Von ganz kleinen und ganz großen GefühlenÜber Bangladeschs aufstrebende Kunstszene
23.5.2023 • Kultur – Text: Natalie MayrothDie Metropole Dhaka ist nicht nur Heimat von über 20 Millionen Menschen, sondern auch des Kunsttreffens Dhaka Art Summit, das Kunst aus Bangladesch und der Welt zusammenbringt. Demnächst eröffnen die Macher:innen ein Kunstzentrum.
Der Bass gibt den Rhythmus vor, Wasser und helles Pulver werden zusammengeschüttet. Aus der herumspritzenden Flüssigkeit entstehen quadratische Gipsplatten. Sie sind eine Aufforderung an das Publikum. „Mach”, „Flieg”, „Tu” ist auf Bengali zu lesen. Der Bass dröhnt weiter, ein Mann klopft sich in immer schnellerem Abstand mit der Hand auf die Brust, das Pochen ist über Lautsprecher zu hören. Der Lärm der Baustelle nebenan und das Hupen der Autorikschas im dichten Verkehr von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, treten in den Hintergrund.
Plötzlich wandern die frisch getrockneten Platten aus den Händen der schwarz gekleideten Performer in die des Publikums. Eine nach der anderen findet einen neuen Besitzer. Niemand, der der Performance „Chant for Hope" der Belgierin Miet Warlop zu nahe kam, bleibt unbeteiligt. Die bangalischen Performer beziehen ihr Publikum mit ein, das anfängt, zur eklektischen Musik mitzuwippen. So begann die Eröffnung des 6. Dhaka Art Summit (DAS), der im Februar für neun Tage stattfand und an dem über 160 Künstler:innen aus dem In- und Ausland teilnahmen.
Von Ameisen und Rohingya-Künstler:innen
Bangladesch ist ein relativ kleines Land. Es ist in etwa so groß wie Nepal mit dem Unterschied, dass in Bangladesch 170 Millionen Menschen leben, in Nepal dagegen nur 30 Millionen. Entsprechend vielfältig ist die Kultur des Landes. Vor allem die Kunstszene ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen, nicht zuletzt durch den Dhaka Art Summit, der sich zu einem der wichtigsten Kunster-Events des Landes entwickelt hat.
Die alle zwei Jahre stattfindende Veranstaltung deckt ein genreübergreifendes Spektrum von Skulpturen, Malerei, Fotografie, Videoinstallationen und Performances ab – von internationalen und lokalen Größen, die das Treffen zum Leben erwecken. Doch dabei soll es nicht bleiben. Die Macher:innen hinter dem Kunst-Event, das Sammlerehepaar Nadia und Rajeeb Samdani, eröffnen demnächst ein Kunstzentrum im Nordosten Bangladeschs. Das Kunstfestival, das in der Shilpakala Nationalgalerie mitten in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka stattfand, gibt einen Vorgeschmack auf das Potenzial, das im Land schlummert. Ameisen krabbeln nicht nur auf den blauen Gummibändern, die an Gäste verteilt wurden, sondern auch auf den T-Shirts der Ehrenamtlichen und den Installationen des bangalischen Designer Mehruz Munir und der indischen Multimediakünstlerin Afrah Shafiq.
„Das Klima ist ein wichtiger Teil der Geschichte, Identität und Kultur von Bangladesch. Es ist ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient.“
Der sechste Kunstgipfel stand unter dem Motto „Bonna“, was Flut bedeutet, aber auch ein gängiger Mädchenname ist, und befasste sich mit den sozialen und ökologischen Auswirkungen des Klimawandels, von dem Bangladesch stark betroffen ist. „Das Klima ist ein wichtiger Teil der Geschichte, Identität und Kultur von Bangladesch. Es ist auch ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient“, sagt Nadia Samdani. Diese doppelte Bedeutung eröffnet Möglichkeiten, darüber nachzudenken, was das Klima für die Menschen in Bangladesch bedeute.
Dass der erste Kunstgipfel nach der Pandemie eine Frauenquote von 50 Prozent hatte, sei Zufall, sagt die Kuratorin Ruxmini Choudhury. Sie ist Teil des überwiegend weiblichen Teams hinter dem Dhaka Art Summit. „Es sind aber nicht nur Künstlerinnen beteiligt, sondern auch viele Kunsthandwerkerinnen“, so Choudhury, die bereits in Kooperation mit dem Goethe-Institut Ausstellungen konzipiert hat.
Dass seit ihrer Vertreibung aus Myanmar fast eine Million geflüchtete Rohingya in Bangladesch leben, ging auch am Dhaka Art Summit nicht spurlos vorbei: Kunsthandwerk der Minderheit – zum Beispiel handgestickte Wandteppiche – waren zu sehen. Auch das Rohingya Cultural Memory Center, das sich im berüchtigten Cox Bazar befindet, war mit einem Stand vertreten oder die NGO TransEnd, die sich für trans Personen in Bangladesch starkmacht.
Grenzüberschreitende Kooperation
Die Teilausstellung „Very Small Feelings“ wurde von Akansha Rastogi, Kuratorin im Kiran Nadar Museum of Art in Delhi, und Diana Campbell, Chefkuratorin des Dhaka Art Summits gemeinsam mit Ruxmini Choudhury, der Assistenzkuratorin der Samdani Art Foundation, zusammengestellt. Diese Kooperation stand für die zeitgenössischen Verbindungen zwischen Indien und seinem südasiatischen Nachbarn Bangladesch, die den Zugang über den prägenden Zeitraum der Kindheit gewählt hat. Im Juli 2023 wird eine erweiterte Version im KNMA in Delhi zu sehen sein.
