KonzerterinnerungenNitzer Ebb – Berlin, Loft, 15. Februar 1989
7.7.2021 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann Massute„LET YOUR BODY LEARN“! Nitzer Ebb waren so eine Brüllband, die mit breitbeiniger Attitüde den Geist der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft ins Englische übertrugen. Kann mensch von halten, was man will – nach der initialen Sturm-und-Drang-Phase veröffentlichten sie mit „Belief“ 1989 jedoch ein Album, das auch heute noch aus gutem Grund Kult-Status hat und wertgeschätzt wird. Thaddeus Herrmann war auf dieser Tour vor Ort. Zwischen Proto-Techno und dankenswerterweise wenigen Nazis regierte der Funk.
Beim Aufräumen fand Redakteur Thaddeus Herrmann einen dicken Stapel alter Konzerttickets – allesamt aus Berlin, von Gigs zwischen 1986 und 1994. Die Shows, die beim Betrachten der Karten sofort die Synapsen der Erinnerung flirren ließen, wird er in der Kolumne „Konzerterinnerungen“ aufarbeiten. So archivarisch-neutral wie möglich und so verklärt wie nötig.
Wie schreibt es sich eigentlich besonders laut? Die eingerastete Caps-Lock-Taste für Großbuchstaben kann doch nicht die einzige Möglichkeit sein. Ich frage, weil: Nitzer Ebb war eine besonders laute Band – und ich möchte das gerne abbilden. Irgendwie. Aber vielleicht muss das auch gar nicht sein.
Das Projekt von Bon Harris und Douglas McCarthy – das ist der Kern – machte sich in den 1980er-Jahren eine Namen als DAF-Nachfolger. Fans der Band mögen mich dafür steinigen, aber letztendlich war es dann doch genau so. Das lag vor allem an den so typischen Basslines, aber auch dem wütenden Gebrüll, verpackt in minimalistische Arrangements bei immer maximaler Lautstärke, gepaart mit dem passenden Grafikdesign, Military-Outfits und kurzen Haaren. So katapultierten sie sich mit Tracks wie „Warsaw Ghetto“ und „Let Your Body Learn“ in die Hitlisten ebenso kurzgeschorener Jungs weltweit.
Ich fand das so lala interessant. Zu zugespitzt und ein bisschen eindimensional. Vor allem aber mochte ich die kurzgeschorenen Fans nicht, die den Unterschied zwischen Links und Rechts aus den Augen verloren hatten, sollte er ihnen jemals bekannt gewesen sein. Mir turnten in den Clubs schlicht einfach zu viele Skins der falschen Sorte rum – und über den Dancefloor. Was schließlich dazu führte, dass ich mich von der Electronic Body Music vollkommen verabschiedete. Es war weder musikalisch noch von der politischen Haltung mehr zu ertragen. Abstraktionsvermögen und Einordnung? Fehlanzeige.
1989 schlug mein Interesse für Nitzer Ebb jedoch um. Anfang Januar veröffentlichte die Band ihr Album „Belief“. Und das war anders. Der Sound hatte sich gedreht. Die Basis war zwar noch ähnlich, die Tracks klangen aber komponierter, waren nicht mehr nur ein konstantes Gebolze, sondern plötzlich divers und voller Funk. Flood hatte „Belief“ produziert, der nur ein Jahr später mit Depeche Modes „Violator“ endgültig Weltruhm erlangen sollte. „Belief“ war der Hammer. Ist es noch. Derrick May schwärmte in Interviews jahrelang über den impact, den das Album damals in Detroit hatte. Songs wie „Hearts And Minds“, „Captivate“, „Blood Money“ oder „Without Belief“ hallen noch heute nach. Dazu kamen interessante B-Seiten der diversen 12"s („Time Sleeps By“ im Remix von Paul Kendall!). Dass sich die Band nur kurze Zeit später von George Clinton remixen lassen würde, war Anfang 1989 noch nicht zu ahnen, macht aus der heutigen Sicht aber komplett Sinn. Mit anderen Worten: Ich kaufte mir mal ein Ticket für das Berliner Konzert. Drecks-Aggro-Nazis hin oder her.
Von denen waren eh wenige im Loft. Wenn ich mich recht erinnere, machte Mark Reeder an diesem Abend die Tür am Nollendorfplatz – wie meistens. Vor dem hatte ich zwar einen mordsmäßigen Respekt, aber längst kapiert, dass der auch keine Nazis mochte.
Ich will hier nicht falsch verstanden werden: Eine gute Abfahrt ist absolut und immer willkommen. Und das konnten Nitzer Ebb. Steht mensch da einmal mittendrin, funktioniert auch das einfachste Gebollere. Und das von Nitzer Ebb war wie gemacht für das Loft. Wer den Club nie kennengelernt hat: Er zeichnete sich vor allem durch eine extrem niedrige Decke aus. Die Anlage war sehr gut, eignete sich aber nicht unbedingt für alle Arten von Musik. Je reduzierter, desto besser. Dann sprang einem die Bassdrum durch den Bauchnabel direkt in den Magen und ließ alle schweben, hüpfen, purzeln, wasauchimmer. Wie gemacht für Nitzer Ebb – mit jeder Menge E-Drums (komplett customized mit Halterungen für Sport-Trinkflaschen an der Seite) und ein paar Akai-Samplern. McCarthy war wunderbarstens auf Krawall gebürstet, brüllte sich derart die Seele aus dem Leib, dass mensch sich diesem Sog einfach nicht entziehen konnte. Da entschuldigt mensch auch jede Art übertriebener Breitbeinigkeit. Ich spiele mal das Frankfurter Konzert als Bootleg ein. Abbildung ähnlich.
Ein Jahr später lernte ich Nitzers dann kennen. Als sie wieder in Berlin spielten. Eine Etage höher vom Loft aus gesehen, im Metropol. Unsympathische Jungs. Und auch ein schlechter Gig, obwohl sie mit „Lightning Man“ einen echten Hit hingelegt hatten. Original: Killer. Remix von Barry Adamson? Killer. Und dann eben der Mix von George Clinton. Naja. McCarthy brüllte irgendwann auf einen Kommentar aus dem Publikum „Fuck Your Mama“. Scheiß drauf.
PS. Ich wünschte, ich hätte das T-Shirt von damals noch.
PPS: Warum ich von Nitzer Ebb hier immer in der Vergangenheit spreche? Weil ich mit Reunions so meine Probleme habe.