Pageturner – Literatur im Dezember 2021Nicole Krauss, Carol Fives, Hilary Leichter
6.12.2021 • Kultur – Text: Frank Eckert, Montage: Susann MassuteWer schreibt, der bleibt. Vor allem dann, wenn das Geschriebene auch gelesen, bewertet und eingeordnet wird. In seiner Kolumne macht Frank Eckert genau das: Er ist der Pageturner und versorgt uns jeden Monat mit Reviews seiner literarischen Fundstücke. Das können dringliche Analysen zum Zeitgeschehen sein, aber auch belletristische Entdeckungen – relevant sind die Bücher immer. In diesem Monat: Kurzgeschichten von Nicole Krauss, Carol Fives’ Auseinandersetzung mit der Realität einer alleinerziehenden Mutter und Hilary Leichters beinharter Satire zum Leben in der Gig-Economy.
Nicole Krauss – To Be A Man (Bloomsbury)
Die erste Sammlung von Kurzgeschichten von Nicole Krauss spielt an Orten oder in Situationen des Übergangs: auf Hochzeiten, an Schulen, in Hotelzimmern, Synagogen, bei Geburten und Beerdigungen. Umstände, in denen Identität und ihre Brüche besonders deutlich zu Tage treten. Hier – wie in „Forest Dark“ und ihren anderen Büchern – sind es meist weibliche jüdische Lebenswelten zwischen den USA und Israel.
Was passiert, ist meistens wenig spektakulär. Leben im normalen Ausnahmezustand eben. Wie das erzählt wird, ist faszinierend und spannend. Sprachlich eher konventionell und straight, gelingt es Krauss, ungeahnte Verbindungen und Assoziationen einzuflechten, was die kurzen und einfachen Geschichten wesentlich kunstfertiger und ausgearbeiteter macht, als sie auf den ersten Blick scheinen mögen.
Zum Beispiel eine Reflexion über die Filme und Schauspieler des Iraners Abbas Kiarostami mit Job und Leben einer US-amerikanischen Expat, Tänzerin in einer Company in Tel Aviv und einem Reiseerfahrungsbericht aus Kyoto, Japan. All das sinnig und folgerichtig verflochten auf kaum 30 Seiten. Dennoch sind die Begebenheiten und die Momente, die hier vorbeiziehen, leicht flüchtig und ephemer. Sie wollen sich nicht zu einem Drama oder einer Handlung mit Plot Points verdichten. Sehr schön ist das.
Carol Fives – Kleine Fluchten (Zsolnay)
Was beschwerst du dich? Du wolltest es doch nicht anders!
Was beschwerst du dich? Andere sind doch viel schlimmer dran!
Was beschwerst du dich? Die Millionen anderen in deiner Situation beschweren sich doch auch nicht!
Der hart knallende konzentrierte Thesenroman der französischen Autorin Carol Fives, 138 Seiten kurz, über eine junge Mutter am Rande des finanziellen, psychologischen und sozialen Ruins, bringt die Mechanismen der Isolation, des sozial-kulturellen Ausschlusses, des Marginalisiert-Werdens, der sich Alleinerziehende ausgesetzt sehen, schonungslos auf den Punkt. Wie höhnisch und menschenverachtend die Ideologien der „modernen“ Familie, etwa der unperfekt-perfekten Mutter, die Arbeit, Erziehung und Privatleben lässig jongliert, werden können wenn sie auf die Realität ökonomischer Prekarität und unmöglichem Zeitmanagement treffen, zeigt Fives in wenigen Beispielen in aller notwendigen Härte.
Was „Kleine Fluchten“ zudem zu einer guten Erzählung macht, ist die komplexe Auflösung. Die Misere löst sich nicht einfach von allein in Wohlgefallen auf, auch wenn es am Ende so etwas wie Hoffnung auf einen Neuanfang, auf eine andere Perspektive aufscheint. Aufgeben ist halt auch keine gute Option im generellen Mangel an Optionen.
Hilary Leichter – Temporary (Faber & Faber)
Das Romandebüt der geschätzten „New York Times“- und „n+1“- Essayistin Hilary Leichter ist eine leichte, gleichzeitig aber auch eine schwer fiese Satire über die moderne Arbeits- und Beziehungswelt. Für die namenlose Protagonistin von „Temporary“ ist das sowieso ungefähr dasselbe. Boyfriends und Jobs als Gig-Economy. Das echt harte Problem ist, darin dann auch noch einen Sinn, das Glück und die große Liebe finden zu müssen. Zumal die traurige Heldin die Plattitüden der Selbstoptimierung grausam ernst nimmt, ja sogar darin aufzugehen versucht.
Da ist kein Selbstbetrug zu gemein, keine Job-Description zu absurd. Die Suche nach Erfüllung und Happiness wird so schnell zur Groteske, die Sehnsucht nach etwas Stetigem, etwas Bleibendem zum zynischen Witz. Das ist in aller Fremdschäm-Intensität manchmal hart zu lesen, überzeugt aber durch irrwitzige Einfälle und die Abwesenheit eines moralisierenden Untertons, der eine ähnlich angelegte Satire der modernen Arbeit wie The Circle deutlich ansäuert. Wie abwegig die Idee sein kann, heutzutage in Arbeit Lebenssinn zu finden, wird selten so klar wie hier.