KonzerterinnerungenFront 242 – Berlin, Metropol, 15. März 1989
24.1.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteOhne Front 242 hätte es die Electronic Body Music nicht gegeben. Vielleicht auch vieles andere nicht. Sonnenbrillen, schusssichere Westen, Camouflage und Tarnnetze: Das Auftreten der Band aus Belgien war militaristisch durchgestylt – und die Musik trotz aller ästhetischer Fragezeichen zukunftsweisend. Für ihr viertes Album „Front By Front“ spielte das Projekt im März 1989 im Berliner Metropol.
Wir alle blicken auf Schlüsselmomente zurück, in denen wir begannen, uns kulturell und gesellschaftlich zu finden, vielleicht sogar zu definieren. Als wir begannen, Anschluss zu haben und das geringe Wissen, das wir uns individuell erworben hatten, mit anderen zu teilen und so gestärkt voran zu kommen. Einer ist keiner, zwei sind mehr als einer. Die Entdeckung der elektronischen Musik war für mich so ein Schlüsselmoment – und ich war damit zunächst ziemlich allein. Depeche Mode, klar, das fanden die meisten gut, die anderen immer noch irgendwie okay. Pet Shop Boys, Alphaville ... ich könnte die Liste endlos fortschreiben. Alles super und auch wichtig. Aber trotz aller Verknalltheit in das Songwriting von Martin Gore, das textlich für mich kaum aufzulösende Riddle von „West End Girls“ oder den schlechten Akzent von Marian Gold war ich auf der Suche nach Energie. Das war wohl ausschlaggebend, warum ich für ein paar Jahre in der EBM verschwand. Und das geht nunmal nicht, ohne auch Front 242 zu hören.
Belgien. Aus diesem Land, in dem ich zu diesem Zeitpunkt noch nie gewesen war, kam so unglaublich merkwürdige Musik. 242, The Klinik, The Neon Judgement, à;GRUMH...: Ich fühlte das. Nicht alles, aber der Vibe stimmte. Punk hatte ich verpasst, Rock fand ich scheiße, Heavy Metal unerträglich, und die langhaarigen Lederbehosten in der Schule verstand ich einfach nicht. Deren Musik war für mich nicht am Puls der Zeit. Wie immer der ausgesehen haben mochte damals, im verträumten Westberlin, in der noch verträumteren Privatschule im Tiergarten. War aber egal: Wir kauften unsere Docs eh alle in der Uhlandstraße oder am Adenauerplatz.
Front 242 sind ja sowas für EBM wie Abba für Popmusik. Großer Sog also, Stars, die aber – ganz ehrlich – spätestens nach „Front By Front“ von 1988 immer merkwürdiger wurden. Was einfach nur bedeutet, dass sich das Projekt entwickelte, nach neuen Wegen suchte, die Dichotomie zwischen EBM und New Beat/Techno auflösen wollte.
Das 1988er-Album „Front By Front“ nahm ich bereits 2018 mit Martin Raabenstein unter die Lupe und dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Nach meiner ersten Live-Begegnung am 9. November 1987 in der Deutschlandhalle im Vorporgramm von Depeche Mode ging ich im März 89 natürlich ins Metropol am Nollendorfplatz. Denn: Das Album war gut – und die Single „Headhunter“ mit dem Video von Anton Corbijn sensationell.
Ein ästhetischer Clash. Die Männer aus Belgien in ihren Militärverkleidungen und mit dunklen Sonnenbrillen, viel Strobo, Nebel sowieso: Vielleicht war das der erste Rave, auf dem ich überhaupt war. Hit nach Hit nach Hit. Alles vom Band, alles egal. Gut, auch das stimmt nicht so ganz, aber wie der Sound von F242 auf der Bühne wirklich zustande kam, bliebt mir bis heute ein Geheimnis. Auch, weil ich einfach keine Zeit investieren will, um die internen Verhältnisse der Mitglieder zu durchsteigen. Wie sich das alles genau entwickelt hat, lässt sich gut in dieser Doku nachvollziehen.
Ich stand relativ weit hinten, ein wenig Sicherheitsabstand zum Bomberjacken-Aggro-Machismo vor der Bühne fand ich ganz passend. Wer weiß schon, was für Monster plötzlich aus den Tarnnetzen hervorpurzeln würden. Der Gig war schon sehr gut – tight und auf den Punkt. Was eigentlich bemerkenswert ist, denn – und das ist eine der Erkenntnisse aus der Doku – als Band, die regelmäßig probt und gemeinsam arbeitet, verstand sich Front 242 damals überhaupt nicht. Eher so: raus und los. Putzig war, dass während des Konzerts Team-Mitglieder mit Taschenlampen durch die Halle liefen, um Fotoapparate und Aufnahmegeräte einzusammeln. Wie sich der Musikzirkus doch mittlerweile gewandelt hat!
Live sah ich die Band nach diesem Gig nicht mehr. Es ergab sich einfach nicht. Was auch mit der Musik zu tun hatte, vor allem aber mit der Szene. Das folgende Album „Tyranny >For You<“ fand ich eher lala und mein Gott: Es gab schlicht und einfach auch Interessanteres. Und dennoch: Front 242 ist mir nach wie vor wichtig. Die Musik ist wie einer dieser Hochbunker. Die lässt sich nicht wegbomben.