KonzerterinnerungenCocteau Twins – Berlin, Metropol, 19. Mai 1994
28.2.2022 • Kultur – Text: Thaddeus Herrmann, Montage: Susann MassuteBands suchen nach ihrem eigenen Sound. Im besten Fall entsteht dabei der so genannte „Signature Sound“, Klang also, der für alle Zeiten mit genau dieser Band assoziiert wird. Die Cocteau Twins haben diese Fähigkeit perfektioniert. 1994, als die Geschichte der Band fast schon vorbei war, spielten sie in Berlin.
Ich war ein fürchterlicher Spätzünder, was die Cocteau Twins angeht. Selbst 1994, als ich die Band das erste und einzige Mal live erlebte, war ich noch skeptisch. „Heaven Or Las Vegas“ – für viele das Album der Band von Elizabeth Fraser, Robin Guthrie und Simon Raymonde – war faktisch an mir vorbeigesegelt. Ich ging eigentlich nur ins Metropol, um eine 4AD-Band zu sehen, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr beim Londoner Kult-Label war, sondern es sich beim Major Fontana bequem gemacht hatte. Das Album zur Tour „Four-Calender Café“ kannte ich, war aber besonders von den Tracks von Elizabeth Fraser fasziniert, die sie für das 4AD-Allstar-Projekt This Mortal Coil aufgenommen hatte. Viele Jahre zuvor, jedoch erst seit kurzer Zeit auf meinem Radar. Diese Songs – „Song To The Siren“ von Tim Buckley und „Another Day“ von Roy Harper – trieben mich um und tun es bis heute.
Mein Knoten in Bezug auf die Cocteau Twins platzte tatsächlich erst ein Jahr nach dem Berliner Konzert und der EP „Otherness“, auf der Mark Clifford vier Tracks der Band zerlegte. Als Mastermind von Seefeel wusste er sehr genau wie das geht. Ich erinnere sehr genau, wie mein Freund O. und ich mit diesen Remixen bei gleißendem Sonnenschein durch den US-Bundesstaat Georgia kurvten – auf der Suche nach Schatten und einem Eisbecher. O. war eher so Team Beatles. Und wir feierten die Mixe dennoch oder vielleicht sogar genau deshalb hart – vor allem natürlich Cliffords Interpretation von „Cherry Coloured Funk“.
Heute glaube ich, die Musik der Cocteau Twins zu verstehen. Ob rough oder sweet: Ich kann mich da reinlegen und für geraume Zeit nicht mehr auftauchen. Das durchaus Exaltierte von Elizabeth, die bewusst „falschen“ Betonungen in den Vocals, verbunden mit einem abstrahierten schottischen Akzent, immer und immer wieder gedoppelt, verfremdet und verändert. Dazu der obskur gestimmte Gitarren-Sound: Cocteau Twins sind einfach ein großer Multi-Effekt, der auf allen Kanälen tief ins Rote auspegelt. Studio-Musik. Entsprechend vermatscht klang die Performance im Metropol in meiner Erinnerung. Ich hatte aber auch keinen sonderlich guten Platz ergattern können. Vielleicht ein Glücksfall, denn durch den verwaschenen Sound und die Dringlichkeit der Konzerts, schwappte Songs für Song ein wenig mehr Klarheit in meinen Kopf. Während Sängerinnen wie Lisa Gerrard von Dead Can Dance die volle Aufmerksamkeit bei Gigs auf sich zieht – durch ihre schiere Bühnenpräsenz –, verschwand Elizabeth Fraser fast vollkommen im Licht und Sound und beherrschte letzteren dann eben doch.
Und heute glaube ich auch, dass die Musik der Cocteau Twins ein großes Geschenk war und bleibt.