„Ein Gegenentwurf zu der gentrifizierten Realität in Berlin-Mitte“Interview: Julie Gayard und Johannes Braun vom „Acud macht neu“
23.5.2019 • Kultur – Interview: Thaddeus HerrmannDie Veteranenstraße in Mitte ist eine der Keimzellen der Berliner Kunst- und Clubkultur. Hier entstand 1991 das ACUD, ein Kunsthaus, in dem in zahlreichen Disziplinen der Umbruch zwischen West und Ost, Sozialismus und Kapitalismus kreativ begleitet wurde – natürlich auch mit Club-Betrieb. Im Keller des Hauses fanden die ersten Drum-and-Bass-Partys der Stadt statt. Seit 2014 betreiben Julie Gayard und Johannes Braun an dieser Stelle das ACUD MACHT NEU. Auf drei Flächen – dem Club mit angeschlossenem Hof, dem Studio und in der Galerie – arbeiten sie an der Schnittstelle zwischen Musik, Kunst, Installation, Diskurs und Performance. Und natürlich immer noch mit Club-Betrieb. Sie bieten so Künstlerinnen und Künstlern ein Umfeld, das es in der gentrifizierten Hauptstadt immer weniger gibt.
Wie seid ihr überhaupt mit der Club-Kultur in Berührung gekommen?
Julie Gayard: Wir sind beide in Berlin aufgewachsen und auch miteinander verwandt: Wir sind Cousine und Cousin. Um das Jahr 2000 herum haben wir angefangen, im WMF die Visuals für die Kaleidoskop-Abende zu gestalten, jeden Donnerstag. Ich habe damals auch die Grafik für das Sonar Kollektiv gemacht. In dieser Zeit entstand auch Jutojo, unser Design-Studio für Film, Grafik und Audiovisuelles, wo wir für viele Kunden aus dem kulturellen Sektor Projekte umgesetzt haben.
Johannes Braun: Ich komme ursprünglich aus der Architektur und habe mich bei Jutojo vor allem um die räumliche Umsetzung unsere Projekte gekümmert. Video, Film, Installation – wie lässt sich das am besten präsentieren.
Warum habt ihr euch 2014 entschieden, das Acud vor der Insolvenz zu retten und Teile des Hauses zu übernehmen?
Julie Gayard: Wir kannten das Acud natürlich aus den 1990er-Jahren. Uns war klar, dass der Ort nach wie vor Potenzial hatte, auch wenn vor unserem Einstieg jenseits des Theaters und des Kinos hier nicht mehr viel passiert war. Wir standen mit jemandem in Kontakt, der hier arbeitete und haben uns dann dazu entschieden, es zu versuchen. Damals wurden drei Flächen hier im Haus überhaupt nicht mehr bespielt: der Club, das Studio und die Galerie. Wir haben einen Kredit aufgenommen und das Haus gekauft. Unser Programm hat sich dabei Schritt für Schritt entwickelt. Uns war dabei von Anfang an wichtig, mit dem Theater und dem Kino zusammenzuarbeiten. Heute kümmern wir uns um die Partys und Konzerte, aber auch um Workshops, Ausstellungen und Vorträge, die hier stattfinden.
„Wir wollten ganz offen an die Sache herangehen und dem Ort eben kein neues Konzept aufstülpen. Vielmehr ging es darum zu schauen, wie man hier Dinge entwickeln kann.“
Johannes Braun: Diese Diversität ist wichtig. Das Haus wurde damals mit Fördergeldern der Stadt saniert, in der die Nutzung als Kunsthaus langfristig festgelegt wurde. Wir wollten von Anfang an ganz offen an die Sache herangehen und dem Ort eben kein neues Konzept aufstülpen. Vielmehr ging es darum zu schauen, wie man hier Dinge entwickeln kann – gemeinsam mit unserem Netzwerk und Freundeskreis. Da spielen mehr Dinge eine Rolle als nur Musik oder nur Kunst. Wir haben uns auch nie als diejenigen gesehen, die das langfristig mitgestalten wollten. Der Name „Acud Macht Neu“ sagt es ja schon: Unser Engagement war als Anschub gedacht, das Haus neu zu beleben und es dann irgendwann wieder in andere Hände zu geben. Club-Betreiber wollten wir nie sein. Nun sind wir es immer noch. Aus so einer Nummer kommt man auch nicht so leicht wieder raus.
