Buchrezension: Faschismus – eine WarnungMadeleine Albright über Vergangenheit und Gegenwart eines Dämonen
8.8.2018 • Kultur – Text: Jan-Peter WulfFaschismus ist kein erledigtes Unwesen der Vergangenheit, sondern kann jederzeit wieder zur Gegenwart werden. Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright hat vor dem Hintergrund der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ein Buch darüber geschrieben.
Ich möchte an dieser Stelle klar machen, dass ich nie, zu keinem Zeitpunkt Donald Trump als einen Faschisten bezeichnet habe.
Sagt Ex-US-Außenministerin und Universitätsdozentin Madeleine Albright in einem Radiointerview anlässlich ihres neuen Buchs. Ein Satz, den man sich mal auf der Zunge zergehen lassen muss: Es muss wohl betont werden, dass der aktuelle Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, dieser wettergegerbten, dienstältesten Demokratie kein Faschist ist. „Aber er ist der am wenigsten demokratische Präsident, den wir in der amerikanischen Geschichte hatten“, führt sie im Interview fort.
Das hat sie zum Anlass genommen – wobei die Themenidee schon eine ältere ist, wie sie sagt – mit ihrem Buch „Faschismus. Eine Warnung“ das auszurollen, was bekannt ist, aber echt nicht oft genug wiederholt werden kann: Das war schon mal alles da, das kann immer wieder kommen. „Jede Zeit hat ihren Faschismus“, das Zitat von Primo Levi aus den 1960er-Jahren fällt in ihrem Werk auch. Auf 288 Seiten beschreibt Madeleine Albright das Phänomen umfassend. Erst persönlich, dann historisch, dann prospektiv. Nicht pessimistisch, wie sie betont, aber mit Fragen und Zweifeln.
Der Leser erfährt, wie die Autorin als Kriegskind mit der Familie von Prag nach London, nach dem Krieg wiederum in die USA fliehen/emigrieren musste. Wie sie den Bombenkrieg in Notting Hill er- und überlebte. Wie sie dem Faschismus und Totalitarismus als Teil einer Diplomatenfamilie besonders exponiert war. Dann wird es allgemeiner: Wie Hitler und Mussolini – und das beschreibt sie sehr detailliert – beide demokratisch legitimiert an die Macht kamen, wie diese beiden eigentlich so schwachen, loserhaften Figuren zu den fatal starken Männern ihrer Nationen werden konnten. Wie aber auch im England und den USA der Vorkriegszeit faschistische Gruppierungen entstanden und skurrile Personen wie den – einmal betrunkene, einmal beim Versuch, seiner Mutter Loopings vorzuführen – abgestürzten Militärflieger Oswald Mosley („British Union of Fashists“) hervorbrachte, der sich mit seinen „Blackshirts“ glücklicherweise eher lächerlich machte.
Albright reist um den Globus, wie sie es in ihrer Amtszeit als Außenministerin unter Bill Clinton tat. Sie schreibt über Chavez und „sein“ Venezuela, über Erdogan und seinen Aufstieg, berichtet über – und das ist der unterhaltsamste Teil eines insgesamt sehr staatstragenden Buchs – ihren Besuch als Außenministerin in Nordkorea. Sie berichtet, wie Polen, Italien, Tschechien und andere europäische Länder neue rechte Hegemonien zeitigen. Gedacht wohl, um einen interessierten, aber nicht allzu informierten und womöglich primär US-amerikanischen Leser vor dem Faschismus zu warnen. Sagt ja schon der Buchtitel.
Denn, so sagte es einer ihrer Studenten, die USA laufe Gefahr, faschistisch zu werden, weil das Land glaube, dass es nie faschistisch werden könne. Weswegen der Schlussteil, erwartungsgemäß den Zeigefinger hebt. Trumps Umgang mit den Medien, mit der Wahrheit, mit Institutionen und internationalen Partnern – natürlich macht sie vor harscher Kritik an der aktuellen Regierung und ihrem Kopf nicht halt, wenngleich sie das F-Wort dabei nicht benutzt, wie eingangs erwähnt. Ihr Appell auch: Ein erneuter außenpolitischer Isolationismus der USA, wie er schon zwischen den Weltkriegen herrschte, sei unbedingt zu verhindern. Was hinsichtlich der aktuellen Administration aber ein wohl eher heikles Unterfangen werden dürfte. „Cosmopolitism is less en vogue than nativism“, stellt Albright im englischen Originaltext sehr treffend fest.
Den Auftrag, den sich die Autorin mit diesem Buch selbst gestellt, kann man als erfüllt bewerten. Leider ist Albright nicht selbstkritisch und zeigt falschen Mut zur Lücke. Die eigene außenpolitische Wirkungszeit malt die Autorin fast wie eine missionarische. Die US-Innenpolitik der jüngeren Vergangenheit bleibt unvermittelt. So wirkt das Phänomen Trump fast auf die Erde geplumpst wie die Knetmännchen in tschechischen Kindertrickserien. Was bitte ist mit Washington? Da kennt sich die Autorin doch aus. Welche Fehler haben Vorgänger-Regierungen gemacht? Was hat die Gattin ihres Ex-Chefs, die bekanntermaßen selber Präsidentin werden wollte, versäumt? Nix. Die Ären Nixon und Reagan werden in einem Halbsatz abgearbeitet. Von Watergate kein Wort. Bei Reagan lobt Albright dessen Einsatz für die Demokratie, ohne es zu konkretisieren. Das wäre mal interessant gewesen, Nicaragua wird sie wohl nicht gemeint haben. Vielleicht SDI? Dieser kurze Abriss über die Präsidentschaften der Nachkriegszeit ist nichtssagend im wahrsten Sinne des Wortes. Auch vom EU-Türkei-Deal ist keine Rede, der im Zusammenhang mit einem Erdogan'schen Despotismus – zumal einem eventuell dessen nicht kundigen US-Publikum – genannt und beschrieben werden muss. Der Angriff der Nato gegen Rest-Jugoslawien vor 20 Jahren, der in ihre Amtszeit fällt (um es ganz neutral zu formulieren), wird als ausschließlich rechtens und richtig dargestellt. Differenziert ist das nicht. Und von einer Migrantin wäre ein positives Narrativ der Migration – als Kapitel einer Gegengeschichte zum Faschismus, der sich heuer wieder des „Fremden“ als dem Bösen bedient – mehr als wünschenswert zu lesen.