Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Aufmerksamkeit = verzinsbares Kapital
Dass Aufmerksamkeit eine eine ökonomische Größe ist, stellt in den heutigen Zeiten, wo sich Verweildauern und Klicks auf Anzeigen in Milliarden verwandeln, keiner mehr infrage. Als Georg Franck den Begriff vor zwanzig Jahren einführte, sah das noch ganz anders aus. Und obwohl der Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Monetarisierung durch das Internet sichtbar und einleuchtend geworden ist, lohnt es sich noch einmal hinzuhören, was der Professor heute zur Ökonomie der Aufmerksamkeit zu sagen hat. Es geht nicht nur um Werbung, es geht um Ressentiments, Trump, Terror und Markenwelten.
„Einstein hat die Rolle des originellen Genies gern gespielt und sich über Gott und die Welt geäußert, weder kompetenter noch tiefgründiger als andere. Aber weil er Einstein war, wird das gern zitiert und als Aussage einer Autorität beachtet, auch wenn er seine Autorität auf einem völlig anderen Gebiet erworben hat. Die ursprüngliche Akkumulation der Aufmerksamkeit hat noch mit Leistung zu tun, ihre Verzinsung ist davon entkoppelt.“
Mode: Auf dem Bürgersteig der Langeweile
Vor wenigen Tagen erst sagte eine Freunden, nicht im Geringsten modeinteressiert aber mit offenen Augen gesegnet: „Ich habe das Gefühl Mode ist unfassbar langweilig geworden. Ich gucke mich auf der Straße um und alle sehen gleich aus: egal bis abgefuckt. Keiner will mehr schön aussehen.“ Recht hat sie. Zumindest sieht Ingeborg Harms, Autorin und Professorin für Designtheorie an der Universität der Künste in Berlin, das genauso. In ihrem großen Essay für das Zeit Magazin erklärt sie, wie es von Jil Sanders schlichtem Understatement als Gegenentwurf der grellen Neunziger zum heutigen Normcore-Einerlei kam. Dabei schlägt sie den ganz großen mode-, kultur- und gesellschaftshistorischen Bogen. Diesem wird sie auf epischer Länge und mit einem Feuerwerk des akademischen Vokabulars gerecht – ohne sich wirklich ins Unverständlichkeit zu verabschieden. Trotz offensichtlicher Nähe zu Jil Sander, eines der besten Stücke über Mode seit gefühlter Ewigkeit.
„Dabei waren sich die traditionellen Marken für keinen Geschmacksverstoß und keine Banalisierung zu schade, ging es in diesen anarchischen Jahren doch darum, im Verteilungskampf um globale Claims nicht unterzugehen. Der Preis dafür war hoch. Nicht nur verschwand in wenigen Jahren jeder modische Maßstab; mit dem Verrat ihrer Tradition verloren die etablierten Marken auch ihre Identität und Legitimation.“
Die unfreiwillig Abgehängten der USA
Alle reden über sie, und doch scheint niemand sie zu kennen: Welche Menschen gehören zum abgehängten Teil der US-amerikanischen Gesellschaft? Zu denen, für die jedes Bewerbungsgespräch mit einer Absage endet und die Zukunft aussichtslos erscheint – trotz höherer Beschäftigung insgesamt? Und warum ist das überhaupt so? Die Zahl dieser Menschen schätzt man bei Bloomberg auf rund 20 Millionen, fünf von ihnen hat das Magazin portraitiert. Es geht um mangelnde Mobilität, düstere Vergangenheiten, Drogen, Altersdiskriminierung und Behinderung. Es geht um Schicksale, die berühren und zeigen, dass längst nicht jeder eine zweite Chance bekommt. Und dass es in von Arbeitsplatzverlusten gezeichneten Gegenden samt resignierter Bevölkerung auch gar nicht einfach ist an verlässliche, fähige Mitarbeiter zu kommen.
„Even if he landed the position, filling his gas tank had left him with $8 to his name. He would have to sleep at a friend’s place until he could earn enough to pay rent. The 23-year-old had run out of options. He’d applied for dozens of jobs within an hour and a half of his hometown of Lovely, once a coal-mining stronghold. Instead of opportunities, he had found waiting lists.“
##Hummus statt Hamburger
Was haben Starbucks, KFC, Subway, Dunkin' Donuts, das Hard Rock Café und Burger King gemeinsam? Sie alle kommen aus den USA, okay. Was noch? Sie sind alle nahezu weltweit erfolgreich, nicht aber in Israel. Fast alle großen Food-Systeme sind in dem kleinen Land, das den USA in vielen Dingen so nahe steht, gefloppt, haben wieder dichtgemacht oder dümpeln mit ein paar mittelmäßig laufenden Outlets dahin. Warum ist das so? Liegt es an den hohen Qualitätsansprüchen der Israelis? An den technisch herausfordernden Speisegesetzen? Oder daran, dass es eine Salatesser-Nation ist? Alle diese Gründe dürften eine Rolle spielen, noch ausschlaggebender allerdings dürfte dieser sein: Israel, der ganze Nahe Osten überhaupt, braucht kein importiertes Fast Food. Das hat man nämlich schon und fängt an, es nun selbst zu exportieren.
Wenn es noch einen Konsens gibt in der politisch, religiös und kulturell so gespaltenen israelischen Gesellschaft, dann ist es die Liebe zum Hummus, dem schweren, öligen Kichererbsenbrei.