Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Chris Dercon und die Volksbühne
Um seinen gut dotierten Job mag man Chris Dercon als neuen Intendanten der Berliner Volksbühne nicht beneiden. Auch nach der Pressekonferenz in dieser Woche nicht. Da sei alles nur „Geschwafel“ und Gelaber gewesen, schreibt der Spiegel. In der Zeit lässt man den ehemaligen Museumsdirektor des Tate Modern in London ausführlicher und inhaltlich zu Wort kommen. Sicher, da wird auch mit Phrasen um sich geworfen. Aber in denen steckt ein Kern, der mindestens auf auf eine spannende Spielzeit hoffen lässt. Und darüber hinaus bekommt am eine Idee davon, wie sich seine Aufgabe in Berlin im Angesicht der heftigen Widerstände, die die Ebene berechtigter Kritik zum großen Teil längst verlassen haben, anfühlen muss.
„Dercon: Die beste Analyse dazu stammt von Diedrich Diederichsen. Er sagte in etwa: Plötzlich steht eine kosmopolitische oder globalisierte Kultur für "neoliberal", und gegen Chris Dercon und Okwui Enwezor regt sich eine Front, die mitunter Parallelen zu rechter, identitärer Politik hat.“
What A Time To Be Alive
In der vergangenen Woche poppten Todesanzeigen für ein Format im Internet auf, das genau dieses Internet und unseren gesamten digitalen Alltag in den letzten zwei Dekaden mitbestimmt und möglich gemacht hat: MP3. Ist natürlich eine tolle Überschrift: „Das MP3 ist tot“ – stimmt aber nicht. Klickt man sich zur Pressemeldung des Fraunhofer Instituts durch, fällt zunächst auf, dass die Wächter über das Audio-Format das vermeintliche Ableben des Codecs mit kaum mehr als einem Dreizeiler kommunizieren. Kein angemessener Nachruf. Was wirklich passierte: Im April sind die letzten Patente ausgelaufen, dem Fraunhofer bleibt nichts mehr zum Lizenzieren, zum Geld verdienen. Fakt ist also: Das MP3 ist nicht tot, sondern für alle vollumfänglich kostenlos nutzbar. Auch wenn AAC, das Format, das dem MP3 schon vor einigen Jahren nachfolgte, in bestimmten Situationen besser ist: Wer Audio kodieren und sich sein will, das diese Dateien auf so vielen Geräten wie nur irgend möglich spielbar sind, macht jetzt vor Glück eine Fanta auf. Sagt Marco Arment. Und der kennt sich aus. Arment hat nicht nur Tumblr erfunden, sondern entwickelt auch eine der besten Podcast-Apps für iOS: Overcast. Arment versteht was von Audio. Und hat seine Erkenntnisse zum Tod des MP3 kurz und knapp und vor allem erklärend aufgeschrieben.
„MP3 is very old, but it’s the same age as JPEG.“
Das Apple-UFO
Das neu entstehende Hauptquartier von Apple in Cupertino ist eines der größten und aufwendigsten Firmengebäude aller Zeiten. Es ist aber auch das letzte Vermächtnis des Übervaters Steve Jobs. Bis zu seinem Tod war der Bau und die Umsetzung des Apple Parks sein größtes Anliegen. So, als wolle er sich und seinem spirituellen Erbe noch mal ein Zeichen setzen. Umgesetzt wurde der Bau unter der Leitung des Star-Architekten Norman Foster. Für die neue Titelgeschichte für die Wired waren Steven Levy und der Fotograf Dan Winters vor Ort, um das fast fertige Riesen-UFO zu begutachten. Hier ist nämlich alles Apple. Jeder Türgriff, jeder Knopf wurde eigens für das neue HQ designt. Klar, dass Jony Ive da auch seine Finger mit im Spiel hat.
“I think we do have a shot,” he [Steve Jobs] told the council, “of building the best office building in the world.” What he didn’t tell them—during what none of them could have known would be his last public appearance—is that he was not just planning a new campus for the company he cofounded, built, left, returned to, and ultimately saved from extinction. Through this new headquarters, Steve Jobs was planning the future of Apple itself—a future beyond him and, ultimately, beyond any of us.
One more thing – Inside Apple’s insanely great (or just insane) new mothership
##Flüchtlingslotto
Dies ist die Antwort auf die Frage, was das Schlechteste am bundesdeutschen Föderalismus ist: Ob ein Flüchtling bleiben darf oder nicht, ihm Asyl zugestanden wird oder nicht, hängt davon ab, in welchem Bundesland ihr Antrag bearbeitet wird. Ist es ein Bundesland mit hohem Ausländeranteil, dann stehen die Chancen höher. Kommt es zu fremdenfeindlichen Übergriffen in dem Bundesland, dann sinkt im Folgejahr die Anerkennungsquote. In Bremen werden 80% der Asylgesuche aus Afghanistan anerkannt, in Sachsen-Anhalt 2%. Dieses widerspricht so eklatant dem Fairnessgebot, dass man sich der Forderung der Autorinnen dieses Textes nur anschließen kann: Das BAMF braucht eine grundlegende Reform. Im aktuellen Zustand widerspricht es fast schon der Unantastbarkeit der menschlichen Würde. Dafür soll es ja nen Paragraphen geben in einem deutschen Gesetzbuch.
Diese Ergebnisse zeigen, dass sich BAMF-Mitarbeiter in ihren Entscheidungen nicht nur von der Qualität eines Antrages leiten lassen. Viel mehr nehmen sie auch Rücksicht auf wahrgenommene Befindlichkeiten des Bundeslandes, in dem ihr jeweiliges Entscheidungszentrum angesiedelt ist.