KonzerterinnerungenMarc Almond – Berlin, Metropol, 17. November 1988
11.4.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteMarc Almond ist viel mehr als der Sänger von Soft Cell und die Stimme von „Tainted Love“. 1988 sah ihn Thaddeus Herrmann zum ersten Mal auf der Bühne.
Es ist erstaunlich, wie oft ich Marc Almond live gesehen habe. Die Auswahl fiel entsprechend schwer, auch weil die Gigs nicht unterschiedlicher hätten sein können. Ich besprach das also mit den Boys in der Redaktion, hielt die Karten eine nach der anderen in die Webcam und bei diesem Ticket hier, zum 88er-Konzert zu seinem Album „The Stars We Are“, ergriff Kollege Wulff das virtuelle Mikrofon und sang „Something’s Gotten Hold Of My Heart“ von A-Z. Naja, fast, wäre die Runde nicht vor lauter popkultureller Bewunderung gen Boden gewandert. So stand die Entscheidung fest, auch wenn mein größter Marc-Almond-Moment rund anderthalb Jahre später in der Passionskirche in Berlin-Kreuzberg stattfand, als er sich in einem engen Body Suit auf dem Altar räkelte und Jaques Brel sang. Aber ich greife vor, bzw. schweife ab.
1988 also. Natürlich kannte ich Soft Cell. Und kaufte mich zur gleichen Zeit auch rückwärts durch den 12"-Katalog des Projekts von Almond und Ball, die es, warum auch immer, damals gerade wieder frisch gepresst im Laden gab. Das war schon deshalb einschneidend für mich, weil ich auf diesen Maxis sehr viel über die frühe Remix- und Edit-Kultur lernte, gekoppelt an Songs, die ich hart feierte. Die Solo-Arbeiten von Almond (bzw. seine Projekte Mark & The Mambas und Marc Almond & The Willing Sinners) hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört. Mir war das zu dieser Zeit noch fremd. Weil die musikalische Sprache eben nicht dezidiert elektronisch war. „The Stars We Are“ war näher an mir dran. Natürlich kaufte ich mir ein Ticket für das Konzert. Ich mochte das Album – es war ja auch angemessen kitschig.
Der Hype kam später. Almonds Cover von „Somethings’s Gotten My Heart“, dem Song von Gene Pitney, gab es zum Zeitpunkt des Konzerts noch nicht als Duett der beiden. Mich freute das natürlich, dass diese Version so durch die Decke ging. Almond war zu lange unter dem Radar geblieben, er verdiente die Aufmerksamkeit. Almond hat in seiner gesamten Karriere so viel Großes geschaffen, dass es nur recht und billig ist und war, dass man ihn allen Schlagerradio-Hörer:innen nach „Tainted Love“ wieder unter den Kopfhörer packen konnte und keine gefurchte Stirn erntete.
Und es waren auch alle da. Die Shows zum Album spielte Almond mit alten Bekannten, der alten Mambas-Gang, die sich inzwischen La Magia nannte: Annie Hogan, Billy McGee und Steven Humphreys. Sie hatten das Album produziert, und Bob Kraushaar hatte den Tracks den nötigen Schimmer und Kick verpasst.
Ich erinnere einen Thron. An alle, die auch da waren: Bitte helft mir. Bilde ich mir das ein? Oder saß Marc Almond wirklich mit Krone auf einen Prop-Hochstand und inszenierte sich als gütiger König mit großer Stimme? Doch, das war so. Die nicht zu bestreitende Eleganz des Album klang im Berliner Metropol ganz sachte angeschmirgelt und wurde natürlich durch ältere Tracks in ihrer ganz eigenen Kratzbürstigkeit immer wieder gebrochen. Es war meine erste Begegnung mit diesem unfassbaren Künstler jenseits des Vinyls, und ich war einfach hin und weg. Das Androgyne, das Nicht-Machohafte, die Verliebtheit in und der Fokus auf die Musik, die schwärmerischen Kompositionen – plötzlich machte alles Sinn für den Elftklässler der katholischen Privatschule. Was war ich dankbar! Und wie verzaubert ging ich heim.
Marc Almond ist für mich noch heute einer der Größten und Besten. Seine Jaques-Brel-Performance 1990, gefolgt von zwei Soft-Cell-Solo-Abenden 1991 und einer wirklichen Reunion Tour der Band viele Jahre später: Bei mir darf Almond alles.