Das Thema Selbstoptimierung ist gekommen, um zu bleiben. Kein Hype, kein kurzzeitiger Trend: sich selbst zu überwachen und so auf die Gesundheit zu achten, wird für immer mehr Menschen zur Selbstverständlichkeit. Verantwortlich dafür ist zum Beispiel die zunehmende Popularität von Gadgets wie der Apple Watch – der mittlerweile weltweit am meisten verkauften Uhr. Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski wagen in „Die Gesellschaft der Wearables“ den Blick von oben. Und prognostizieren gesellschaftliche Entwicklungen und Konsequenzen, die dringend hinterfragt und offengelegt werden müssen.
Der Digitale Kapitalismus mit seinen Geschäftsmodellen rund um Daten, User und Algorithmen entdeckt zusehends neue Betätigungsfelder, von A wie Agrikultur bis Z wie Zulieferdienste. Derzeit hoch im Kurs: der Gesundheitssektor. Nachdem IBM vor Jahren schon eine Krankenhauskette gekauft hatte, um an die Bilddaten von Millionen Patienten zu gelangen, hat Google jetzt nachgezogen mit der Akquise von Ascension, was dem Konzern Zugriff auf die Patientendaten von 50 Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern ermöglicht. Um den Reigen komplett zu machen: Apple-Chef Tim Cook verkündet kürzlich: „Wenn man einst fragen wird, welches Apples wichtigster Beitrag für die Menschheit war, wird die Antwort wohl lauten: Gesundheit.“
Vehikel für diesen move sind smarte Devices, wie die Apple Watch und eine Vielzahl an Fitness- und Gesundheits-Apps. Diese sind ausgemachte Datenstaubsauger: Die mit ihrer Hilfe erzeugten Rohdaten werden von ihren Betreibern mit Hilfe von KI-basierten Technologien zu wertvoller Information raffiniert. Diese dient daraufhin als Vehikel für lukrative Services: Krankenhäusern werden z.B. Krebsdiagnose-Tools angeboten, Versicherungen Nutzerprofile und dergleichen mehr.
Was da im Einzelnen auf uns zukommt im boomenden Sektor der Selbstvermessung und -Quantifizierung, kann man in einem schönen Bändchen von Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski nachlesen, das gerade erschienen ist. In einer Art dekonstruktiven Produktrezension der Apple Watch, gleichzeitig einer Hommage an Deleuzes Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, dem sie ein kaum merkliches Aging bescheinigen, zeigen sie, wie diese Geräte uns in den Bann ziehen und zu Subjekten und Objekten einer datengenerierenden Praxis verwandeln. Der kleine, aber feine Band ist ausgesprochen sorgfältig formuliert, dabei well-informed und bietet ein ganzes Spektrum an Bezügen – von Günther Anders' Technologiekritik bis zu poststrukturalistischer Analyse von Subjektivierung und Maschinisierung. Die Philosophin Anna-Verena Nosthoff und der Literatur-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaftler Felix Maschewski schreiben:
„Neben dem via Smartwatch optimierten, fitteren und gesünderen Individuum gerät hierbei auch das quantified collective, das quantifizierte Kollektiv, in den Fokus, dessen Wesen und Wege, mit behaviouristischen Theorien und kybernetischen Praxen umstellt, immer genauer beschrieben und erfasst, immer tiefer durchdrungen – immer häufiger bestimmt scheinen.“
Die Auswirkungen der tragbaren Datensenken gehen jedoch über die individuelle Vermessung hinaus. In ausgesucht feinfühliger und genauer Sprache widmen sich die beiden ihrem Gegenstand und führen uns behutsam auf eine neues Terrain, das sie „datafizierte Biopolitik“ nennen. Damit stellen sie sich in die Denktradition von Michel Foucault, von dem schließlich die Idee stammt, dass auf einer bestimmten Entwicklungsstufe des Kapitalismus nunmehr der Körper selbst und damit auch seine Aktivität kolonisiert, ausgeleuchtet und verwertet wird.
„We’ve mapped the world. Now let’s map human health.“
Auch die Bezüge zu Kybernetik und Behaviourismus sind nicht nur ideengeschichtlich vorhanden, es gibt durchaus – das zeigen die beiden eindrücklich – Kontinuitäten ganz praktischer Art. So forscht der Guru der Wearables am gleichen Institut des MIT, an dem schon Norbert Wiener, der Begründer der Kybernetik, wirkte. Alex Pentland, der gern als „Hohepriester der Wearables“ verehrt wird, praktiziert hier seine connection science. Am Human Dynamics Lab des MIT betreibt der nutty professor der anziehbaren „Soziometer“ seinen Technologie-informierten Neo-Behaviourismus. Nosthoff und Maschewski geben in ihrem Band einen schönen Einblick in die Sozialphysik als neue kybernetisch-behaviouristische Grundlagenwissenschaft der datafizierten Welt, nehmen uns mit auf eine Entdeckungsreise in Psychologie und Soziologie eines kybernetischen Systems der Selbstkontrolle, Selbstoptimierung und –Steuerung.
Stichwort Soziometrie: Der Soziologe Steffen Mau landete vor einigen Jahren mit seinem Buch „Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen“ einen beachtlichen Beitrag und brachte das Konzept und die Mechanismen des Quantified Self einem breiteren Publikum näher. Sein Buch sei hier ebenfalls als Einführungslektüre wärmstens empfohlen.
Wie lautet das Motto des aus Google Life Science hervorgegangenen Unternehmen Verily Life Sciences? „We’ve mapped the world. Now let’s map human health.“ Da müssen wir uns wohl warm anziehen.