KonzerterinnerungenJames – Berlin, Quartier Latin, 28. April 1992
29.11.2021 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteEs lebe der Mainstream. Es lebe die Popkultur, mit Musik, die laut und gemeinsam am besten ist. Musik, zu der alle gemeinsam im Moshpit der Emotionen hochspringen und sich voller Euphorie in die Arme fallen. In den frühen 1990er-Jahren gab es keine Band, die diesen Sound besser raus hatte, als James. Ein Erinnerungs-Snapshot aus Berlin, April 1992.
Nach The Cassandra Complex geht es heute um etwas musikalisch vollkommen anderes. James. Die Briten hatten mit „Sit Down“, „Come Home“ oder „How Was It For You“ Anfang der 1990er-Jahre ein paar fulminante Hits vorgelegt, zu denen in Indiehausen ordentlich geravt wurde. Natürlich war es alles andere als Rave. James waren Rock – und viele, also auf der Bühne. Für mich hatte der Sound immer etwas Pub-Rockiges. Hoher Mitsing-, pardon: Mitgröhl-Faktor, was wunderbar zu meiner verklärten Vorstellung von Samstagabenden in Pubs passte, bei denen die übergroßen Aschenbecher schon längst den Kampf gegen die Kippen aufgegeben hatten und die Bierlachen auf Tisch und Tresen den Rest besorgten. Noch ein Pint, gleich ist last order, die Glocke bimmelt, das Licht geht aus, dann wieder grell an, kommt gut nach Hause. Oder halt durch die Hintertür wieder rein, je nach Stimmung der copper in der Gegend. Natürlich werden diese Assoziationen der Musik von James kaum bzw. gar nicht gerecht. Aber so richtig feinsinnig, minimal und filigran war die Musik nicht. Muss ja auch nicht. Dafür waren die T-Shirts absoluter Kult. Als Longsleeve, immer eine Nummer zu groß, versteht sich, mit der großen Blume vorne drauf. Stimmen wir uns kurz ein.
Ende April 1992 spielte die Band in Berlin. Rund einen Monat zuvor war ihr neues Album „Seven“ erschienen, und das war irgendwie anders. Subtiler, frischer, offener. Ein paar der Tracks waren von Martin Glover aka Youth produziert worden. Der kam aus der Elektronik, war gefragter Remixer, hatte „Little Fluffy Clouds“ von The Orb produziert und mitgeschrieben und hatte keine Angst vor dem Mainstream. „Seven“ schien mir ein Wendepunkt für die Band, der 1993, als sie mit Brian Eno im Studio war und gleich zwei Alben dabei produzierte, noch deutlicher hervortreten sollte.
Zu vergleichsweise kleinen Venues wie dem Quartier Latin (1992 schon modernisiert und umgebaut) hatte die Band zu diesem Zeitpunkt offenbar schon ein wenig den Bezug verloren. Der Gig stand ohnehin unter keinen besonders guten Vorzeichen, denn die Verkehrsbetriebe streikten. Ich ich damals ins Quartier kam, erinnere ich nicht mehr. Ich muss wohl gelaufen sein, was so gar nicht zu mir passte.
Was auch nicht passte, war die ziemlich distanzierte Haltung von Sänger Tim Booth zum Publikum, bei dieser doch durch und durch fröhlichen Musik, wenn ich das so sagen darf. Der trug, wenn ich mich recht entsinne, eine große Sonnenbrille und eine überproportionierte Fellmütze. So wie die von Armin-Mueller-Stahl in Night On Earth, nur noch viel größer. „How is the strike going?“, war sein Einstiegsstatement, danach kam von ihm kaum noch etwas. Vielleicht war dieser Satz ein Zeichen der Empathie und Solidarität zwischen der britischen Arbeiterbewegung und den Berliner U-Bahn-Kolleg*innen, vielleicht aber auch nicht. Ist eh egal, denn die Horde Musiker spielte das hoch professionell runter und weg. Das kling despektierlich, ist aber überhaupt nicht so gemeint. Eine ganz fantastische Band.
Die ich danach und bis heute nie wieder live erlebt habe. Ihr 1993er-Album „Laid“ – das mit Brian Eno als Produzent – ist und bleibt ein Meilenstein für mich. Danach habe ich die Band nicht mehr aktiv verfolgt. Ich müsste mal Freundin B. fragen. Mache ich, wenn ich sie das nächste Mal im Kiez treffe. Sie ist die Expertin.