Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
##Was Flüchtlinge in ihren Taschen haben
Man mag sich das gar nicht vorstellen. Wenn plötzlich klar ist, dass es los geht, weg aus der Heimat, die man verlassen muss, wenn man sich aufmacht in Richtung Europa, auf eine lange Reise, eine Reise, von der man nicht weiß, wie lange sie dauern wird und was einem dabei alles zustoßen kann. Was nimmt man mit? Welche Habseligkeiten verstaut man im Gepäck? Vom „International Rescue Committee“ kommt die beeindruckende Bilderstrecke „What's In My Bag?“, ein ja eigentlich etabliertes journalistisches Format. Kurzweilig und vermeintlich persönlich, unter normalen Vorzeichen, sprich: in Friedenszeiten. Wenn Flüchtlinge aber ihre Rucksäcke öffnen, dann schnürt es einem die Kehle zu.
„Windeln für das Kind, Medikamente, SIM-Karten, ein Hemd zum Wechseln und ein USB-Stick. Voll mit Familienfotos.“
10 Jahre Wolfmother
Am 25. September vor zehn Jahren erschien „Wolfmother“, das Debüt-Album der gleichnamigen Band. Eine Platte, aus der mit jedem Chord die Siebzigerjahre triefen, ein Segen für jeden Classic-Rock-Fan, die Reincarnation eines Rockmusikjahrzehnts in einer einzigen Band – ich kann mich noch sehr genau an die Reaktionen der Classic-Rock-Faschisten in meinem Umfeld erinnern. Zugegeben: Es war auch eine großartige Platte. Das Medium-Magazin Cuepoint hat die Geschichte rund um das Album und die ersten Entwicklungen der Band mit Wolfmother-Gründer Andrew Stockdale rekapituliert. Nach unzähligen Wechseln ist er das letzte Bandmitglied der ursprünglichen Besetzung. Im Artikel spricht er über Referenzen, die ersten Aufnahmen, Cover-Art (wie in den 70ern eben) und Erfolg ohne Promo.
„I was like ‘How’s that EP doing? Is it doing alright?’ He goes, ‘You sold 20,000 copies in Australia.’ I was like, ‘Is that good?’ He goes ‘Put it this way, the other bands on my label sold 2000 copies in one year.“
##Betroffenheit als Narzissmus
Kein Facebook-Thread diese Woche ohne das Bild des dreijährigen Flüchtlingskinds Aylan, tot am Strand nahe Bodrum in der Türkei. Dass dieses Foto in privaten Accounts sozialer Netzwerke millionenfach geteilt, kommentiert, das Bild nachgezeichnet, montiert und „geremixt“ wurde, als wäre es das neueste Mem (vielleicht ist es das einfach), entlarvt Brendan O´Neill als „moralische Pornografie“. Doch das Sharen als Zurschaustellung der Betroffenheit sei purer Narzissmus, findet er.
„It’s the victory of the visceral over the rational.“
Sharing a photo of a dead Syrian child isn´t compassionate, it´s narcissistic.
##Ein waschechter Nazi
Der „Schlächter von Lyon“ Klaus Barbie lebte vier Jahrzehnte ein unbescholtenes Dasein als Klaus Altmann in La Paz/Bolivien, bis ihn die dortige Regierung 1983 nach Frankreich auslieferte. Die Bundesrepublik wollte den Verbrecher nicht, es war nämlich gerade Wahlkampf. Wie der Überführungs-Coup eingefädelt wurde, dass dafür Waffen nach Bolivien gingen, beschrieben schon andere Dokumentationen. In diesem beeindruckenden Audio-Feature hingegen wird in den Mittelpunkt gestellt, was für ein widerlicher Mensch Barbie gewesen sein muss: Die eingearbeiteten Aufzeichnungen eines Interviews mit ihm aus den 1970ern zeugen von einem glühenden Antisemiten und irrlichternden Wehrmachts-Hauptsturmführers. Das Hörspiel wird demnächst als Bühnenfassung am Düsseldorfer Schauspielhaus aufgeführt.