Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
##Sexismus in Pop-Kritik
Bewaffnet mit einem Textmarker seziert Linus Volkmann für das Kaput Mag die (zumeist männliche) Sprache der Musikkritik am Beispiel eines Konzertreviews der Band Schnipo Schranke. Der ursprüngliche, hier analysierte Text aus der FAZ steht dabei exemplarisch für ein generelles, ungemein ernüchterndes Problem: Popkritik heißt im Jahr 2016 vor allem auch, dass viele männliche Autoren am liebsten über andere Männerprojekte schreiben. Und wenn doch einmal Musikerinnen involviert sind, werden diese auf ihr Äußeres reduziert und ihnen ihre künstlerische Professionalität abgesprochen. Dieser kurze, in Teilen polemische Text ist lesenswert, weil er sexistischer Pop-Kritik so analytisch den Spiegel vorhält.
01 Frauenduo
„Ganz zentral: Die Frau in der Musik als Abweichung zu sehen und zu beschreiben. Man stelle sich dagegen mal folgenden Satz vor: ‘Die Pet Shop Boys sind ein Männerduo aus London‘.“
Ein Game wie kein anderes
Den nun schon recht lange währenden Minecrafthype kann nur verstehen, wer selbst gespielt hat. Dem bloßen Zuschauer bietet das Spiel auf den ersten Blick nämlich recht wenig: eine Welt aus bunten Klötzen. Doch für Millionen ist Minecraft wie eine Legowelt der unbegrenzten Möglichkeiten. Der Spieler bespielt keine fertige Welt, er erschafft sie erst. Clive Thompson hat sich dem Phänomen Minecraft für die New York Times gewidmet und bringt das Spiel auch denen näher, die es nicht zocken.
„Minecraft is an incredibly complex game, but it’s also — at first — inscrutable. When you begin, no pop-ups explain what to do; there isn’t even a “help” section. You just have to figure things out yourself.“
##Unter Beobachtung
Gay Talese, der legendäre Reporter und Mitbegründer des New Journalism hat eine Gesichte aufgeschrieben, die man sich nicht ausdenken kann. 1980 bekam er einen anonymen Brief eines Motel-Besitzers. Einen Brief eines professionellen Voyeurs, der seine Gäste seit den 1960-Jahren beobachtet. Nicht, oder zumindest nicht nur, um seine sexuelle Neugier zu befriedigen. Gerald Foos, so sein Name, führte penibel Buch über das, was in seinem Motel vor sich ging. Seine Frau war eingeweiht. Natürlich geht es um Sex, aber die umfangreichen Aufzeichnungen, die Foos Talese schließlich zur Verfügung stellt, enthüllen mehr, sind Zeugnis des gesellschaftlichen Wandels, fast schon eine Art anthropologische Analyse. Mit Drogen, einem Mord im Zimmer 10, Einsamkeit trotz Zweisamkeit, schwarz, weiß, dick und dünn. Talese weiß das alles nicht nur aus den Unterlagen. Er hat Herrn Foos besucht. Und vom Dachboden des Motels mitspioniert. Und den Kontakt zu Foos nie wirklich abgebrochen. Die Geschichte endet mit Edward Snwoden. Auch zu diesem „Spion“ hat Foos etwas zu sagen. Etwas Positives. Keine Überraschung. Denn genau wie Snowden hat auch Foos ein Interesse daran, dass seine Beobachtungen veröffentlicht werden.
„She is very beautifully proportioned, but probably equally stupid and dumb.“
##Notstands-Fantasie
Harald Welzer ist zusammen mit Nico Paech Deutschlands vermutlich profiliertester Wachstums-Kritiker und Gewaltforscher. Zwei nur scheinbar divergente Welten, die sich in der aktuellen Situationen nämlich ganz gut zusammen denken lassen können, ja müssen. Dem Land und seinen Menschen geht es wirtschaftlich so gut wie lange nicht mehr, und trotzdem wurden die Grenzen faktisch dichtgemacht, Zäune wieder hochgezogen. Das Wir-schaffen-das-Sommermärchen, eine Farce? Welzer konstatiert Versagen ausgerechnet jetzt, wo Dringlichkeit und Darstellbarkeit eigentlich ineinandergreifen. Ein lesenswerter Kommentar.
„Warum herrscht ausgerechnet dann normative Obdachlosigkeit, wenn zum ersten Mal seit vielen Jahren moralisches Handeln gefordert ist, klar, eindeutig, dringend und leistbar?“