Breaking bad, nur halt in echtBuchrezension: „The Mastermind“ von Evan Ratliff
10.4.2019 • Kultur – Text: Jan-Peter WulfVom Erfinder einer berühmten Open-Source-Verschlüsselungs-Software zum Drogen- und Waffen-Imperator: Wer wohl die Hauptrolle spielen wird in dem Film, den Michael Mann über diese schier unglaubliche, aber wahre Crime-Geschichte drehen wird? Bruce Willis? Zu alt. Jason Statham? Könnte passen. Vielleicht steht aber auch der, um den es geht, selbst vor der Kamera: Paul Le Roux. Zuzutrauen wäre es ihm, nach allem, was man nach der Lektüre dieses akribisch recherchierten Buches über ihn weiß. Jan-Peter Wulf stellt „The Mastermind“ vor.
Paul Le Roux: Ein verkanntes Programmierer-Genie, das eine weltweit beachtete und verwendete Verschlüsselungs-Software – die unter anderem Edward Snowden einsetzte – entwickelt. Ein Genie, das – weil Open Source – keine müde Mark mit seiner Erfindung verdiente und dann sagt: Fuck you all. Dann werde ich eben zum größten Verbrecher aller Zeiten und werde reicher als die Sonne. Gesagt, getan. Das ist die Geschichte in kurzer Form.
Die Langform erzählt Evan Ratliff in seinem Buch „The Mastermind“. Jahrelang hat der US-Journalist recherchiert, ist unzählige Male nach Manila geflogen, von wo aus Le Roux an einem maximal gesicherten, veralteten Windows-Rechner sein Drogen-, Waffen-, Edelstein- und alles-was-Höchstprofit-abwirft-Imperium steuerte, traf sich dort mit Killern, die im Dienste des Imperators standen, mit Handlangern und Geschäftspartnern, mit Ex-Soldaten, die für Le Roux die krummsten Dinger drehten. Ratliff, der vor zehn Jahren mit seinem Versteckspiel-Experiment Vanish bekannt geworden ist und unter anderem den Podcast Longform mitproduziert, machte daraus zunächst eine Reihe von Artikeln und schließlich ein ganzes Buch.
Ein Buch, das, muss man klar sagen, keine packende True-Crime-Story erzählt. Sondern den Sachverhalt betont trocken, mitunter fast teilnahmslos darlegt. Das ist gut so. Denn es ist keine Geschichte zum Zähneklappern, zum Mitfiebern, sondern zum Kopfschütteln. Grotesk und irre. Zu groß, um wahr zu sein. Mitunter wirkt es so, als könne der Autor selbst nicht glauben, was er da zu berichten hat. Nebenbei bemerkt: Die Dichte der Recherche, der Faktensammlung, der Einordnung der Sachverhalte ist beeindruckend. Journalistenpreisverdächtig. Natürlich lässt sich im Nachhinein, zumal beim Sujet Schwerverbrechen, nicht alles bis ins letzte Detail beweisen – wenn man Klein-, Mittel- und Großkriminelle fürs Buch interviewt, Dealer, Gangster und Mörder, was Ratliff mannigfaltig getan hat, dann lässt sich nie ganz genau sagen: So war es. Ratliff führt seine Dokumentation online mit Ergänzungen und Korrekturen fort.
Vom Nerd zum Gangster
Paul Le Roux wurde 1972 in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, geboren. Seine leiblichen Eltern sind unbekannt. Er wird adoptiert und gilt als unauffälliges, gutes Kind, haben Freunde von damals berichtet. Als Teenager zieht Le Roux mit seinen Eltern nach Südafrika. Dort trübt sich die Lage ein. Er wird zum Außenseiter, kommt mit Eltern und Mitschülern nicht klar, versteckt sich immer öfter in seinem Zimmer, hinter seinem Computer. Ein Nerd wie so viele in seinem Alter. Er zockt Wing Commander, lernt zu programmieren. Als 17-Jähriger zieht er fort, nach England, später nach Australien. Arbeitet als Programmierer, produziert Code am laufenden Band. Und schreibt „E4M“, eine Verschlüsselungs-Software, auf der auch das berühmte Programm „TrueCrypt“ basiert. Die freie Software geht um die Welt. Viele Unternehmen nutzen sie, machen viel Geld mit ihren darauf fußenden Lösungen. Nicht aber Le Roux, der in finanzielle Probleme gerät. Aus der Firma, die er um „E4M“ aufbaut, um das Produkt zu monetarisieren, wird er rausgeworfen, seine erste Ehe ist schon gescheitert, seine zweite Frau und das gemeinsame Kind kann er kaum ernähren. Der Versuch, ein Online-Casino ans Laufen zu bringen, misslingt.
