Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Ehe für Alle
Wer die Ehe für homosexuelle Paare befürwortet, der stellt sich vor allem folgende Frage: Warum denn nicht bitteschön? Es gibt kein einziges, valides, rationales Argument, dass dagegen spricht. Es gibt allerdings - da hat Johannes Kram vom Nollendorfblog ganz Recht - zwei Typen von Gegnern dieses so wichtigen Schrittes in Richtung Gleichberechtigung, in Richtung einer fairen, freien Gesellschaft: jene, denen nicht wohl dabei ist und jene die eben dies ausnutzen; Emotionen & Ressintements und die Nutznießer jener „Gefühle“, zur Stärkung der eigenen Machtposition.
„Die von „Werten“ reden, davon, dass es darum ginge, etwas „bewahren“ zu müssen, statt das auszusprechen, was sie selbst wissen: Dass niemandem etwas weggenommen wird.“
Wo die Reichen chatten
Im Umgang mit Sozialen Netzwerken ist – zu Recht – ja immer wieder von der Privatsphäre die Rede, von den Datenkraken, dem langsamen Reagieren der Anbieter auf Postings, die so ziemlich alles mit Füßen treten, wofür die aufgeklärte Zivilisation einst stand: Wilder Westen mit Katzen-GIFs. Auf solchen Plattformen kann man sich mit seinem Klarnamen nur schwerlich rumtreiben, wenn man einen bestimmtes Level an Berühmtheit erreicht hat, zu viel Geld auf dem Konto hat oder zu viel Macht, um was auch immer zu tun. Die Eliten brauchen ihre eigenen Spielplätze. Und derer gibt es mittlerweile einige. All das, was man in den Netzwerken so tut – Alltägliches posten, chatten, Fotos hochladen, Dating – gibt es auch in der Premium-Variante. Teuer, nur auf Einladung, dafür jedoch vermeintlich exklusiv, störungsfrei und ohne geifernden Pöbel. „Best Of All Worlds“, „Rich Kids“ oder „Raya“ heißen diese Netze, über die man so wenig weiß. Lizzie Plaugic stellt sie nicht nur vor, sondern erklärt auch die Logik hinter diesem Paralleluniversum, warum es die Netzwerke gibt und sie online bleiben. Der Country Club der Gegenwart ist eine App.
„Tinder, nur ohne die armen Leute.“
Elite social media: where the internet’s 1 percent hangs out
Pflichtfach Techno
Elektronische Musik im Schulunterricht? Der eigenen Erinnerung nach war das bestenfalls eine Randerscheinung. Was die meisten wohl kaum wundert, aber doch bemerkenswert ist: Daran scheint sich bis heute nicht viel geändert zu haben. Das stellt zumindest Pete Dale fest, der selbst erst in jüngerer Vergangenheit auf den Techno bzw. EDM-Trichter gekommen ist, und als Musiklehrer wenig überraschend festgestellt hat: Dem Musikunterricht in UK fehlt es am Bezug zur Realität der Schüler. Er hat diesen Bezug hergestellt und ziemlich gute Erfahrungen damit gemacht, schreibt er bei The Conversation.
„The bulk of the pupils that were into this type of music at my school were considered to be some of the most disaffected and “at risk” learners. But I actually learned much of what I now know about DJing and MCing from these young people.“
How electro and techno could help to revolutionise school music lessons
30 Jahre 1. Mai
Am 1. Mai geht in Berlin-Kreuzberg auch im Jahr 2017, das ist zu vermuten, noch immer eine Menge Glas zu Bruch. Heute ist es allerdings eher Bier- statt Fensterglas, und statt Benzin- gibt es Caipi-Cocktails. Das, worum es in Kreuzberg am 1. Mai eigentlich geht oder ging, um Protest, ist fast eine Randerscheinung geworden, mit dem das Ausgeh-Gefühl an diesem Tag etwas besonders Kribbelndes bekommt. Der Protest: Woher kam der eigentlich? Rituelles Rebellentum? Kalender-Krawall? Die taz lässt Revue passieren, wie der Kreuzberger 1. Mai entstand: Das offizielle Berlin-West feierte seinen 750. Geburtstag mit Häppchen und Schampus im ICC. In der Enklave an der Mauer, einem abgehängten, vergessenen Stadtteil, gab es so gar nichts zu feiern – der Topf kochte über.
Kaum noch vorstellbar heute, wo im „angesagten“ Kreuzberg Häppchen- und Champagner-Läden keine Rarität mehr sind und das ICC abgängig ist.
„Autonome, Punks, Alkis und junge Migranten (damals schlicht „Türkenkids“ genannt) verwandelten den Görlitzer Bahnhof zum Schauplatz einer ganz speziellen „Sinfonie der Großstadt“. Mit Steinen und Stangen wurde auf die Stahlträger der Hochbahn getrommelt, der Soundtrack der Revolte war überaus rhythmisch.“