KonzerterinnerungenThe Disposable Heroes Of Hiphoprisy – Berlin, Loft, 22. November 1992
20.9.2021 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteEin „One Album Wonder“ mit Nachhall. The Disposable Heroes Of HipHoprisy machten Anfang der 1990er-Jahre politisierten HipHop. So weit so gewöhnlich. Musikalisch aber bewegte sich das Duo in einer anderen Liga, die sich auch heute noch nicht verstecken muss. 1992 spielten sie in Berlin – Thaddeus Herrmann ist hingegangen.
„I'm the governor Pete Wilson you know, the baddest govenor to ever grab a mic and go BOOM!“
HipHop und ich – das ist keine ganz einfache Geschichte. Ehrlich gesagt eine verdammt komplizierte, die sich zunächst an meiner Ignoranz abarbeiten musste. Der Sound interessierte mich einfach nicht. Westküste, Ostküste? Mir egal. Genau wie ich eine Einfallstür für Techno und House brauchte – Breakbeat! –, bedurfte es eines ähnlichen Signals, um mich mit HipHop auseinanderzusetzen. C'mon. Ich war ein Popper, ein Indie-Kid und richtete meine vollständige Aufmerksamkeit gen UK und hatte genug damit zu tun, das alles zu verstehen. Sorry guys!
Dieses Signal kam bei mir über Bande, genauer die der EBM. Mit Labels mit Nettwerk (was damals nichts mit der Pop-Langeweile von heute zu tun hatte) und PIAS (ähnliche Geschichte). Dort veröffentlichten damals Projekte wie Consolidated und Meat Beat Manifesto, die sich dem „HipHop“ aus einer ganz anderen Perspektive näherten und in Deutschland auch anders wahrgenommen wurden. Consolidated zum Beispiel: Ihr erstes Album „The Myth Of Rock“ erschien hierzulande auf Zoth Ommog, einem Label von Talla 2XLC. Davon abgesehen, dass es die wahrscheinlich am schlechtesten geschnittene LP aller Zeiten in meiner Sammlung ist, öffnete diese Connection natürlich Türen – und weckte Interesse. Was machten diese Leute denn da bitte? Und wie passte dieser Sound mit Bigod 20, Front Line Assembly und Armageddon Dildos (pfui Teufel!) zusammen? Consolidated waren weiße Dudes aus San Francisco, die die gesellschaftliche Realität in den USA lautstark anprangerten – vom Kapitalismus und der Vorherrschaft des industriell-militärischen Komplexes über Ungerechtigkeiten bei den Geschlechtern im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen bis zur Umweltzerstörung mit besonderem Fokus auf die Fleischindustrie. Und wie sich all das bedingt („The Sexual Politics Of Meat“). Tauscht man heute die referenzierten Personen und Unternehmen in den Raps und Samples gegen aktuelle Player aus: An der Situation hat sich nichts verändert.
Und aus UK kam das europäische Pendant: Meat Beat Manifesto. Nicht ganz so politisch, aber musikalisch ähnlich radikal. „Industrial“ halt, irgendwie. Und ja, ich werde irgendwann noch den Essay schreiben, warum dieser Begriff in der US-amerikanischen Musikszene immer kategorisch falsch verstanden wurde.
Und dann waren da noch The Disposable Heroes Of HipHoprisy. Wieder aus San Francisco. Alle drei Projekte fühlten sich miteinander verbunden (aus offensichtlichen Gründen), halfen einander aus und bildeten für mich die Speerspitze eines bewussten musikalischen und textlichen Umgangs mit der Scheiße der globalen Welt. Michael Franti und Rono Tse – die beiden Helden – waren keine Unbekannten und hatten zuvor bei den Beatnigs gespielt, einer Band, von der ich bis heute nicht einen Ton Musik gehört habe. Wahrscheinlich ein Fehler. Aber damals? Siehe oben.
Ich hörte das Projekt zum ersten Mal im Radio – im SFB (heute rbb) bei Johnny Haeusler (ihr wisst schon, der Chef der re:publica, der im Vorprogramm von Depeche Mode 1986 aus lauter Nervosität das Mikro hatte fallen lassen. In seiner Sendung hörte ich zum ersten Mal den Rap, der diesem Text voransteht:
„I'm the governor Pete Wilson you know, the baddest govenor to ever grab a mic and go BOOM!“
Wie gut das damals selbst im TV rüberkam ...
Pete Wilson war damals Gouverneur von Kalifornien. Und diese Zeile ist der Beginn der Coverversion der Heroes von „California über alles“ der Dead Kennedys. Auch wenn ich textlich ehrlich gesagt wenig bis gar nichts verstand, fand ich die Musik umso besser. Was nicht zuletzt auch an den collagierten Samples lag, die denen Franti und Tse ihre Tracks untermalten. Aber der Sound hatte im Gegensatz zu Consolidated und Meat Beat Manifesto auch einen ganz anderen musikalischen Dreh. Nicht nur auf die Fresse, nicht durch dirty und verzerrt, sondern tatsächlich vielfältig. Thematisch waren Franti und Tse hingegen nah bei Consolidated. USA: alles Scheiße. Fernsehen, Werbung, Ungerechtigkeit, AIDS: alles furchtbar und hausgemacht bzw. nicht angemessen begegnet. Johnny Haeusler verloste Comic-Hefte der Band (gut, die waren auch beim Major) und ich gewann eines. Und ging zum Konzert – mal wieder ins Loft am Nollendorfplatz. Das Album hatte ich auch schon gekauft.
Mit der LP „Hypocrisy Is The Greatest Luxury“ war ich so halb warm. Einige Tracks begeisterten mich damals schon. Das erwähnte „California über alles“, „Television, The Drug Of The Nation“, „Satanic Reverses“ und vor allem das smoothe „Water Pistol Man“, bis heute für mich einer der besten Songs aller Zeiten. Aber der Rest? Wollte nicht so recht zünden. Bis zum Konzert. Die beiden veranstalteten ein derart druckvolles PengPeng, dass die musikalische Wucht nur so auf das Berliner Publikum einprasselte. Tse stand „hinter Technik“ und schwang zwischenzeitlich die Kreissäge, was für ordentlichen Funkenflug sorgte, wenn er sie – mit Kontaktmikrofon oder ohne, keine Ahnung – auf eine Metallplatten drückte. Wäre heute auch nicht mehr möglich ohne Feuerwehrmensch am Bühnenrand. Aber wir standen mit offenen Mündern da und hätten heute wahrscheinlich „Yo“ gesagt.
Danach beschäftigte ich mit eingehend mit den Lyrics, prägte mir Teile ein, versank immer tiefer in den gleichzeitig komplexen und assoziativen Konstrukten, die aus dem CD-Player in meine Richtung kreisten.
Leider hat die Band neben einer nachfolgenden Single (die ich nie gehört habe) nach dem Album nichts mehr veröffentlicht. Consolidated und Meat Beat Manifesto machten weiter – bis heute. Erst beim Schreiben dieses Textes entdeckte ich, dass Consolidated im Frühjahr 2021 ein neues Album veröffentlicht haben. Werde ich mir demnächst mal anhören. Ich kann nicht sagen, dass ich mich seit dieser Phase konsequent mit HipHop beschäftigt habe. Aber es war ein Anfang. Der tatsächliche Türöffner kam nochmal zehn Jahre später. Immerhin. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.