Fragmente einer GroßstadtEine Kriegserklärung an den Neid
31.8.2016 • Leben & Stil – Text & Illustration: Kristina WedelErfährt man schon als Kind, wird man nie wieder los: Neid. Wie schön die Welt doch ohne wäre...
Meine erste einschneidende und wirklich hässliche Begegnung mit Inividia, der sechsten Todsünde, liegt über zwanzig Jahre zurück. Weder war ich damals getauft noch schlummert heute eine Form von Glaube an Gott oder Kirche in mir. Aber irgendwie finde ich die Bezeichnung Todsünde durchaus treffend für eine der dümmsten Sachen der Welt, den Neid.
In der ersten Klasse plagten mich vor dem Einschlafen oft chronische Bauchschmerzen, weil meine frühere beste Freundin am liebsten das Gebot aufgestellt hätte, man dürfe keine anderen Freundinnen haben neben ihr. Und wenn, dann nur wenn sie dabei war und die Kontrolle über alle und alles behielt. Ähnlich mit so manchen Dingen. Als ich eines Tages mit meinem neuen Emil (kennt ihr noch diese gute alte Trinkflasche in der Halterung zum Umhängen – innen Styropor, außen die schicksten Stoff-Designs?!!) in der Schule ankam, warf sie mir den neidischen Kinderklassiker vor: Ich hätte ihn ihr böswillig nachgekauft. Sorry not sorry. Vor lauter Missgunst schnappte sie sich unsere anderen Freundinnen und versteckte sich in den Pausen gemeinsam mit ihnen vor mir. Ich tat so, als ob ich sie garnicht vermissen würde, sondern gern allein über den Pausenhof schlendere, ich schluckte runter und machte auf cool. Abends lag mir der Kloß, den ich geschluckt hatte, wie ein Stein im Magen.
Dass sich ihre eifersüchtige und egoistische Grundhaltung aus familiären Strukturen und tiefer sitzenden, psychologisch erklärbaren Verschiebungen entwickelte, konnte mein Kinderhirn damals noch nicht reflektieren. Irgendwann, im fiesen Jugendalter, drehte ich mit ein paar Freundinnen den Spieß um und erteilte ihr mit einem blöden Spielchen eine Lektion. Dass die gemeine Aktion sie nicht heilte, sondern ihr nachhaltig schadete, das tut mir ehrlich leid.
Leider hört das mit dem Neid nicht auf, je älter wir werden – im Gegenteil.
Wo ist er denn nicht, um der Menschlichkeit, dem Mitgefühl, der Freude und dem Frieden einen Strick zu drehen? Die Bankberaterin beneidet ihre jüngere Teamkollegin um den schnellen Aufstieg. Familie Hofmann findet den neuen Vorgarten der Friedels viel zu übertrieben. Die in Polen gebliebene Danuta erträgt das gute Leben ihrer nach Deutschland ausgewanderten Schwester nicht. Das Essen am Nachbartisch sieht viel appetitlicher aus, und dann ist die Portion auch noch größer. Der Bearbeiter im Jobcenter versaut seiner Klientin die Karriere, weil er seine eigene auch versaut hat. Neuer Beststeller-Autor – ein Plagiatsvorwurf muss her! Die Flüchtlinge nehmen uns die Jobs weg. Die Liste ist endlos, und von Neidern in der Politik möchte ich an dieser Stelle nicht anfangen, sonst sitze ich morgen früh noch hier.
Wir leben zweifellos in einer Neidgesellschaft. Traurig, aber auch die logische Konsequenz unserer Demokratie. Je ähnlicher die Voraussetzungen, desto leichter entsteht Missgunst. Das ist scheinbar der Preis, den wir für die Freiheit und unsere Chancen zahlen? So menschlich diese Reaktion in uns ist, so destruktiv ist sie auch. Wieso darf keiner haben, was wir nicht haben? Wieso scheint es uns zu befriedigen, wenn wir andere scheitern sehen? Glaubte ich an Gott, würde ich denken: Er stellt uns auf die Probe. Verdienen wir Gleichberechtigung und Demokratie? Sind wir fähig, mit unseren Möglichkeiten und Gaben umzugehen? Beneidete sind doch meist nichts als Vorbilder für unsere Wünsche, Ideen und Ziele. Anstatt sie zu bekämpfen, könnten wir ihnen dankbar sein für den Ansporn, den sie uns schenken.
Was meine Schulfreundin angeht – ich hoffe, wir sind quitt.