Zu hören war ein Auszug der Graphic Novel „Jungle Nama“, des renommierten indischen Autors Amitav Ghosh samt Illustration des pakistanisch-amerikanischen Künstlers Salman Toor. Der Stoff ist eine Adaption eines bengalischen Märchens über die Waldgöttin Bon Bibi aus den Sundarban-Mangrovenwäldern, die sich im Mündungs- und Überschwemmungsgebiet großer Flüsse in Indien als auch Bangladesch befindet.
Die bangalische Künstlerin Yasmin Jahan Nupur schuf im Rahmen der Ausstellung ein temporäres Zuhause, in dem sie die Besucher:innen einlud, Teil ihrer Performance zu werden. Es ging es um den Verlust von Heimat und die Rolle der Frau. „In unserer Kultur gibt es viele Regeln und Grenzen für Frauen“, sagt sie. Die sie überwunden hat. Sie stammt aus der Nähe des Hafengebiets der Millionenstadt Chittagong im Südosten Bangladeschs. Ihr Elternhaus existiert allerdings nur noch in ihrer Erinnerung – und dieser Installation, denn es musste einem Großprojekt weichen.
Nupur ist eine der Künstlerinnen, die von Anfang an als ausstellende Künstlerin am Dhaka Art Summit teilgenommen haben. „Bevor es den Gipfel gab, war es für uns Künstlerinnen schwierig, uns zu etablieren“, erzählt sie. In Bangladesch fehle es an Galerien und damit an Ausstellungsmöglichkeiten. „Der Dhaka Art Summit bringt Menschen zusammen.“ Er sei wie eine Brücke, sagt Nupur. Eine Schnittstelle zum Publikum, zu Kurator:innen, Galerist:innen, zu Interessierten. Das sagt sie, während sie in ihrem dunklen Sari in ihrer Installation sitzt.
Kunstzentrum Srihatta: ein permanenter Veranstaltungsort
In Sylhet, im Nordosten Bangladeschs, entsteht dagegen ein neues Zuhause für die Samdani Art Foundation. Sie soll die bisher gesammelten Werke, aber auch neue Auftragsarbeiten beherbergen. Im bekannten Teedistrikt entsteht aktuell ein Kunstzentrum mit integriertem Skulpturenpark, Ausstellungen, Residenz- und Bildungsprogramm. „Es wird ein Ort sein, an dem Projekte entstehen, die auf dem Summit zu sehen sein werden“, so Diana Campbell. Srihatta soll Anfang 2024 offiziell eröffnet werden.
„Sylhet ist die Heimat von Rajeeb und mir, hier sind unsere Wurzeln“, so Nadia Samdani. Sie wollten einen permanentes „Zuhause“ für ihre Kunst. So kamen sie auf die Idee, einen Raum zu schaffen, in dem sie ihre Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen und teilen können. Sylhet, das für seine Teegärten bekannt ist, ist etwa 250 km von der Hauptstadt Dhaka entfernt. Die Backstein-Architektur, die ein wenig an das Parlament in Dhaka erinnert, wurde von Kashef Mahboob Chowdhury entworfen. Doch es trägt auch die Handschrift der Chefkuratorin Diana Campbell.
Der Weg zum Gipfel
Damit kommt das Paar Samdani ihrem Ziel näher, ihre Heimat Bangladesch einen Platz auf der Karte der internationalen Kunstwelt zu platzieren. Lange dominierten Kolleg:innen aus den Nachbarländern Indien und Pakistan den Markt. Doch parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung entwickelte sich der Kunstmarkt in Bangladesch mit Kunstschaffenden, Kurator:innen und Sammler:innen.
Noch gehört Bangladesch zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt, doch nach einer Prognose der Vereinten Nationen wird sich das bis 2026 verändern. In einigen Kategorien hat es Indien und Pakistan bereits überholt, etwa bei der durchschnittlichen Lebenserwartung oder dem geschätzten Bruttosozialprodukt pro Frau. Und an Frauen mangelte es weder unter den Künstlerinnen noch bei den Besucherinnen, die sich an der Ausstellung der überwiegend südasiatischen Kunstschaffenden – 85 Prozent inklusive Diaspora – erfreuten. Chefkuratorin Diana Campbell betont, dass einige junge Kunstschaffende, die keine eigenen Galerien haben, ermutigt wurden, auf dem Kunstgipfel ihr Potenzial auszuschöpfen. „Als Kuratoren sind wir Partner der Künstler:innen und helfen ihnen, ihre eigenen Ideen zu entwickeln und die Logistik zu organisieren“, beschreibt sie ihre Rolle.
Damit öffnete der DAS in diesem Jahr insbesondere für den eigenen, noch unterrepräsentierten Kunstmarkt die Bühne. Der Kunstgipfel lockte aber auch Kuratoren internationaler Museen und Institutionen an – zum Beispiel Simon Castets von LUMA-Arles aus Frankreich und den Direktor für internationale Programme des Museum of Modern Art (MoMA) in New York, die sich unter den 500.000 vor allem lokalen Besucher:innen befanden.