So waren die Apple Music AwardsExklusiv: Backstage in Cupertino
9.12.2019 • Kultur – Text: Thaddeus HerrmannMarketing-Stunt oder zukünftige Relevanz-Maschine? Am 4. Dezember hat Apple zum ersten Mal die Apple Music Awards verliehen. Und Das Filter war als einziges deutsches Medium in das Steve Jobs Theater eingeladen, um dabei zu sein, wie Billie Eilish gemeinsam mit ihrem Bruder gleich drei der fünf Auszeichnungen einstreicht und eine Stunde akustischen Weltschmerz in das Venue bläst, in dem sonst die neuen iPhones vorgestellt werden. Aus Cupertino berichtet Thaddeus Herrmann.
In der weitläufigen Anlage des Apple Park läuft Musik. Überall zwischen den Gräsern und Bäumen sind Lautsprecher versteckt, aus denen ohne Pause Sound rieselt. Von sanftem Klavier über beherzte Beats bis zu fast schon spooky-dystopischen Adaptionen wechselt so alle paar Minuten die Klangfarbe dieser künstlerisch-künstlichen Landschaft, über der sich von überall gut sichtbar das Space Ship erhebt, das runde Raumschiff – die Firmenzentrale von Apple. Entziehen kann man sich dem nicht. Durch die Parkanlage, die das Space Ship mit dem Steve Jobs Theater verbindet, zu flanieren, fühlt sich ein bisschen an, wie bei „The Prisoner“. Man denkt unweigerlich an Patrick McGoohan, der als Number 6 in diesem unwirtlich scheinenden Küstendorf mehr Fragen hatte, als er jemals Antworten bekam. Auch hier in Cupertino schweben lautlos elektrische Golfcarts über die space grau asphaltierten Wege, in denen das Management von A nach B transportiert wird. Alle, wirklich alle, haben AirPods in den Ohren. Und in regelmäßigen Abständen stehen Mitarbeiter am Wegesrand und nicken freundlich. „Welcome“. Das ist schon alles sehr ambient.
Es ist 18 Uhr. In einer halben Stunde soll Billie Eilish ihr Konzert im Steve Jobs Theater spielen. Wir haben dort schon einen guten Teil des Tages verbracht, haben uns die Trophäen aus der Nähe angeschaut, haben uns das Stage Design angesehen und zugehört und -geschaut, wie Zane Lowe, der Anchor-DJ von Beats1, die Künstlerin interviewt.
Wir, das ist eine dann doch mehr als überschaubare Gruppe von Journalist*innen aus einer ebenso mehr als überschaubaren Anzahl von Ländern der Welt. Das ist kein Zeichen von Exklusivität, sondern eher ein Indiz dafür, wie random es sich das anfühlen kann, wenn ein Musikpreis, der in Zukunft sicherlich ganz genau beäugt werden wird, zum ersten Mal verliehen wird. Die klassische Tech-Presse ist nicht eingeladen, der wäre an diesem Mittwoch Abend in Cupertino auch langweilig. Obwohl: Der Apple Music Award, die tatsächliche „Trophäe“, ist ein pornöses Etwas, über das in Technik-Kreisen noch zu sprechen sein wird.
Wo ist eigentlich die Wut der Jugend hin?
Billie Eilish, der Abräumerin des ersten Musikpreises von Apple, dürfte das alles ziemlich egal sein. Sie schwimmt einfach mit. Im Interview mit Zane Lowe trifft sie in Habitus, Styling und Antworten genau den Dreiklang aus unnahbar-nahbarer Künstlerin, verkörpert eine Art Enigma, dem ihre Generation entgegenstrebt. Ganz schön abgebrüht für eine 17-Jährige. Es fällt schwer, ihr das alles abzunehmen, zu glauben, dass sie das in ihrem Alter schon so reflektiert – zwischen Liebe, musikalischem Zweifel und Depression. Das kann unfair ihr gegenüber sein. Aber wie sich im Gespräch immer wieder das Menschliche als alles bestimmende Konstante herausschält – was natürlich auch ganz hervorragend zum Storytelling von Apple passt – ist dann doch einfach ein bisschen too much der gescripteten Ehrlichkeit. Was macht Pop nur mit Menschen? Und wo ist eigentlich die Wut der Jugend hin?
