Pageturner – Literatur im Februar 2022Kae Tempest, Kat Chow, William Boyd
2.2.2022 • Kultur – Text: Frank Eckert, Montage: Susann MassuteEin neuer Monat, frische Buch-Empfehlungen. Frank Eckert ist der Pageturner der Filter-Redaktion. Ob dringliche Analysen zum Zeitgeschehen oder belletristische Entdeckungen – relevant sind die Bücher immer. Im Februar 2022: Ein Essay von Kae Tempest zum Thema Empathie, ein Memoir von Kate Chow als Geistergeschichte und der Einblick des großen Romanciers William Boyd in die Abgründe britischer Filmproduktionen der 1960er-Jahre.
Kae Tempest – On Connection (Faber & Faber)
Ein langes Essay oder ein kurzes Buch über Empathie und eine Verteidigung von Kultur, von kreativen Verbindungen zwischen Menschen. Kae Tempest (formerly known als HipHop-Poet*in Kate Tempest) tritt in diesem Text energisch für die Universalität von Gemeinschaft, Emotionen und Kultur ein. Ein mutiger Move angesichts der Rückkehr binärer Distinktionen zwischen dafür/dagegen, drinnen/draußen von Zugehörigkeit, von zunehmend aggressiven Identitätspolitiken in immer enger definierten Gruppen. Dabei ist es so einfach, eigentlich. Empathie ist, erstmal damit anzufangen, sich klarzumachen, dass jede(r) eine Geschichte hat, viele Geschichten. Empathie bedeutet dann, sich die Zeit zu nehmen und den Platz zu schaffen im Kopf, sich diese Geschichten anzuhören.
Obwohl „On Connection“ als Non-Fiction zwischen Feuilletontext, Kommentar und Autobiografie daherkommt, atmet doch jede Zeile die Poesie der Klassik und den Rhythmus der Straße. Das gibt dem Text strukturelle Offenheit, inhaltliche Freiheit sowie eine Dichte und Intensität, die ein persönlich gehaltenes Essay kaum je erreichen kann. Ein Glück, dass so etwas in Buchform erscheinen kann.
Kat Chow – Seeing Ghosts (Grand Central Publishing)
Kurz nach Michelle Zauners „Crying in H-Mart“ erschien vergangenen Sommer „Seeing Ghosts“ von Kat Chow. Chow ist wie Zauner US-Amerikanerin mit Familie aus Ostasien – und ist wie Zauner im weitesten Sinne in der Popkultur aktiv (mit den Medien Radio, Podcast und Feuilleton). In ihrem Memoir geht es ebenfalls um den frühen Krebstod ihrer Mutter, um „gemischte“ Identität, den Umgang mit Verlust und sogar auch kulinarische Erinnerung.
Dennoch ist „Seeing Ghosts“ von einem völlig anderen Charakter. Die Ähnlichkeiten – so auffällig sie sein mögen – sind oberflächlich. Denn Chows erzählerische Stimme, eher Autofiktion als Autobiografie, ist ambivalent, zutiefst unsicher über die Authentizität ihrer Erinnerungen und den Gehalt ihrer Gefühle, damals wie heute. Ihr Memoir ist tatsächlich eine Geistergeschichte, die sich immer wieder bewusst macht, wie sehr wir uns Geschichten erzählen und partiell sogar erfinden (müssen), um zu leben: Ich hoffe, Joan Didions Geist vergibt mir die ungelenke Vermurksung ihres berühmtesten Zitats. Chows Trauer, obwohl sie hinter jedem Satz durchschimmert, wird dadurch schwieriger fühlbar, weniger unmittelbar der Empathie zugänglich und komplexer. Sie wird zu Literatur.
William Boyd – Trio (Viking)
Der Sommer 1968 war einer der heißesten des 20. Jahrhunderts, kulturell und politisch. Im britischen Seebad Brighton bekommt man davon nicht viel mit, höchstens der Novelty-Hit des Jahres „MacArthur Park“ geht allen als Ohrwurm gehörig auf die Nerven. Die drei Hauptfiguren sind durch einen Filmdreh in Brighton miteinander verbunden und struggeln mit den täglichen Miniaturapokalypsen, die dieser so mit sich bringt. Ansonsten beschäftigen sie sich vorwiegend mit sich selbst, ihrem Innenleben und ihrer Außenwirkung, mit dem komplizierten Verhältnis von Kunst und Leben – und wie man morgens aus dem Bett kommt.
Das abwechselnd erzählende „Trio“ besteht: Aus der Autorin Elfrida, Ehefrau des Filmregisseurs, die seit Jahren nur noch erste Sätze schreibt und mit ihrer Zuschreibung als „neue Virginia Woolf“ hadert. Aus dem Filmproduzenten Talbot, einem britischen Gentleman alter Schule, genialem Problemchen-Löser und so sehr im „Stiff Upper Lip“-Modus zu Hause, dass nicht mal seine eigene Ehefrau merkt, dass er homosexuell ist. Sowie aus Anny, der jungen Hauptdarstellerin, die ihrem frühen Ruhm nicht so recht traut und sich konsequent selbst sabotiert.
Im konsistent unzuverlässigen britischen Wetter dämpfen alle ihren Frust, ihre Unsicherheiten und die permanenten Kleinstkatastrophen mit allerlei Substanzen und Männern. Es passiert gar nicht so viel Dramatisches. Spannender ist, wie die drei Leben durch dieses eher kunstlose Filmprojekt – von dem es eine heimlich parallel gedrehte Adult-Version gibt – miteinander verflochten werden, wie sie sich anziehen und abstoßen, tangential bewegen. Das ist schon äußert subtil und kunstvoll erzählt. Der in Ghana geborene und in Nigeria aufgewachsene Brite William Boyd hat in vielen Genres geschrieben, vom Thriller über fiktionale Biografien bis zu Drehbüchern. Im Filmbusiness kennt er sich also gut aus. „Trio“ ist in diesem Kontext wohl sein mildes, humanistisch gefärbtes Alterswerk. Wie seine Figur Talbot ist Boyds Roman very British – nach außen stets freundlich, ruhig und kontrolliert, innerlich komplex, reich und Ambivalenzen zulassend.