Vom armen Einzelkind zum schüchternen PopstarHörbuchkritik: „Porcelain“ von Moby

porcelain

Nach dem Erscheinen der „Ravegeschichte“ über „Next Is The E“ von Moby wurde in der Redaktion darüber gesprochen, dass man ja mal dessen Autobiographie lesen könne. Gelesen wurde sie zwar nicht im eigentlichen Sinne, aber Jan-Peter Wulf hat sich das Hörbuch angehört. Er muss merken, er hat ihm unrecht getan.

Irgendwie ist nach dem Anhören bei mir vor allem ein Gefühl hängen geblieben: Ich habe Moby etwas unrecht getan. Der ist schon in Ordnung. Wenn man sich seine Biographie anhört, was ich teils in der Moby-nuscheligen Originalversion und teils im Deutschen (Robert Stadlober hat eine angenehme Sprechstimme) getan habe, dann erschließt sich vieles, dann fügen sich Fremdbild – er macht auf Underdog trotz Weltruhm – und das Selbstbild – er ist Underdog trotz Weltruhm – zusammen. Der schmächtige Mann mit dem Keyboard, er scheint sich tatsächlich nicht so recht in der Welt wohl zu fühlen, in die er ab 1991, nach dem Hitbreaker „Go“, hinein geschubst wurde: Wenn er beschreibt, wie „Mobygo“ (man wusste anscheinend nicht, dass „Go“ sein Song war, nicht die dritte Silbe seines Künstlernamen) bei „Top Of The Pops“ neben seinen Helden New Order und einer ganzen Palette weiterer Weltstars auftritt, dann merkt man es: He doesn't belong there. Interessanterweise deswegen, weil seine Autobiographie an dieser Stelle am dünnsten ist: Moby findet kaum Worte, um das zu beschreiben, was ihm da widerfährt. Die vielen plötzlichen Trips nach Europa, die TV-Shows, die Pop-Rave-Auftritte, er arbeitet diese Phase im Buch ab, als müsse er es eben tun, als habe er es schon damals eben auch schon abarbeiten müssen. Als wären die Flüge über den Großen Teich einfach nur besonders lange L-Train-Fahrten hinaus nach Hoboken oder den Hudson River hoch – da muss man halt hin. Es ist der Job, aber schöner ist es zu Hause. So gesehen, so gelesen, ist Moby nicht, wie in der Ravegeschichte beschrieben, ein europäischer Künstler, der dummerweise auf dem falschen Kontinent wohnt. Sondern durch und durch New Yorker.

Und dieses Zuhause, das apokalyptische, gewalttätige, crackverseuchte, dreckige und zugleich existentialistisch feiernde New Jack City der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre – Moby beschreibt es so, dass es einen manchmal in den Bann zieht. Alles wirkt plastisch und präsent. Da geht es um frenetisch gefeierte Tracks, um schamanenhafte DJs, man blickt hinein in einen echten Underground – aber ohne pseudofrenetische oder retrograd aufgeladene Beschreibung. Es scheint einfach ziemlich cool gewesen zu sein, damals, dort. Eine erfrischende neue Erkenntnis, dass sich die Ravegeschichten dieser Zeit eben auch in Manhattan, Brooklyn und New Jersey abgespielt haben, nicht nur in Tresor-Berlin oder Omen-Frankfurt.

Und teilweise wird's echt witzig, zum Beispiel wenn Moby, zu dem Zeitpunkt Resident-DJ im „Mars“ und darüber hinaus unbekannt, als Warmup für Snap! auftreten soll. Die waren damals schon Weltstars, „The Power“ hatte es 1990 auf Platz 2 der US-Charts geschafft. Aus Gründen muss er aber dann die Show ganz alleine schmeißen und seine Samples auf der Bühne neu laden, weil die Geräte nicht angeschlossen sind.

Eingebettet ist diese „oral history“ in eine persönliche Familientragödie. Die damit beginnt, dass Moby draußen, am verrottenden Hafen, auf seine Mutter wartet, die in einem Waschsalon des Kaffs in Connecticut, in dem sie leben, Wäsche faltet. Damit verdiente sie das Geld für sich und ihren Sohn. Das liebevolle Verhältnis des Autors zu seiner Mutter und umgekehrt, deren Überforderung als Alleinerziehende, die lieber Hippie und Künstlerin geworden wäre, die Armut, die Krankheit, die Hoffnungslosigkeit und die geplatzten Träume – Tieftrauriges und Absurdes, Pauperismus und Popstartum finden in „Porcelain“ zueinander, wie man es aus den biographischen Texten von Heinz Strunk kennt. Es ist kein großes autobiographisches Werk. Es ist kein großer Song, sondern ein guter Track. Über weite Strecken schlicht und deskriptiv, von einigen Reflektionen und Gedanken des Philosophie-Studienabbrechers abgesehen, doch gerade das macht seinen Charme aus.

„Porcelain“ ist auf Spotify, Napster und weiteren Streamingplattformen zum Anhören verfügbar.

Leseliste 03. September 2017 – andere Medien, andere ThemenPlötzlich Gangmitglied, Männer-Gespenster, NS-Verbrechen und Bildschirmschoner

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