Wenn der Algorithmus menschelt
Fünf Auszeichnungen wurden im Rahmen der Apple Music Awards vergeben. „Künstler des Jahres“ (Billie), „Album Of The Year““ (Billie), „Songwriter Of The Year“ (Billie und ihr Bruder Finneas), „Breakthrough Artist Of The Year“ (Lizzo) und „Song Of The Year“ (Lil Nas X mit „Old Town Road“). Künstler, Songwriter und Breakthrough wurden dabei von der weltweit agierenden Redaktion von Apple Music ausgewählt. Fünf bis sechs Leute waren an der Entscheidung beteiligt, heißt es. Wer genau? Keine Details. Zane Lowe? You bet. Beim Album und Song verließ man sich bei Apple hingegen auf die nackten Zahlen: Die Streams waren entscheidend.
Mit dieser Mischung aus Mensch und Maschine ist Apple immerhin einen Schritt vor Spotify. Deren erste Awards sollen im kommenden März vergeben werden – und ausschließlich auf Daten basieren. Einen großen Unterschied macht das alles nicht. Preisverleihungen dieser Art sind präzise geplante Marketing-Veranstaltungen, die auf die jeweilige Marke einzahlen und langfristig ausgelegte Partnerschaften aufhübschen. Billie Eilish wurde von Apple in der Vergangenheit immer wieder gepusht. Und: Der Konzern hat zeitgleich mit der Award-Vergabe auch 25 Millionen US-Dollar auf den Tisch gelegt und die Rechte an einer Dokumentation über die Künstlerin erworben. So ist es keine Überraschung, dass sich an diesem Abend in Cupertino alles um Billie und ihren Bruder dreht. Lizzo und Lil Nas X sind nicht nur nicht da, sondern werden auch mit keinen Wort erwähnt.
Ein echtes Stück Hardware
Die Apple Music Awards zukünftig in mehr Kategorien zu verleihen, ist aktuell nicht geplant, heißt es. Natürlich kann sich das jederzeit ändern, die Awards selber legen nahe, dass es bei den fünf bleiben wird. Es sind nicht einfach nur schnell hingerotzte Auszeichnungen, sondern bis ins letzte Detail designte Boliden, wie sie nur von Apple kommen können. Mittig sitzt eine Siliziumscheibe, ein Wafer, mit echten A-Prozessoren aus Apples iPhones und iPads. Um die Brücke in die Musik zu schlagen, hat dieser Wafer einen Durchmesser von genau 12", ist also so groß wie eine Schallplatte. Vorne von Glas geschützt und aufgehängt in einem Aluminiumgehäuse, ist dieser Preis zu 150 Prozent Apple. Sogar eine spezielle Verpackung gibt es – mit allen Tools und Schrauben, um die Trophäe im Studio oder über dem Kamin aufhängen zu können. Ja, das ist ziemlich crazy, aber eben auch sehr typisch für einen Konzern, in dem nichts dem Zufall überlassen wird. Generell und nirgendwo.
Das ahnt man natürlich, wenn man sich für Apple interessiert. Weiß es, wenn man immer wieder mit dem Unternehmen zu tun hat, und fühlt sich bestätigt beim Flanieren über das Firmengelände, inklusive dem Steve Jobs Theater. Nichts, absolut nichts, wurde hier dem Zufall überlassen. Alles ergibt sich der Metapher des eleganten Ovals, der sich im Horizont verlierenden Krümmung der sanften Kurven. Durch die Hallen und Gänge des Space Ship zu laufen, fühlt sich an, als folge man in Zeitlupe einer Tartanbahn im Olympiastadion – nur eben ohne Tartan. Wer sich in diesem eleganten Koloss ein echtes corner office erobert, hat es dann wohl geschafft. Die elektronischen Türöffner, die nur nach dem Auflegen der Mitarbeiter*innen-Batches aufspringen, tragen ein kreisrundes Symbol, sogar der wunderbar kantige Chardonnay, der uns beim Abendessen im „Caffe Macs“ serviert wird, erklärt auf dem Etikett seine geschmackliche Komposition anhand des Kreises.
Im Wald mit Billie
Es ist also 18 Uhr. Wir verlassen die Kantine und machen uns auf den Weg zum Steve Jobs Theater, zu Fuß ungefähr zehn Minuten. Es hat angefangen zu regnen, und natürlich stehen am Ausgang schon Mitarbeiterinnen und verteilen Regenschirme. Mit unseren Bändchen werden wir im Auditorium mit guter Sicht auf die Bühne platziert. Das Stage Design von Es Devlin ist beeindruckend und dürfte alles andere als preisgünstig gewesen sein. Dort wo Tim Cook und Phil Schiller normalerweise neue iPhones vorstellen, die Bühne clean und aufgeräumt ist, ist eine echte Waldlandschaft entstanden. Zwei Hocker, ein Klavier, ein großer Strahler wie aus einem alten Leuchtturm – sonst nur Bäume und Laub.
