This Is So Contemporary! Das Filter guckt Kunst#11: Sarah Ancelle Schönfeld in der Schering Stiftung

Labor Lab/ mother's milk, Muttermilch auf belichtetem Fotonegativ Sarah Ancelle Schönfeld

Labor Lab/ mother's milk, Muttermilch auf belichtetem Fotonegativ, vergrößert als C-Print, 2024 © Sarah Ancelle Schönfeld und VG Bild-Kunst, Bonn, 2024

Die Künstlerin Sarah Ancelle Schönfeld stellte vor Jahren 1.000 Liter Urin aus dem Berghain in einer Vitrine aus. Auch in ihrer aktuellen Ausstellung geht es um menschliche Körperflüssigkeiten. Matti Hummelsiep stellt vor.

Dieses Bild könnte eine x-beliebige Vergrößerung sein. Aber wer den künstlerischen Ansatz der Berlinerin Sarah Ancelle Schönfeld kennt, weiß, dass das zu sehende Teilchen zu einer tieferen Diskussion hinführen soll. Aber was ist dieses detailreiche Etwas? Diese milchige, in sich geschlossene Form, feingliedrige Körper, die wahllos in dieser Form zu schwimmen scheinen. Auch farblich ein absoluter Hingucker. Es ist das winzige Teilchen eines vom weiblichen Körper reproduzierten Stoffes, der wohl wie kein zweites für das natürliche Wachstum der einzigartigen Spezies Mensch steht: Muttermilch.

In der experimentellen Fotoarbeit Labor Lab hat Schönfeld belichtete Fotonegative mit verschiedenen Flüssigkeiten beträufelt: darunter gelöste Hormone wie Östrogen, Oxytocin und Testosteron, hormonbasierte Medikamente wie die Verhütungspille oder die Antibabypille, so auch Muttermilch. Ein ästhetisch faszinierender Blick, sozusagen mit der Lupe, auf die einzigartigen Eigenschaften und reproduktiven Funktionen im Körper des Faszinosum Mensch und der Eingriff in diese Gegebenheiten durch uns selbst.

Natürlich sind die verwendeten Substanzen für ihre Einzelausstellung nicht zufällig gewählt, denn es geht bei den Visualisierungen auch um Fragen wie den Mehrwert von medizinischen Errungenschaften, deren Kontrollmechanismen und Eingriffe in natürliche Zyklen, oder den gesellschaftspolitischen Diskurs rund um das Thema Abtreibungsrecht. Fragen, die sich auf ganz persönlicher Ebene gestellt werden, aber auch auf gesellschaftspolitischer Ebene für Redebedarf sorgen. Wie gut tut uns der nie enden wollende Drang nach Fortschritt und Optimierung unserer Zivilisation? Und überhaupt: Ist die Antibabypille eigentlich immer noch ein Symbol weiblicher Emanzipation und Selbstbestimmung?

Einen präzisen wie losgelösten Zugang zu diesen Themen schafft Schönfeld über ihre Bildwelten, an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und zeitgenössischer Kunst, eine Installation, „die die zwischen Labor und Wohnzimmer oszilliert“, verspricht der Pressetext.

Zur Künstlerin

Die Berlinerin Sarah Ancelle Schönfeld hat Bildende Kunst an der UdK Berlin studiert. Wenn sie kreativ ist, hört sie gerne Musik von Matthew Herbert, Patti Smith, Sets von Aurora Halal, Bach oder Aphex Twin. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, darunter HKW Berlin, MAK Wien/Vienna Biennale, oder in der Hamburger Kunsthalle.

Bereits 2013 hat die Künstlerin in ihrer Arbeit „All you can feel“ ein ähnliches Prinzip wie beim aktuellen Projekt angewandt: Hier reagierten leistungssteigernde und körpereigene Wirkstoffe, die teils als illegale Partydrogen als auch als Therapeutika verbreitet sind, mit der Fotoemulsion eines belichteten Fotonegatives. Die entstandenen Fotos entfachten damals rege Debatten rund um die Wirkung und Einflussnahme von Drogen auf den Menschen.

Einigen ist Schönfeld sicher durch ihre Skulptur „Hero’s Journey“ bekannt. Die ausgestellte Glasvitrine war gefüllt mit 1.000 Litern Urin von Besuchern des Berghain. Ein konzentriertes Dokument technoider Ekstase auf vier Metern Länge und von LEDs in Szene gesetzt.

Zur Ausstellung

Labor Lab
Schering Stiftung
Unter den Linden 32-34
10117 Berlin

Die Ausstellung läuft vom 12. September bis 1. Dezember 2024.

Öffnungszeiten:
Donnerstag und Freitag, 13-19 Uhr, Samstag und Sonntag, 11-19 Uhr
Eintritt: frei

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