Doch um 2004 landet er den großen Coup: mit Online-Apotheken für den US-Markt. RX Ltd. nennt Le Roux sein Business. Diesmal soll es Profit abwerfen, viel Profit. Es operiert in einer Grauzone: Über die Online-Plattformen können sich die Kunden Schmerzmittel und andere Medikamente in unendlichen Mengen kaufen. Ein online abgewickeltes Rezept irgendeines Arztes, den sie nie gesehen haben, reicht dafür aus. Die Kontrollen sind lasch. Win-Win-Win-Win: Die Apotheken – viele kleine, deren Geschäft zusehends ans Online-Business verloren geht –, holten sich die Kohle en gros zurück. So die im Buch vorgestellte Apotheke aus Oshkosh, Wisconsin, betrieben vom 82 Jahre alten Charles Schultz, der in rote Zahlen geraten war, dann auf das RX-Angebot aufmerksam wird, zögert, dann zusagt und in Folge insgesamt 27 Millionen US-Dollar umsetzen wird. 700.000 Painkiller spülte allein diese Apotheke ins Land. Wer braucht so viele Schmerzmittel? Der zweite „Gewinner“ des Konstrukts: Abhängige, nicht etwa Schmerzpatienten. Dritter Gewinner: die Industrie. Und Nummer vier ist Le Roux, der hunderte Millionen Dollar damit scheffelt. Zeitweilig sind 60 Prozent aller für US-Online-Apotheken angemeldeten URLs seine URLs. Dass Le Roux ein eigenes Domain-Registrierungs-Business hat und sich quasi selbst legitimieren kann, hilft dabei ungemein.
Breaking bad
Nun hätte er sich entspannen können, mit mehr Geld auf dem Konto, als er je würde ausgeben können. Er lebt mittlerweile in Manila. Von dort aus steuert er, der nach Vermutung von Ratliff nie schläft, immer arbeitet, sein Business. Rund 1.000 Mitarbeiter in mindestens zehn Call-Centern pushen den digitalen Verkauf der Arzneimittel. Der Boss scheint sich zu langweilen und fängt an, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Venture Capital ist ja reichlich vorhanden – doch statt Gewöhnlichem wie Immobilien oder Startups schwebt Le Roux ein Mega-Profit-Business vor: Drogen. 5000 Prozent Profit. Le Roux heuert Ex-Militärs an, Söldner, die für ihn in abenteuerlichen Missionen Kontakte knüpfen, illegale Geschäfte aufbauen und dafür sorgen, dass harte Drogen wie Kokain aus Südamerika und Crystal Meth aus Nordkorea in Asien, Afrika, Australien und Europa unter die Leute kommt. Le Roux handelt mit Waffen, mit aus Minen geschmuggeltem Gold. Er überlegt, U-Boote aus Nordkorea zu verkaufen und in Somalia eigene Drogenfarmen aufzubauen. Er kann alles. Und fühlt sich recht sicher in Manila, bleibt low profile, bis heute gibt es kaum Fotos von ihm. Sollte es doch eng werden, kann er abtauchen: Seine Söldner erwerben „safe houses“ in Papua-Neuguinea und anderswo für ihn, Le Roux schwängert Frauen aus verschiedenen Ländern, damit er als Vater in die Länder seiner Kinder würde einreisen und dort untertauchen können.