Das hört man ja immer wieder. Viele sagen dann, dass es trotz der vielen Arbeit ja auch eine schöne und erfüllende Erfahrung ist. Wie ist das bei euch? Warum seid ihr dennoch fünf Jahre dabeigeblieben?
Johannes Braun: Für mich steht immer das Haus im Vordergrund, was hier für unterschiedliche Dinge passieren und im Idealfall auch miteinander passieren. Synergien und Schnittmengen sind wichtig. Ich sehe das Acud als Gegenentwurf zu der gentrifizierten Realität in Berlin-Mitte, als offenen Freiraum, wo ganz unterschiedliche Menschen aufeinander zukommen können, niemand ausgeschlossen wird und es auch keine Schwelle gibt, bei der die Menschen denken könnten, dass sie hier nicht hingehören.
Julie Gayard: In Mitte hat es sich mittlerweile etabliert, dass hinter allen Läden, die neu eröffnen, ein klar definiertes Konzept steht. Es geht nicht mehr darum, dass sich Dinge langsam entwickeln und vor allem auch immer wieder verändern. Bei uns schon.
Johannes Braun: Das leben wir hier. Man kann das Acud auch durchaus als ein Mehrgenerationenhaus begreifen. Die Betreiberin des Kinos macht das seit 1991, und auch das Theaterteam ist schon sehr lange dabei. Wir holen im Club zusammen mit den Veranstaltern eher die jungen Leute dazu. Die Altersspanne geht hier von 20 bis 60.
Ihr kümmert euch um Club, Studio und Galerie. Warum gleich drei Räume? Ihr hättet euch auch dafür entscheiden können, nur den Club neu zu beleben, das wäre die offensichtliche Lösung gewesen. Wie verhalten sich die drei Spaces zueinander?
Johannes Braun: Wir wollten von vornherein keine Diskothek aufmachen und waren eher an Programm-Schwerpunkten interessiert. Musik allein würde dem Haus auch nicht guttun.
Julie Gayard: Das war ja ab den 2000er-Jahren der Schwerpunkt: HipHop, Techno, Reggae, Jam-Sessions – als wir beim Bezirk eine Schanklizenz beantragt haben, wurden wir zunächst etwas komisch angeschaut. Es waren krasse Jahre, die bei den Nachbarn auch Spuren hinterlassen hatten.
Johannes Braun: Wir kommen ja aus der Club-Kultur. Hier aber ausschließlich Partys zu veranstalten, kam für mich nie in Frage. Musik ist ein Teil des Ganzen. Es geht schon eher um das Interdisziplinäre. Es muss zusammen passen.
Julie Gayard: Und die Qualität muss stimmen. Der Club hat 100 Quadratmeter. In so einem Raum kann man auch nur begrenzt Geld verdienen, wenn man nicht fünf Tage nonstop Party machen will. Stattdessen haben wir zum Beispiel die Reihe „Amplify“ aufgesetzt, bei der bekannte Musiker*innen über mehrere Wochen mit jungen Leuten an neuer Musik arbeiten und die Ergebnisse dann an einem Konzertabend präsentieren. Eigentlich ein klassisches Mentoren-Programm. Dabei spielt Club-Musik natürlich auch eine große Rolle, aber nicht ausschließlich. Musik lässt sich auch jenseits der klassischen Party denken.
In den vergangenen Jahren hat sich die Ausgehkultur sehr verändert. Das Angebot ist viel öfter durchformatiert, es gibt weniger Nischen. Aber auch die Erwartungshaltung des Publikums ist nicht mehr die gleiche. Wie seht ihr euch selbst und eure Rolle hier im Bezirk und der Stadt? Kunsthaus, interdisziplinäres Arbeiten, kein ausschließlicher Fokus auf Partys – das klingt alles total schön, aber auch sehr romantisch und aus der Zeit gefallen.
