KonzerterinnerungenGalliano – Berlin, Tempodrom, 30. September 1992
25.4.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteAcid Jazz? Ein von der Industrie erfundener Hype. Danke, Gilles Peterson und sein gleichnamiges Label. Aber: Sensationelle Musik gab es dennoch. Galliano zum Beispiel. Zwischen HipHop, Funk und Soul zwirbelte die Band kulturelles Miteinander so perfekt wie kein Haute-Cuisine-Joint je geschmeckt hat.
Es gibt Abschnitte in meinem Leben, die ich heute nicht mehr stringent nacherzählen kann. Warum ich zum Beispiel im Herbst 1992 zum Galliano-Konzert gegangen bin – aus der Erinnerungen heraus „Blue Lines“ von Massive Attack erst viel später wertschätzen lernte. Nichts gegen Galliano, super Band, aber irgendwas passt da nicht zusammen. Nun: Es ist ja auch lange her und war wahrscheinlich sowieso ganz anders.
Ich schiebe es auf das Nachtleben. Ich war in Sachen Techno und House zwar ein Spätzünder, dem Großteil meiner Posse aber immer noch um Jahre voraus. Aber eine gemeinsame Jugend in Westberlin schweißt zusammen, natürlich gingen wir aus, und dieser Acid Jazz war nicht nur ein Ding, sondern auch ein wie auch immer gearteter Nenner.
Und: Das erste Galliano-Album „In Pursuit Of The 13th Note“ war wirklich groß! Die Platte zum Konzert – „A Joyful Noise Unto The Creator“ – schon nicht mehr so ganz, denke ich beim Hören heute. Und erinnere mich nicht ohne Schauer auf dem Rücken an ein paar weiße Jeans, ein dunkelrotes Longsleeve von Stüssy und gelbnahtige Docs (flach), mit denen ich meine gefühlten zweieinhalb Kilo Locken auf dem Kopf durch Berlin spazieren führte.
Auch wenn ich bestimmte Dinge heute nicht mehr stringent nacherzählen kann, verstehe ich sie doch besser. Dieses 92er-Album zum Beispiel. Welchen Einfluss Tracks wie „Totally Together“ hatten. Strukturell wie musikalisch. Und wie alles zusammenhing, weitergereicht wurde über Kontinente. A Tribe Called Quest, Massive Attack, Galliano, MC Solar, The Streets. I can see clearlier now.
Das Konzert war ein amtliches Happening. Ganz so, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht hatte. Galliano kamen und waren viele. Sehr viele. Und beglückten dieses Zirkuszelt Tempodrom in einer Zirkusvorstellung, die sogar ich mir freiwillig und ohne Wumme an der Schläfe anschauen würde. Ihr merkt schon: Zirkus ist eigentlich nicht mein Entertainment. Aber Energie, Rave und Consciousness kann ich. Und so gut gespielt! Ich mache mal noch ein zweites Fass auf: Dieser Gig war ungefähr so, wie sich Goldie seinen Support-Slot für Björk in der gleichen Location gewünscht hätte. Nur: Es hilft eben wenig bis gar nichts, wenn man (wie im Falle von Goldie), Macs, ProTools-Systeme und Server-Schränke auf eine große Bühne stellt und sonst nichts zu bieten hat. Bei Galliano war das anders. Acid Jazz als Schimpfwort hin oder her. Und hier schließt sich dann ganz am Ende doch noch der Kreis. Natürlich hätte ich das Label von Galliano – Talkin' Loud – auch anders oder später entdecken können. Die Drum-and-Bass-Perlen, die dort Jahrhunderte später erschienen, ob DJ Krust oder PFM-Remixe, sind für mich ein klares Indiz dafür, dass alles irgendwie zusammengehört.