KonzerterinnerungenFirst Love Party – Berlin, Halle Weißensee, 5. Juli 1991
9.5.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteEin gutes Jahr lang hat Redakteur Thaddeus Herrmann sein Konzertkarten-Archiv der späten 80er- und frühen 90er-Jahre Revue passieren lassen. Heute endet die Reihe. 20 Episoden, 20 Mal wie auch immer geartete Abfahrt. Da passt es gut, dass der 20. und letzte Teil sich um gar kein Konzert dreht, sondern um eine Party: die Eröffnungsfete zur Love Parade 1991.
Es ist in dieser Reihe immer wieder angeklungen: In Sachen Techno war ich ein echter Spätzünder. 1991 hatte ich wahrscheinlich meine ersten Berührungspunkte mit dieser für mich neuen Musik. Weit davon entfernt, den Groove und alles andere zu verstehen, interessierte mich es mich dann doch. Die Loveparade 89 und 90 hatte ich nur im TV verfolgt – und mich wahrscheinlich köstlich amüsiert. Über die Smileys auf den Shirts, den Sound in den P.A.s, die bunten Haare, das Sich-gehen-Lassen. Ich war immer noch ein improvisierter Schwarzkittel, dem Wave, EBM und Synth-Pop alles bedeutete. Aber: Das war doch Elektronik, das war doch zum Tanzen – warum zum Teufel wollte der Funke bei mir nicht überspringen? Wenn über die Frankfurt-Connection mit all ihren Labels und Künstler:innen das nicht schon Beat für Beat in meine Welt geschwappt wäre, hätte ich diese kleine Weltreise nach Weißensee wohl nie auf mich genommen.
Die Tram brachte uns hin – wenn ich recht erinnere, war ich mir Freund A. unterwegs. Wir hatten gerade gemeinsam Abitur gemacht. Der Sommer ohne Aufgabe lag vor uns, das Interrail-Ticket war gebucht, die Uni noch weit weg, Praktika und Berufsplanung unwirtliche und unpassende Perspektiven am Horizont. Locker lassen. Lernen. Ich will nicht ausschließen, dass wir Leuchtstäbe dabei hatten.
Die Tram ruckelte also von der Friedrichstraße direkt bis zur Halle Weißensee, quietschte ordentlich in der Wendeschleife und spuckte uns aus. Punkt 22 Uhr waren wir da – natürlich viel zu früh. Was wussten wir schon. An das späte Ausgehen konnte ich mich aber in den folgenden 30 Jahren auch nie gewöhnen.
Die Halle Weißensee war eine amtliche Industrieruine und doch legendär. Und noch viel mehr: aus heutiger Sicht zukunftsweisend. Hier wurden Elektromotoren gefertigt, lange bevor die Elektromobilität Thema wurde. Für die Lufthansa wurden Motoren gebaut genau wie für die Zeppeline, die den Atlantik überquerten. Und auch in DDR-Zeiten galt hier das Motto: Elektro rules. Was für eine Koinzidenz!
Aber: Die Halle war dann eben doch vor allem eine Ruine. Es ist die Location, in der Kraftwerk später im gleichen Jahr – 1991 – einen Gig absagten bzw. verschoben. Nein, das geht nicht, viel zu staubig, da gehen unsere Maschinen kaputt. Bitte sauber machen, dann holen wir das nach. Kam dann auch so – aus dem 26. Oktober wurde der 24. November 1991. In dieser Zeit wirbelten Staubsauger durch die Halle. Ich weiß noch genau, dass ich ein Ticket für das Berliner Konzert hatte, dann aber nicht hinging. Weil ich auf dem oben erwähnten Interrail-Trip die Band in London, in der Brixton Academy gesehen hatte. Schwer zu toppen. Und eben deutlich gemütlicher als in Weißensee. Was aus der Halle heute geworden ist? Schon schlimm, irgendwie.
Aber zurück zur Parade-Party. Das Line-up war aus meiner heutigen Sicht sensationell. Damals jedoch verstand ich das alles noch nicht so recht. The Hypnotist – LIVE. Tanith, Roland, Loopzone (Mijk van Dijk), Talla (jaaa!). Was ich davon nun wirklich gesehen, bzw. im Nebel hörte, erinnere ich nicht. Ich kam mit der Halle nicht wirklich zurecht. Zu karg. Ich hatte das Raven noch nicht gelernt. Und wollte ja auch zur Parade am nächsten Tag, ruckelte also irgendwann mit der Tram wieder gen Innenstadt.
Auch die Parade erinnere ich kaum. Einen Aha-Moment hatte ich dann ein Jahr später, 1992. Es schüttete immer wieder wie aus Kübeln und ich lief einem Wagen hinterher, auf dem „Raving I'm Raving“ von Shut Up And Dance lief. Ich muss mir auch irgendein buntes T-Shirt gekauft haben, denn am Montagmorgen wurde ich an der Uni – irgendein Seminar bei den Amerikanist:innen – aus den Augenwinkeln latent schief angeguckt. Und ich? Summte nur „Raving I'm Raving“. Diese 12" zu ergattern – das Original, die echte Version, sollte Jahre dauern.
Mit mir und dem Techno dauerte es dann nicht mehr Jahre. Der Schalter legte sich einfach um. Platten kaufen, ausgehen, Radio hören, abtauchen. Journalist werden – mit dem Ziel, diese Musik abzubilden und einzuordnen. Das ist mir hoffentlich einigermaßen gut gelungen. Vorbei ist dieser Weg noch nicht, auch wenn ich heute als erklärter Techno-Rentner, dem die Deepness immer wichtiger war als die Abfahrt, die Reflexion mehr bedeutete als das tagelange Verschwinden in den Beats, vielleicht alles gesagt habe, was ich sagen kann und konnte.
To The Youth. And The Bassdrum. Wir sehen uns auf einem Konzert. 👋