KonzerterinnerungenFrank Tovey – Berlin, Loft, 02. Oktober 1988
10.6.2021 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteFrank Tovey war mal Fad Gadget. Ein Held der experimentellen, Pop-durchströmten elektronischen Musik. Und spielte 1988 in Berlin. An diesem Abend fing sich Thaddeus Herrmann seinen ersten, zum Glück nur temporären, Tinnitus ein.
Beim Aufräumen fand Redakteur Thaddeus Herrmann einen dicken Stapel alter Konzerttickets – allesamt aus Berlin, von Gigs zwischen 1986 und 1994. Die Shows, die beim Betrachten der Karten sofort die Synapsen der Erinnerung flirren ließen, wird er in der Kolumne „Konzerterinnerungen“ aufarbeiten. So archivarisch-neutral wie möglich und so verklärt wie nötig.
Wenn ich zurückblicke, dann waren die späten 1980er-Jahre tatsächlich die prägendste Zeit in meiner musikalischen Richtungssuche. Ich fühlte mich alt genug, um das, was mich faszinierte und begeisterte, als Teil von mir anzunehmen – und die stete Verwirrung und Irritation bei meiner Forschung als Herausforderung zu verstehen. Einer meiner wichtigsten Anknüpfungspunkte damals war Mute Records. Als Depeche-Mode-Fan wühlte ich mich konstant durch den Katalog des Labels, wollte alles toll finden und natürlich auch begreifen. Ein bisschen naiv, aber ich bin froh, dass ich all die Platten, die ich damals in 2nd-Hand-Läden, auf Flohmärkten und im WOM zusammenklaubte, immer noch habe.
Fad Gadget verstand ich sofort. Erst die Singles-Compilation, dann die Singles selbst und ihre B-Seiten, die eine oder andere 12", die Alben. Der gleichzeitig radikale und doch zugängliche Umgang von Frank Tovey mit Elektronik und Songwriting zwischen Noise und Pop wuchs mir ans Herz. Seine erste 7" „Back To Nature“, natürlich „Ricky’s Hand“ oder sein unfassbar deepes Album „Under The Flag“ von 1982 sind für mich noch heute Meilensteine.
1988 war Fad Gadget bereits Geschichte. Nach seinem vierten Album (mit „Collapsing New People“, seiner Zusammenarbeit mit den Neubauten) legte er das Projekt zu den Akten und veröffentlichte fortan unter seinem bürgerlichen Namen Frank Tovey. „Civilian“ – von 1988 – war seine zweite LP, die so entstanden war. Ich mochte die neue visuelle Ästhetik (die Fotos schoss Anton Corbijn), aber auch die Musik („Bridge St. Shuffle“ – großartig). Natürlich ging ich zum Konzert. Und so begann die Zerstörung meiner Ohren – am 2. Oktober 1988 im Berliner Loft.
Wirklich voll war es nicht, wenn ich mich recht erinnere. Ich wusste, dass Tovey auf der Bühne eher unberechenbar ist und man schon mal in Deckung gehen sollte. Ich meine: Ich war sechzehn und beileibe kein Punk.
Doch zunächst kamen die Mute Drivers auf die Bühne. David Rogers und Steve Wright waren tatsächlich mal als Lieferanten des Mute-Labels durch die Gegend gefahren und nannten sich so. Ich erinnere eine Gitarre, einen Bass und einen Drumcomputer. Obwohl ich mit ihrer Musik eigentlich gar nichts hätte anfangen dürfen, fand ich sie sensationell. Und kaufte hinterher am Merch-Stand alle Platten, die es gab. Dass das geklappt hat, ist ein kleines Wunder. Denn ich hörte nichts mehr. Wir hören dennoch mal kurz rein.
Und dann kam Frank Tovey. Meine Güte, war der schlecht drauf. Die Mute Drivers waren seine Backing Band, und es wurde nochmal lauter. Ich erinnere zwei Details. Zum ersten trat Tovey einen Walkman einer Besucherin von der Bühne. Nicht cool. Und dann, dass er eine Grubenlampe an langem Kabel knapp über den Köpfen der Crowd kreisen ließ, die Lampe schließlich auf der Bühne zerdepperte, sich mit einer Scherbe die Hand aufschnitt, von der Bühne runter ins Publikum sprang und mit dem Kommentar „Do you want some AIDS?!“ Händeschütteln anbot. Der Gig als solches war OK. Und danach hörte ich nichts mehr außer einem strengen Pfeifen in den Ohren.
Am nächsten Morgen saß ich im Leistungskurs PW und war ganz bei mir – und dem Pfeifen meiner Ohren.
Ich sah Tovey Jahre später nochmal live – im Vorprogramm als Fad Gadget für Depeche Mode. Er hatte seinen alten Künstlernamen wiederbelebt – ohne neue Musik. Er brüllte immer nur „DEPECHE“ zwischen den Tracks. Das war ein bisschen traurig. Und Ironie des Schicksals. Denn schließlich hatten Depeche Mode ihren Vertrag bei Mute nach einem Gig im Vorprogramm bei Tovey bekommen.
Persönlich kennengelernt oder interviewt habe ich ihn leider nie. Tovey starb am 3. April 2002.