Leseliste 12. November 2017 – andere Medien, andere ThemenStrache, Nazis in New York – 1939, Arbeit bei der Bahn und Paid-Content-Alkoholiker

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Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.

Heinz-Christian Strache

In einer umfangreichen zweiteiligen Reportage gehen die Journalisten Leila Al-Serori und Oliver Das Gupta für die Süddeutsche Zeitung dem Phänomen Heinz-Christian Strache auf den Grund. Der Chef der österreichischen FPÖ könnte der mächtigste Neonazi in der Geschichte des Landes werden. Bei der Nationalratswahl am 15. Oktober kam die rechte Partei auf 26 Prozent und dürfte nun mit der ÖVP mit dem ebenfalls rechtsdrehenden Sebastian Kurz die nächste Regierung bilden. Strache werden schon länger enge Beziehungen seit seiner Jugend mit der Neonazi-Szene nachgesagt. Seiner Karriere haben diese Rufe nicht geschadet. Ein beunruhigendes und eindringliches „Psychogramm eines Populisten“.

Lange bevor sich Strache im Trachtenjanker als Retter des Abendlandes inszeniert - er hört noch auf den Namen "Bumsti" - geht die Ehe seiner Eltern in die Brüche. Das Kind, damals drei Jahre alt, wächst fortan ohne Vater Heinz-Roland auf, ein Künstler und "Aussteiger", Anhänger der 68er-Bewegung. Die fehlende Vaterfigur wirkt sich auf den Sohn aus. Strache selbst spricht immer wieder davon, dass er in jungen Jahren ein "Suchender" gewesen sei. Er habe immer ein Bedürfnis nach "männlichen Vorbildern" gehabt, sagt er heute.

Die Akte Strache | Teil 1
Die Akte Strache | Teil 2

A night at the Garden

Während sich in Österreich Heinz-Christian Strache, der während seiner Jugend in Neonazi-Kreisen aktiv war, daran macht, mit der FPÖ so viel Macht viel möglich auszuüben, hat in den USA der Filmemacher Marshall Curry gemeinsam mit dem Forscher Rich Remsberg Filmmaterial einer Nazi-Großveranstaltung in New York aus dem Jahr 1939 aufgestöbert und in eine Kurz-Doku gepackt. Sieben Minuten Grauen und Unverständnis. Natürlich hatte Hitler weltweit Anhänger und Verbündete, natürlich kennt man die Geschichten der Nazis aus den USA und Großbritannien. Wenn jedoch 20.000 Menschen noch vor dem Überfall auf Polen im September 1939 im Madison Square Garden dem Chef des German American Bund – Julius Kuhn – zuhören und -jubeln, unter dem Porträt von George Washington, dann ist nicht die Vorlage für „The Man In The High Castle“, sondern – auch angesichts der aktuellen politischen Lage in den USA – eine erneute Mahnung. Wehret den Anfängen. In einem Interview macht Curry die Ausmaße der Nazi-Bewegung der 1930er-Jahren in den USA deutlich.

„In the end, America pulled away from the cliff, but this rally is a reminder that things didn’t have to work out that way.“

A night at the Garden

Letzte Ausfahrt Bahn

Die Deutsche Bahn hat große Nachwuchssorgen und suchte in einer Hauruck-Aktion in der vergangenen Woche 1.000 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – deutschlandweit. Unkomplizierte Terminvergabe für Vorstellungsgespräche, schnelle Entscheidungen. Auch wenn es mit dem Image der Bahn nicht gerade zum Besten steht, war der Andrang groß: 5.000 Anfragen, die Hälfte der Bewerberinnen und Bewerber wurde eingeladen. Auch Nadine Bös: Die Redakteurin der FAZ machte den Selbstversuch als potenzielle Stewardess für die 1. Klasse im ICE – und wäre sogar genommen worden. Doch die Aktion ist umstritten. Nicht alle, die hier nachrücken, seien den Anforderungen wirklich gewachsen und dürften die Probezeit nicht überstehen.

„„Es ist ein bisschen, als schieße man mit der Schrotflinte in die Luft und hoffe einfach, dass etwas herunterfällt.“

Mein Weg an Bord

schranke

Foto: christophjkonrad Autumn walk via photopin (license)

Keine Termine und leicht einen sitzen

Ja, was ist denn nun mit dem Paid Content? Kommt der noch? Wir zahlen für Netflix und/oder Amazon, werden wir es nun auch für journalistische Inhalte tun? Medienguru Thomas Knüwer sagt: Nein. Und begründet es so: In der Regel nur einmaliges Lesen, Unsicherheit ob der Qualität und der Wunsch nach vielen Quellen (bei denen man aber nicht überall ein Abo abschließen will) stehen dem Kauf von Artikeln im Bündel entgegen. Doch weil es ja irgendwie läuft bei den großen Onlinemedien, sie sich mit Onlinewerbung ja noch irgendwie über Wasser halten können, sind sie, so Knüwer, wie Alkoholiker, denen es gut geht – bis sie auf dem Rücken liegen.

Der Journalismus wie er heute betrieben wird, ist nicht Paid-Content-fähig – und die Gegenfinanzierung über Werbung haben sich die Medienhäuser selbst versaut. Die Verantwortlichen haben versagt.

Warum Paid Content mit journalistischen Inhalten nicht funktioniert

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