Pageturner – Literatur im April 2022Ute-Christine Krupp, Annika Büsing, Angie Thomas
4.4.2022 • Kultur – Text: Frank Eckert, Montage: Susann MassuteBücher, Texte, Geschichten. Das sind Deep-Dives ohne Marketing-Konnotation und auch keine Longreads mit Like-Clickbait. Wer schreibt, der bleibt. Frank Eckert ist der Pageturner der Filter-Redaktion – und inhaliert Monat für Monat zahllose Bücher. Ob dringliche Analysen zum Zeitgeschehen oder belletristische Entdeckungen – relevant sind die Werke immer. Im April fokussiert er sich mit uns und für euch auf drei Romane dreier Autorinnen. Ute-Christine Krupp transportiert das Agent:innen-Business von „24“ und/oder „Homeland“ in die angestaubte deutsche Verwaltung. Annika Büsing beschäftigt sich in „Nordstadt“ mit den grundsätzlich genordeten Quartieren der Verlierer:innen. Und Angie Thomas konfrontiert uns in „Concrete Rose“ mit eben jenen Vorstadt-Gegebenheiten, made in the USA.
Ute-Christine Krupp – Punktlandung (Wallstein)
Faszinierend. Der Versuch eine in aller Konsequenz deutsche Variante von „Hatufim“ / „Homeland“ / „24“ zu schreiben. Also einen Geheimdienstthriller über Inlandsterrorismus mit einem deutschen Beamten mittleren Alters, mittlerer Vegütungsstufe in einer deutschen Behörde – in einer Sprache und einem Ton, der diesem Setting und Set angemessen ist. Die Köln-Berliner Autorin Ute-Christine Krupp hat sich nicht gerade wenig vorgenommen mit ihrem kleinen Roman „Punktlandung“.
Krupp zeigt dann direkt immense Freude an der Schilderung der aktenordnergrauen Bundesrepublik-Artefakte, die selbst noch 2011 das Behördenbild prägen, vor allem im Westen in der BND-Zentrale in Köln. Einem Gebäude, das es schafft, sogar den Beton-Butalismus der 1970er-Jahre langweilig aussehen zu lassen – nach Provinzgymnasium. Freude am Tristen auch bei Konferenzrauminneneinrichtungen, Auslegeware, Bodenteppichblau, Vorgesetztenschreibtischstühle, schwarzen Lederaktenkoffern mit Schnappschloss.
So zielt die Handlung dann ebenfalls eher auf Gefährder:innen-Statistiken, Täter:innen-Analysen und -Prognosen und behördeninterne Machtpolitik ab als auf konkrete Aktionen oder gar Action. Die Unklarheiten und Zweifel an der Legalität und Legitimität des Vorgehens, die die Arbeit des an den realen Fall der „Düsseldorfer Zelle“ angelehnten behördenübergreifenden Abhöraktion begleiten, verschwimmen im Laufe des Romans immer mehr mit privaten Unsicherheiten, welche aber jeweils dann doch ein unerwartet gutes Ende nehmen. Ohne größeres Zutun des Protagonisten, oder vielleicht doch? Der macht einfach seine Arbeit, komplett unspektakulär. Und erlaubt sich sogar hin und wieder den einen oder anderen Skrupel. Also „24“ ist das definitiv nicht. Vermutlich besser so.
Annika Büsing – Nordstadt (Steidl)
Das Mikroklima vieler größerer europäischer Städte sorgt für eine bevorzugte Windrichtung von Süden. Vermutlich einer der Gründe, warum in den meisten dieser Städte die Gewerbezonen, Industriegebiete und Müllverbrennungsanlagen nördlich der Innenstadt liegen. Ebenso wie die Viertel der Arbeiter:innen, der Armen, der Neuankömmlige, der Zugewanderten und temporär Ansässigen. Das alteingesessne Bürgertum soll ja nicht von Abgasen belästigt werden. Das gilt – wie bei Zadie Smith zu lesen – für London genauso wie für Köln oder Bochum. Aus der letztgenannten Stadt stammt Annika Büsing. Ihr Romandebüt spielt in einer solchen „Nordstadt“, einem Viertel, das medial gerne als sozialer Brennpunkt bezeichnet (und abgetan) wird.
Die Erzählerin Nene hat sich ihr Leben um ihren Job als Bademeisterin herum gebaut. Als Kind eines gewalttätigen Alkoholikervaters, die Mutter ist lange tot, war ihr der örtliche Schwimmverein lange Zeit einziger Schutzort und das Schwimmen einziger Trost. Ohne allzu große Erwartungen an das Leben und schon gar nicht an die Männer hätte es so wohl ewig weitergehen können. Doch es kommt tatsächlich die Liebe dazwischen. Mit einem, der ähnlich psychisch und körperlich beschädigt ist wie sie und als Folge verschlossen und misstrauisch ist – zum Lügen neigend. Was ein Happy End sehr unwahrscheinlich macht. Aber es findet irgendwie tatsächlich statt (soviel Spoiler muss sein). Wie es dazu kommt, die vorsichtige Öffnung, der sehr langsame Prozess, an dessen Ende vielleicht keine Heilung steht, aber zumindest die Anerkennung der eigenen Verletzungen und Narben des jeweils anderen, ist grandios trocken und angemessen drastisch erzählt. Schwimmbad-Punk in einer Badeanstalt der Nordstadt, die eben noch kein Erlebnisbad/Freizeitpark geworden ist. So wie diese schwer verhandelten Leben eben noch keinen Ponyhof von innen gesehen haben.
Angie Thomas – Concrete Rose (Walker Books)
Mit ihrem Debüt „The Hate U Give“ wurde Angie Thomas 2017 unmittelbar zur Chronistin und Stimme einer Generation und einer Klasse: jung, schwarz, urban, arm, perspektivlos, ambitioniert, streetsmart und weitgehend machtlos in einem System, in dem Ressourcen und Chancen sehr ungleich verteilt sind. Thomas’ dritter Roman schildert wiederum die Höhen und Tiefen eines angehenden „Thug Life“, diesmal aus Perspektive des Nachwuchsdealers und Kleingangsters in Ausbildung. Der hat einen ziemlich klaren Karrierepfad vor sich – mit Vater und dem Cousin und bestem Freund als Vorgänger und Vorbilder. Bis ein One-Night-Stand den überforderten Helden mit ihrem Baby dastehen lässt, mehr oder weniger allein, denn die Mutter arbeitet Doppelschichten, der Vater des Kindes ist im Gefängnis und der Cousin stirbt in einem Feuergefecht zwischen Gangs.
Die mutige Entscheidung zum „straight“ werden und Klarkommen, also einen schlecht bezahlten Aushilfsjob annehmen, die Schule beenden und den Sohn großziehen, kollidiert mit der Realität der Straße. Die andere Familie, die Gang, lässt nicht locker, und das statische Hintergrundrauschen von Gang- und Polizeigewalt, Armut und Drogen hilft nicht. Wie der äußerst passend Maverick benamte dauergestresste Held aus der Nummer herauskommt, oder eher nicht herauskommt, dabei aber doch irgendwie sein Leben hinbekommt, ist ein kleiner, harter, sozialrealistischer Thriller in „The Wire“-Manier. Erzählt aus der Sicht der Straße, von einer Welt, in der vorwiegend die „Colors“ zählen – die der Gang, der Schule und der Basketballmannschaft. Mit etwas Fortune funkt dann das Leben dazwischen wie hier.