Julie Gayard: Aber tatsächlich werden genau solche Orte wieder viel wichtiger – weil es sie eben kaum noch gibt! Es ist total zeitgemäß, weil Künstler*innen aus allen Bereichen darauf angewiesen sind. Bei kreativer Arbeit geht es doch immer um den Austausch, das gegenseitige Kennenlernen und nicht nur darum, mit einem fertigen Produkt in hermetisch abgeschlossenen Rahmen auf Festivals aufzutreten.
Johannes Braun: Dieses Bewusstsein hat sich in der Stadt wieder sehr geschärft. In den 1990er-Jahren hat sich niemand darüber Gedanken gemacht, was passieren würde, wenn diese Freiräume plötzlich nicht mehr da wären. Heute lebt Berlin immer noch von diesem Ruf, und es kommen gerade in den letzten Jahren immer mehr Künstler*innen aus dem Ausland hierher – wirklich tolle Leute. Es gibt also mehr Bedarf denn je. Interessant dabei ist, dass Mitte in dieser Diskussion eigentlich kaum noch eine Rolle spielt. Die Menschen gehen ja eigentlich in anderen Bezirken aus. Das ist manchmal auch eine Herausforderung, die Leute hierher zu bekommen. Aber wenn sie dann da sind, bleiben sie auch. Laufpublikum ist bei uns die Ausnahme. Zu uns kommt man ganz bewusst. Wir sitzen hier aber auch in einer ungewöhnlichen Ecke in Mitte – total zentral, aber dennoch etwas ab vom Schuss. Ich habe das Gefühl, dass sich trotz allem Wandel hier in dieser und den umliegenden Straßen das Gefühl von damals noch ein wenig gehalten hat. Viele Leute wohnen hier schon seit 30 Jahren oder länger und können immer noch stundenlang im gleichen Café sitzen wie damals.
Julie Gayard: Dass wir kaum Laufpublikum haben, hat sich gerade bei den Partys und Konzerten als großer Vorteil herausgestellt in der letzten Zeit. Einige Veranstalter machen ihre Events mittlerweile lieber bei uns als in Kreuzberg oder Neukölln. Einerseits, weil wir hier beides anbieten können: Party und Konzert. Andererseits aber auch, weil das Publikum dort oft viel zu beliebig ist und gar nichts mit dem Booking des Abends anfangen kann – es einfach reinkommt und sich dann über die Musik beschwert.
Johannes Braun: Wir merken auch, dass uns die Anwohner sehr positiv gesonnen sind. Die sind froh, dass hier in der Gegend überhaupt noch was passiert. Und tatsächlich sind wir ja auch mit der ersten Generation der Kinder und Jugendlichen konfrontiert, die in diesem gentrifizierten Mitte geboren und aufgewachsen sind und gar keine Orte haben, wo sie rumhängen können. Die stehen dann am Wochenende mit dem Späti-Wodka vor der Tür und wundern sich, warum wir sie nicht reinlassen. Dann gehen sie in den Park gegenüber. Da hat der Bezirk verschlafen, sich rechtzeitig um Räume für die Jugendlichen zu kümmern.
Wie seht ihr eure Arbeit hier perspektivisch für die Zukunft?
Johannes Braun: Der Ort ist gesichert, das ist das Wichtigste. Finanziell gesehen ist die Arbeit hier manchmal natürlich schon sportlich. Einige Projekte, die hier stattfinden, werden gefördert, den Großteil der Einnahmen müssen wir aber mit Getränken verdienen oder Vermietungen. Hier arbeiten zehn Menschen, die wir auch angemessen bezahlen wollen. Wie man unter solchen Bedingungen das Programm aufrecht erhalten kann, macht uns manchmal Sorgen. Wir wollen unseren Anspruch aber auch nicht aufgeben. Wenn es nur um den Club gehen würde, könnte das schon gut funktionieren. Aber genau das wollen wir ja nicht. Das ist auch wichtiger denn je, denn keine Kunstform – ganz egal ob Musik oder irgendeine andere – funktioniert heute noch für sich. Diese Begriffe gelten nicht mehr, und genau das ist das Spannende.