Von großen Drogenbossen sagt man ja oft, dass sie sich selbst nicht die Finger schmutzig machen würden und „nur“ die Strategie vorgeben. Bei Le Roux ist das anders: Er betreibt permanentes micro management, kommuniziert direkt mit seinen Mitarbeitern aller Ebenen und baut keine großen Hierarchien auf. Viele seiner Mitarbeiter kennen sich untereinander gar nicht und stoßen nur projektweise, vom Chef individuell „gebrieft“ zueinander. Am Ende geht es so weit, dass er selbst zur Waffe greift. Er lässt nicht nur durch seine Armada von Killern Konkurrenten und vor allem diejenigen aus dem Weg räumen, die ihn hintergangen oder um Geld gebracht haben sollen (teils ging es um winzige Summen), sondern drückt selbst ab. Mehrfach. Unter anderem tötet er zusammen mit seinem persönlichen Bodyguard-Killer – ja, so einen hat er – seinen bis dahin wichtigsten Mann im Beseitigungs-Business, Dave Smith, der sich Geld abgezwackt haben soll, mit dicken Autos durch Manilas Rotlichtviertel cruist, eine größere Yacht hat als der Chef selbst. Es gibt dabei Probleme: Die Waffe hat Ladehemmung, der angeschossene Smith schreit um sein Leben, Le Roux nimmt eine andere Waffe und ballert sie leer. Danach entsorgen er und sein „personal killer“ die Leiche im Meer, eingepackt in Plastik. Sie will aber nicht untergehen, Le Roux springt ins Wasser und schneidet Löcher in die Folie. In Manns Verfilmung wird diese Szene vermutlich die brutalste sein.
Auch ein deutscher Soldat verfängt sich in diesem Netz – Dennis Gögel sitzt derzeit eine 20-jährige Haftstrafe in den USA ab. Mit seiner Festnahme beginnt ein anderes Buch, welches über die causa Le Roux geschrieben worden ist und als Vorlage für den Michael-Mann-Film dienen wird (denn die Buch-Reihe, in der es erschienen ist, hat der Mann selbst initiiert). Doch dass die DEA überhaupt gegen das Le-Roux-Imperium zu ermitteln begann, hat lange gedauert: Das „Mastermind“ hielt nämlich stets davon ab, illegale Geschäfte in den USA zu machen. Dass tonnenweise Medikamente über ihn ins Land kamen, schien die Ermittler nicht zu kratzen. Und die Mail eines Ex-Mitarbeiters von Le Roux, der auspacken wollte, ließen die Behörden ein ganzes Jahr lang in der Inbox versauern. Sollte Mann also eine heroische DEA-Story à la „Narcos“ vorschweben, läge er ziemlich falsch.
Kronzeuge im eigenen Verbrechen
Dass Le Roux schließlich, durch einen fast billig wirkenden Trick gefasst wird – angebliche kolumbianische Drogenbosse wollen ihn unbedingt persönlich in Liberia treffen, wo ein Meth-Joint-Venture aufgebaut werden soll –, liegt an seiner Schwäche und Sehnsucht: Trotz größter Vorsicht kitzelt ihn der Geltungsdrang. Er, der alles hat, hat eines doch nicht: Aufmerksamkeit. Wie kann man der größte Kriminelle aller Zeiten sein und keiner weiß es? Dass er gefasst wird, ist weder ein dramaturgisches Highlight (deswegen ist es auch kein Spoiler, es hier zu beschreiben) noch das Ende der Geschichte: Bereits im Flieger, der ihn nach Amerika bringt, schlägt Le Roux eine umfassende Kooperation vor. Und wird – trotz mehrerer nachweislich begangener Morde – zum Kronzeugen in seinem eigenen Verbrechen. Die DEA hat es offensichtlich auf sein Netzwerk abgesehen, nicht auf seinen Kopf. Deswegen könnte „The Mastermind“ Le Roux, so stellt Ratliff fest, in ein paar Jahren wieder frei sein. Und könnte dann die Hauptrolle in seinem eigenen Film spielen. Völlig undenkbar ist das nicht.