Podcast-Kritik: Wind Of ChangeSchreibt die CIA auch Songs?
10.6.2020 • Kultur – Text: Thaddeus HerrmannWollen wir mitpfeifen? „Wind Of Change“ von den Scorpions erschien 1990 und wurde zum musikalischen Symbol der global-politischen Veränderungen. Kalter Krieg? Schnee von gestern. Frieden? Abrüstung? Check. Doch ist der Song der Hardrocker aus Hannover vielleicht mehr als nur Symbol? Der Journalist Patrick Radden Keefe „glaubt“ an eine Verschwörungstheorie. Und arbeitet sie in einer Podcast-Serie auf.
Wir schalten mal nach Langley. So um +- 1990. Im Hauptquartier der CIA wird die Weltlage jeden Tag neu bewertet. Dinge verändern sich, Grenzen fallen, Länder vereinen sich. Was ist denn da los? Bei der CIA kennt man sich aus mit Propaganda – auf allen Leveln. Und ruft im Keller an und beauftragt einen Song.
Das ist die Ausgangssituation von „Wind of Change“, dem neuen Podcast von Patrick Radden Keefe. Über zig Ecken wird eine Geschichte an ihn herangetragen, die skurriler nicht sein könnte: Der Song wurde nicht von Scorpions-Sänger Klaus Meine geschrieben, sondern vom US-amerikanischen Geheimdienst. Um den Systemwechsel in der UdSSR zu beschleunigen, anzufeuern. Kann das sein? Die Recherchen beginnen. Was folgt, ist eine irre dicht produzierte Audio-Reise, die nicht nur allen aktuellen Podcast/Hörspiel-Ansprüchen genügt, sondern uns alle – die aktuell und überhaupt mehr als genug haben von Verschwörungstheorien – exemplarisch vorführt, wie genau die Verschwörungstheorien genau funktionieren. What if? Was, wenn das große Festival in Moskau 1989, wo alle Hardrock-Größen spielten, inklusive der Scorpions – wirklich ein abgekartetes Spiel war? Warum hatten die Bands alle den gleichen Manager? Was war das überhaupt für ein Typ? Und wo hatte der das Geld her? Welche Rolle spielte MTV? Und warum reagiert die CIA noch heute mehr als schmallippig, wenn Patrick Radden Keefe Anfragen an den Geheimdienst unter dem Freedom Of Information Act zur der Beziehung der Band zu den Spionen stellt?
So entspinnt sich Folge für Folge ein deepes Feature, ein Stück echte Hörspiel-Kunst, das nicht nur vom Spannungsbogen als solchem lebt, sondern uns auch jede Menge lernen lässt. Über Hardrock, über die Underground-Szene in der UdSSR und über etablierte Geheimdienst-Strategien, die auf die sich verändernden Realitäten in der Welt nur noch begrenzt anwenden lassen. Die Cliffhanger sind unerträglich. Weil: Vollkommen egal, ob nun Meine oder irgendein Cowboy in den USA den Song geschrieben hat – man will einfach wissen, wie die Geschichte zu Ende geht. Was sich da noch für etwaige Verflechtungen auftun, zwischen Politics, Sex und Rock’n’Roll.
Ausgang? Ungewiss. „Wind Of Change“ ist eine Co-Produktion mit Spotify. Dort lässt sich jetzt schon die gesamte Staffel hören. In klassischen Podcatchern landet jede Woche eine neue Folge. Also: Spoiler vermeiden. Ich weiß noch nicht, wo, wie und wann die Serie enden wird.