KonzerterinnerungenSlowdive – Berlin, Loft, 16. Februar 1992
10.1.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteStargaze, Screengaze, Shoegaze: Slowdive waren in den 1990er-Jahren eine der einflussreichsten Bands aus UK überhaupt. Dass sich die Mitglieder vor wenigen Jahren wieder zusammengefunden haben und immer noch tolle Musik produzieren, ist ein Glücksfall der Geschichte. Das erste Album der Band aus Reading veränderte 1991 die Welt zum Besseren. Und im Februar ’92 spielte Slowdive in Berlin.
Ich dachte kürzlich mal wieder lange darüber nach, welche Platten ich mit auf die Insel nehmen würde, sollte die Fähre denn nun endlich mal losfahren. Eine unmögliche Aufgabe, eine wirklich valide Shortlist zusammenzustellen, ich weiß. Zumal ein überstrapaziertes Vehikel, um die wirklichen Lieblingsplatten aus dem Gedächtnis von Menschen heraus zu kitzeln. Und doch mag ich diese mentale Fingerübung ab und an. Die ersten drei Alben von Slowdive wären alle in meinem Koffer.
Über die Band von Neil Halstead, Rachel Goswell, Simon Scott, Christian Savill und Nick Chapman hatte ich wahrscheinlich im NME etc. gelesen. Und als „Just For A Day“ dann im September 1991 erschien, kaufte ich die CD mehr oder minder blind. Ich wollte das, was ich zuvor erfahren hatte, in Musik übersetzen. Natürlich interessierte mich auch, was auf Creation Records so ging.
„Just For A Day“ ist eines der Alben, ohne das ich mir mein Leben bis heute nicht vorstellen könnte. Immer und immer wieder läuft es rauf und runter, mal laut, mal leise, mal auf meiner immer noch aktuellen „Stereoanlage“, mal unterwegs. Die Songs sind so wunderbar deep, das Sound Design einzigartig. Das Album klingt für mich wie ein Schleudergang in Zeitlupe, in herrlich warmem Wasser, das auch noch toll duftet. Es sollte einige Jahren dauern, bis ich meine Faszination wirklich verstand und in Worte fassen konnte. Bislang war ich so einem Sound schlicht noch nicht begegnet. Der Mixdown von „Just For A Day“ ist für mich bis heute eigentlich unerreicht. Das stete Auf und Ab, die Klarheit im Verwaschenen der Gitarren-Gebilde … meine Güte!
Wie das live funktionieren würde oder könnte: Über meinem Kopf zwitscherten zahlreiche Fragezeichen in der Einlass-Schlange am Loft. Zumal ich den Raumklang dort immer dann besonders gut fand, wenn die Musik reduziert und knackig war. Tatsächlich war der Sound dann auch nicht wirklich gut – was aber überhaupt nichts machte. Ja, Rachel war ein wenig zu leise mit ihrem Gesang, das ist sie ja heute noch. Ich war vielmehr hin und weg von dem Drive, den die Musik live entwickelte. Das ging vor allem auf die Kappe von Simon Scott am Schlagzeug, der nicht nur wie ein Tier spielte, sondern sich im Unterschied zum Tier-Drummer der Muppets als eine ewig währende Triolen-Maschine entpuppte und mit Drumroll um Drumroll in unser aller Köpfen den Moonflower-Scheinwerfer ganz automatisch anschaltete. Voller Speed und unerwarteter Vertracktheit war dieser Gig eine der intensivsten 60 Minuten, die ich bislang in meinem Leben miterleben durfte.
Danach wurde meine Liebe zur Musik von Slowdive nur noch größer. Die beiden nächsten Alben – „Souvlaki“ von 1993 und produziert von Brian Eno und das episch-stille „Pygmalion“ von 1995 – zeigten in einer irren kurzen Zeitspanne, zu was diese Band fähig war. Ich kaufte rückwärts und natürlich auch vorwärts. Und war glücklich.
Persönlich kennengelernt habe ich die Band nie. Aus hier vollkommen unwichtigen Gründen schickten Neil und ich ein paar Mails hin und her. Und irgendwann rund um den Jahrtausendwechsel war es für etwa zwei Tage Thema, dass mein Musik-Partner Christian Kleine und ich das Soloalbum von Rachel produzieren sollten. Zum Glück ist es dazu nie gekommen. Ich hätte Männer-Windeln gebraucht vor lauter Ehrfurcht.