgebaute Kanalzüge und seltene, bisweilen skurrile Effektgeräte– für sich selbst aufgebaut. Musikerfreunde und -kollegen blieben jedoch nicht lange fern: „Können wir bei dir mal Vocals aufnehmen? Kannst du da Gitarre drüber spielen? Bisschen verzerren? So hat sich das organisch weiterentwickelt.“ Organisch ist gut: Der eigene „Organismus“, das persönliche künstlerische Schaffen – Musiker, die Studios betreiben oder viel für andere arbeiten, werden es kennen – musste sich deswegen oft hinten anstellen. „Ja, das ist genau das Problem mit der Sache“, lacht Heyne. „2012 hatte ich eine Platte quasi fertig. Und dann kam die Möglichkeit, mit Elfterklang auf Tour zu gehen. Da sagste dann auch nicht nein.“ Aber diese Verlockungen haben ihn freilich davon abgehalten, die eigene Platte fertig zu stellen. „Die kann ich nicht mal eben nebenbei am Wochenende machen. Da soll ja was von mir drin sein, dafür muss ich mich total begeistern können. Du bist alleine, du musst eine Idee haben, die Zeit muss man sich neben. Jetzt habe ich es endlich gemacht und das nächste Album ist sogar schon ziemlich weit.“ Das Debüt heißt „Shady & Light“ und ist schön geworden. Es ist in erster Linie ein Gitarren-Album: „Am Anfang steht immer ein E-Gitarren-Track, der das Stück bildet. Meistens sind es Improvisationen, die sich langsam in Form bringen. Stück zwei auf der Platte („Sparks“, d. Red.) habe ich schon dreimal aufgenommen. Aber es würde niemand wiedererkennen, dass das die anderen zwei Inkarnationen waren, weil praktisch nichts mehr davon übrig ist.“ Heyne arbeitet in zwei voneinander getrennte Schritten: Seine Stücke hat er, nachdem sie eingespielt waren, durch den Gerätepark geschickt. Erst Komposition, dann Produktion, erst das Stück, dann das Arrangement. „Viele arbeiten anders, nehmen Klang als Ausgangsbasis. Ich finde, dass eine collagenhafte Arbeit kompositorisch limitiert ist: So kommt selten eine Melodie oder harmonische Situation zustande, die dann schon der Inhalt ist.“
Manche von Heynes Stücken klingen, als hätte er nicht eine, sondern viele Gitarren verwendet. Es sind immer nur Delays, und besonders gerne arbeitet er mit dem „Binson Echorec 2“, ein Seventies-Effektgerät aus Italien. Das Tonsignal gelangt über die sich drehende, magnetbeschichtete Hammerschlagscheibe mit Verzögerung an den Wiedergabekopf. „Es erzeugt Echos, die gerade bleiben, anders als beim Tape-Echo, wo das Band am Ende rumwobbelt und Pitches verursacht. Man kann es als Hall nutzen, ich habe schon ganze Singer-Songwriter-Platten damit gemacht, obwohl es ein Echo ist“, so Heyne. Wie es klingt, lässt sich besonders gut auf „Brandung“ hören. Das sich ändernde Delay hat Heyne erzeugt, indem er es mit den Knöpfen am Gerät, ohne Methode, hin- und hergejagt hat. Man hört sogar den Ausschaltton des Geräts am Ende des Stücks. Noch was ist besonders an „Shady & Light“: Das Album hat Heyne komplett in Mono aufgenommen, von einem Synthesizer auf dem letzten Stück, René’s Arc, abgesehen. „Das merkt einfach keiner und statt dass es möglichst eindrucksvoll in einer High-End-Hörsituation klingt, soll es lieber in den meisten Situationen gut klingen. E-Gitarre ist sowieso komplett mono. Da wollte ich nicht ausbüchsen und das durch Stereo aufblasen.“
Zum Schluss machen wir die Fenster im Berliner Zimmer dann doch mal auf, um uns zu vergegenwärtigen: Ja, da draußen gibt es Akustik. Ziemlich sogar, der graue Hof in der Lichtenrader Straße ist nämlich ein Geräuschmonster. Martyn Heyne klatscht in die Hände, es hallt grell wie an der Treppe des Chichen Itza. „Damit kann man gute Claps aufnehmen“, erklärt Heyne. Er hat sich hier wirklich gut platziert.