Die eingeladenen Fans flippen aus. Ist ja auch schön, dem Star so nahe sein zu können. Für die Künstlerin ist dieser Gig kaum mehr als ein Club-Konzert, die sie schon lange nicht mehr spielt.
Das Konzert selbst ist okay – wenn man die Musik von Billie Eilish und ihrem Bruder Finneas denn mag, bzw. sich damit auskennt. Denn die beiden spielen ein komplettes Akustik-Set, in dem sich die etwaigen Ecken und Kanten der Studio-Produktion schnell in einem gleichförmigen Strom des Wohlklangs auflösen und ein Song wie der nächste klingt. Die eingeladenen Fans flippen trotzdem aus. Ist ja auch schön, dem Star so nahe sein zu können. Für die Künstlerin ist dieser Gig kaum mehr als ein Club-Konzert, die sie schon lange nicht mehr spielt. Und sie ist dann doch irgendwie herrlich zickig. Dreht sich auf ihrem Drehstuhl in den Pausen hin und her, hustet sich herzhaft die Lunge frei und trifft dann doch immer wieder den Ton. Nach jedem Song hastet ein Roadie auf die Bühne, reicht die Gitarre oder nimmt sie wieder an sich und gibt Billie die Wasserflasche, wartet kurz und nimmt sie wieder von der Bühne. Neben dem Hocker abstellen und selber nehmen, wenn sie etwas trinken will? Offenbar undenkbar.
Und wie sie da so sitzt, in diesem schlabbrigen Irgendwas, den dicken Sneakern und mit überkreuzten Beinen, in dieser sehnsüchtigen Kulisse vor farbenprächtiger Lichtshow und sich die Seele aus den Stimmbändern schmachtet, denke ich: Gib ihr doch mal einer einen Wodka und eine Kippe. Und merke schnell, dass ich ja keine Ahnung habe, was in ihrer Trinkflasche wirklich drin ist, und dass es natürlich undenkbar ist, auf dem Apple Campus zu rauchen, ganz egal, wie erfolgreich man nun ist. Am Ende nimmt sie ein Bad in der Menge, bedankt sich überschwänglich bei ihren Fans, die sie beim Stage Diving buchstäblich auf den Händen tragen. Ganz ohne Rock’n’Roll also doch nicht.
Und dann kommt nochmal Zane Lowe auf die Bühne und übergibt den beiden ihre Awards. Man liegt sich in den Armen und geht von der Bühne. Die Auszeichnungen lassen Billie und Finneas auf der Bühne zurück. Man trägt sie ihnen bei angehendem Putzlicht hinterher. Stardom eben. Eine Kollegin aus Japan spricht mich an und fragt, wie es mir denn gefallen habe. Ich zucke mit den Achseln: „OK, I guess?“ Sie hatte neben mir das gesamte Konzert über immer wieder versucht, euphorisch mitzuwippen, kam aber regelmäßig aus dem nicht existierenden Takt. „Yes, it was ok.“
Der ersten Ausgabe der Apple Music Awards schreibe ich ins Gästebuch, was ich Apple Music und Beats 1 regelmäßig mit auf den Weg geben möchte. Nicht so bieder sein. Nicht so berechenbar sein. Haltung zeigen und sich auch um Musik kümmern, die nicht im Mainstream pulst, ganz egal, um welches Genre es geht. Das würde dem Service gut tun und könnte den Awards zukünftig tatsächlich zu einer Art von Relevanz verhelfen. Ob es dazu kommt? Abwarten.
Am nächsten Morgen bringt mich ein Shuttle zurück zum Flughafen nach San Francisco. Der Fahrer, ein älterer Afroamerikaner mit elegantem Trilby und großer Sonnenbrille, hört Jazz. Ob das in Ordnung sei, fragt er. Unbedingt, sage ich, und was denn sein Lieblingsinstrument sei. Natürlich das Saxophon, er selbst habe ja Trompete gespielt in der High School, aber eigentlich auch nur, um die Mädchen zu beeindrucken. Und meins? Der Drumcomputer, ich käme eher so aus der elektronischen Musik. House? Unter anderem, ja. Chicago? Oh ja. Und Detroit. Als wir am Flughafen ankommen, bleiben wir noch eine Weile bei laufendem Motor im Auto sitzen und reden. Über Musik, die nie einen Apple- oder Spotify-Award bekommen wird.