KonzerterinnerungenDepeche Mode – Berlin, Deutschlandhalle, 9.11.1987 (und Waldbühne, 18.05.1986)
26.5.2021 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteDouble-Feature! Depeche Mode 1986 und 1987 in Westberlin. Thaddeus Herrmann ist weiterhin auf einem Trip in die Vergangenheit – für die Konzerterinnerungen.
Beim Aufräumen fand Redakteur Thaddeus Herrmann einen dicken Stapel alter Konzerttickets – allesamt aus Berlin, von Gigs zwischen 1986 und 1994. Die Shows, die beim Betrachten der Karten sofort die Synapsen der Erinnerung flirren ließen, wird er in der Kolumne „Konzerterinnerungen“ aufarbeiten. So archivarisch-neutral wie möglich und so verklärt wie nötig.
DM hatte ich zum ersten Mal ein Jahr zuvor live erlebt – im Mai 1986 in der Waldbühne. Ich war 14, und mein Schulfreund O und ich hatten uns einfach Tickets gekauft. Heute wäre das unvorstellbar, wir beiden Kids gingen zum Eingang und der Kontrolleur wünschte uns viel Spaß. Erziehungsberechtigte? No issue.
Ende 1987 fühlte sich das Ganze schon ernsthafter an. „Music For The Masses“. Wir trafen uns am späten Nachmittag vor der Deutschlandhalle. Die ist heute abgerissen, dort steht jetzt der CityCube als Teil des Messegeländes. Neben der Eissporthalle um die Ecke war die Deutschlandhalle in Westberlin eine klassische Mehrzweckhalle, in der ich zahlreiche Gigs sah: Frankie Goes To Hollywood zum Beispiel oder David Bowie. Und auch auch andere „tolle“ Dinge. Wie eine CDU-Wahlkampf-Veranstaltung, zu der ich als überzeugter Linker einfach hingegangen war, um zu erleben, wie Roberto Blanco auf die Bühne kam und sagte: „Ich fühle mich hier sehr wohl. Lauter Schwarze.“ So war das damals eben in Westberlin.
Wir trafen uns so früh, um schnell reinzukommen und uns gute Plätze zu sichern. Wir, das waren meiner Erinnerung nach ich und drei Freundinnen: A, D und S. Wir hatten die Band schon zwei Monate vorher auf der IFA gestalkt und Autogramme bekommen. Dort, auf dem Messegelände, bei einem Auftritt für das österreichische Fernsehen, drückten wir unsere Band-Fotos der Aufnahmeleiterin in die Hand und sagten bitte, bitte. Beim Auftritt selbst kam dann Sänger Dave Gahan auf die Bühne und zuerst zu uns, mit den unterschriebenen Bildern.
Ich landete tatsächlich in der ersten Reihe am Absperrgitter. Reingeschmuggelt hatte ich einen Walkman von Sanyo, der aufnehmen konnte. Ich liebe Live-Aufnahmen und versuchte so oft wie möglich, selber welche zu machen. Das war natürlich in der ersten Reihe eine ausgesprochen dumme Idee – weil: Ganz vorne klingt es halt wie Hundescheiße. Aber das war mir mit 15 Jahren egal.
Vorgruppen haben es bei Depeche Mode traditionell schwer. Es ist einfach praktisch unmöglich, zu beeindrucken. Nicht so auf dieser Tour, bei der Front 242 den Slot übernahmen. Mit Tracks wie „Masterhit“ oder „Quite Unusual“ hatten die Belgier die Halle einigermaßen auf ihrer Seite. Und dann kamen Depeche Mode.
Während des Intros – „Pimpf“ –, stand ein Sicherheitsmännchen im Konzertgraben plötzlich vor mir und nahm mir meinen Walkman ab. Sein gutes Recht. Ich fluchte und versuchte, meine gute Stimmung wiederzubekommen. Die Hits prasselten auf uns ein. So nah dran zu sein an meinen Idolen entschuldigte auch den schlechten Sound in der ersten Reihe. „Strangelove“, „The Things You Said“ und natürlich „Never Let Me Down Again“ regneten auf auf mich nieder und ich war im Himmel. Ich konnte und wollte das nicht kontextualisieren. Dazu fehlte mir schlicht die Erfahrung. Und auch was am nächsten Tag in der 1. Stunde auf mich wartete, war mir egal.
Das ging so knapp zwei Stunden. Das Saal-Licht ging an, und das Sicherheitshalber-Männchen gab mir meinen Walkman zurück. Kudos dafür. Ich kaufte ein Programmheft und fuhr nach Hause.
Zurück nach 1986
Dankenswerterweise wurde mir nach der Veröffentlichung des ersten Teils dieser Kolumne spontan und poraktiv das Ticket des 1986er-Gigs in der Waldbühne zugespielt. Darum kann ich darüber nun auch noch ein paar Worte verlieren. Zum Fan von Depeche Mode wurde ich im Sommer 1984, als sich die ARD überlegt hatte, den Song „People Are People“ zum Titelsong ihrer morgendlichen Zusammenfassung der Olympischen Spiele in Los Angeles zu machen. Fand ich toll. Ein Jahr später – auf Klassenfahrt – hatte eine andere Freundin mit dem Namen A dann „Shake The Disease“ auf Tape dabei. So geil. Im Mai gingen ich und O dann also in die Waldbühne.
Von den Konzert selbst erinnere ich vergleichsweise wenig. Ich war ein bisschen überfordert. Denn natürlich hatten wir uns gleich nach unten auf die Rasenfläche vor der Bühne – in den Pit – vorgekämpft. Dort sahen wir zunächst die beiden Vorgruppen. Die erste waren Helden unserer Bubble: Plan B, die Band von Johnny Haeusler (heute Spreeblick, re:publica). Johnny hatte auf unserer Schule Abi gemacht – und war vor derartig vielen Menschen so nervös, dass er erstmal das Mikro fallen ließ. Bähm! Die zweite Vorgruppe war die New Yorker Band Book Of Love. Feiner Synth-Pop. Getourt hat die Band danach meines Wissens nach nie wieder in Europa – die ersten beiden Alben bedeuten mir aber noch heute viel. Tatsächlich „borgte“ ich mir in meiner kurzen Breakbeat-„Karriere“ ein paar Jahre später eine Ballade ihrer zweiten LP – „Lullaby“ – für ein Happy-Hardcore-Sampling.
Leider gibt es meine Version nicht mehr bei YouTube – wohl ein Copyright-Problem. Schade, aber toll. Kauft einfach die 7”.
Und Depeche Mode? Im Pit – also auf der Rasenfläche – wurde es mir schnell zu viel. Ich kam nicht zurecht mit den älteren Leuten, die sich schnell in eine Art Pogo trancten. O und ich verzogen uns auf die Ränge, bzw. O folgte meiner Aufgabe des Platzes. Die Musik war toll, ich war aber wohl einfach noch ein Jahr zu jung.