Pageturner – Juli 2023: Dunkel. Dunkler. DunkelheitLiteratur von Bret Easton Ellis, Gine Cornelia Pedersen und John Robb
4.7.2023 • Kultur – Text: Frank Eckert, Montage: Susann MassuteBret Eaton Ellis ist zurück. In „The Shards“ blickt der US-amerikanische Autor auf seine eigene Jugend. Dunkel und wie üblich irritierend. Die Norwegerin Gine Cornelia Pedersen kennt sich ebenfalls mit dem den dunklen Dingen der Adoleszenz aus. Und zeichnet in „Null“ ein noch dunkleres Bild des Heranwachsens. Und weil das alles nicht ohne Musik funktioniert, dokumentiert John Robb in „The Art Of Darkness“ seine ganz persönliche Interpretation des Dark Wave nach. Wird schon dark, diesen Sommer. Frank Eckert hat die Details und nötigen Einordnungen.
Bret Easton Ellis – The Shards (Alfred A. Knopf, 2023)
Nimmt man von Bret Easton Ellis' Romanen die ermüdende Aufzählung von Markennamen, automobilen Wegbeschreibungen, Sportaktivitäten, Drogenkosumabläufen und Sexstellungen, die ironisch-unironische Faszination für sadistische Serienmörder, Splatter und Gewalt: Was bleibt dann übrig? Gute Literatur? Nun. Anhand des pseudo-autofiktional daherkommenden „The Shards“ wird das mit der „guten“ Literatur wieder vermehrt behauptet.
Was hier als Erinnerung an Partynächte, Exzesse aller Art und maximal banale Konversationen eines Sommers am Ende der Adoleszenz vor über 40 Jahren rekonstruiert, dekonstruiert oder vielleicht einfach nur konstruiert wird, ist vorahnungs- und anspielungsreich – sprachlich und symbolisch extrem überhöht in einem dunklen Spiegel aus sexualisierter Gewalt und der Tradition des L.A. Noir. Jeder Song, der gerade im Autoradio plärrt oder auf einer Party läuft, bildet die Stimmung der Protagonisten, speziell des Erzählers namens Bret Ellis ab. Am undezentesten natürlich Ultravox' „Vienna“ mit dem unvergesslichen Refrainfetzen „It means nothing to me“. Wenn der ganze Roman nicht so düster und von Brutalitäten durchzogen wäre, könnte man vermuten, dass sich Ellis hier über den so europäischen Boom des Autofiktionalen lustig macht. Was vermutlich der Fall ist, nur dass es eben in der unlustig-metalustigen Weise eines Edgelords und Cringe-Papstes wie Ellis würdig ist.
Aus einem immensen und unerschöpflich scheinenden Pool an popkulturellem Boomer-Wissen zusammengelesen, ist das alles so meta, dass es schon nicht mehr meta ist. Woraus dann eben ein relativ straighter und auf einfache Weise verwirrender klassischer Noir-Thriller herauskommt, bzw. herausgekommen wäre, wenn der Roman 300 statt 700 Seiten umfassen würde. Ob dass nun gute Literatur ist, vermag ich nicht zu sagen. Was mir den Roman erschlossen hat, ja überhaupt nur aushaltbar gemacht hat, ist dessen vorahnungsschwere endlose Melancholie, die extrem plausible Wehmut einer verschwendeten Jugend, die es natürlich so nie geben konnte. Also eine Wahrheit hinter der Wahrheit aus lauter Lügen.
Gine Cornelia Pedersen – Null (Luftschacht Verlag, 2021)
Von nachpubertären Befindlichkeiten, nicht klarzukommen mit denen, die klarkommen, mit dem eigenen Begehren und den eigenen Bedürfnissen, mit dem was im Kopf vorgeht und im Körper: Darüber weiß dieser Roman aus Norwegen eine Menge. Das Debüt der Autorin und Schauspielerin Gine Cornelia Pedersen erzählt in Kürzest-Absätzen, die meist mit großem „Ich“ beginnen, von einem Dasein der jugendlichen Protagonistin, in dem sie immer irgendwo aneckt, selten richtig da ist, nie wirklich dabei ist, noch weniger irgendwo dazugehört – freiwillig.
Also Selbstisolation als Hoffnung, die Großstadt Oslo als Hoffnung. Liebe geht auch, hilft aber nur kurz. Oslo oder ein Ausbruchsversuch in Form eines Trips nach Peru ebensowenig, sie triggern allenfalls die Psychose. Medikation und Selbstmedikation, legal und weniger legal, vergrößern die Entfernung zum Selbst und zu den Anderen nur noch. Und doch schafft die Protagonistin es, eine Beziehung aufrecht zu erhalten, sogar zu heiraten, sich in einer Schauspielschule zu bewerben und direkt angenommen zu werden. Eine Wohnung, Geld und Freunde zu haben, mehr oder weniger. Dass aus dem bipolaren Wechsel von Welthass und Selbsthass so etwas wie ein sozioökonomisch funktionales Erwachsenenleben entstehen kann, das ist die erstaunliche Konsequenz dieser sich sonst in krassesten Antihaltungen gefallenden, gut harten Novelle.
John Robb – The Art of Darkness (Manchester University Press, 2023)
Den Autor dieser Musikbiografie kennen Ältere eventuell noch als Bassisten der Membranes, Jüngere vielleicht eher als findigen Punk-Geschichtsschreiber. Doch auch wenn John Robb vom Punk geprägt wurde: Seine echte, tiefe, wahre wie dauerhafte Liebe über mehr als 40 Jahre hinweg galt und gilt der schattigen Seite von Pop und Post-Punk. Also alles zwischen Gothic und Dark Wave. „The Art of Darkness“ erzählt die Pophistorie der Dunkelheit entsprechend involviert, engagiert, anekdotisch und detailversessen von Vorläufern (zurück bis zu den alten Goten), Anfängen, Peak, und der Verstetigung in Subkulturen und der partiellen Assimilation im Mainstream (mit Folgen wie Buffy und Rammstein).
Es geht Robb weniger um eine Analyse oder Theoriefassung als um eine episodische, möglichst vollständige Darstellung. Im Wissen, dass dies unmöglich ist, sogar auf mehr als 500 Seiten, die er dann aber mit Hingabe und Leidenschaft verfolgt. Es fällt (ihm und den Leser:innen) daher naturgemäß schwer, einen Nenner zu finden, was Goth nun wirklich im Kern ausmacht. Ein paar Erkennungsmerkmale und Indizien für die sehr unterschiedlichen Bands und Projekte, die portraitiert werden, gibt Robb dann aber durchaus. Psychedelik, Glam, DIY, Mode, Tanzbarkeit: Von der zur Urmutter stilisierten Siouxsie bis zu späteren Exponent:innen und Randfiguren finden sich diese Aspekte immer wieder. Aus seiner Geschichte heraus absolut verständlich fokussiert Robb stärker auf klassische Bands und hat zu elektronischen Acts weniger zu sagen, was ich persönlich etwas schade finde. Dennoch ist hier viel Spannendes zu finden, und die für einen Text dieser Art unvermeidliche Nostalgie der unwiederholbaren, einzigartigen Momente ist verhältnismäßig zurückhaltend eingesetzt. Vielleicht weil Gothic schon relativ früh in der Entwicklungsgeschichte mehr für Kontinuität und Szene stand als für Innovation und Avantgarde? Der Liebe zu den dunklen Künsten tut das ja keinen Abbruch.