Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Sex, Drogen und V-Necks
Vom einstigen Hipster-Imperium in den Bankrott. Die kalifornische Klamottenmarke American Apparel war in den letzten zehn Jahren der Inbegriff für coole Basics und für viele trendbewusste Menschen die einzige Mainstream-Alternative zum H&M-Imperium (H&M, Cos, Weekday, Cheap Monday, & other stories) oder auch Zara. Der Konzern stand wegen seiner sexistischen Werbung aber auch oft in der Kritik. Und vor allem der Gründer und frühere CEO Dov Charney musste sich mit diversen Gerichtsprozessen wegen sexueller Belästigung rumschlagen und wurde schließlich im vergangenen Jahr in seiner eigenen Firma gefeuert. Anfang Oktober meldete der Konzern Insolvenz an. Die Zukunft der über 10.000 Mitarbeiter ist mehr als ungewiss. Dabei fing es eigentlich mal ganz gut an, war American Apparel doch eine der ersten Marken, die ihre Kleidung lokal in Los Angeles statt in Asien herstellen ließ und für eine nachhaltige Produktion einstand. Die Journalistin Alden Wicker schaute hinter die Kulissen der Firma und zeigt die Abgründe eines aus dem Ruder geratenen Hipster-Kapitalismus.
„This is really fucked up. This company is like my really bad boyfriend I can’t get away from.“
Sex, Drugs, And V-Neck Tees: Inside The Cult Of American Apparel
Meta-Horror
Popkultur und Kunst reflektieren gesellschaftliche Zustände. Das gilt auch für das Horror-Genre – oder sollte man sagen: besonders für das Horror-Genre? In einer äußerst umfangreichen Analyse arbeitet sich Georg Seeßlen an der Geschichte des Horrorfilms ab – analysiert die Beziehungen zwischen Plots, Ästhetik, Gesellschaft und Fortschritt. Beispiele zur Untermauerung seiner Thesen kennt er jedenfalls genug. Eine seiner Feststellungen: Während vor Jahren noch das Böse in die Welt kam (z.B. in Nightmare), ist es jetzt die böse Welt, in der man nach dem letzten bisschen des Guten sucht (z.B. in The Walking Dead). Ein lesenswerter Essay.
„Der moderne Horrorfilm kann gar nicht anders, als über sich und die Welt nachzudenken. Schmerz, Tod und Angstlust sind nur noch Begleiterscheinungen eines viel tieferen Grauens. Das Überleben ist mit der grausamsten Frage gekoppelt: Wozu eigentlich? Ist hier überhaupt noch jemand wert, gerettet zu werden?“
##Geschmacksillusion
Schon mal jemand in die Falle des perfiden Geräuschs getappt, das vor dem Kinofilm von der Leinwand knackt, kurz bevor ein studentischer Bauchladenträger „Jemand Eis?“ ruft? Magnum. Jetzt. Er kann das alles erklären: Charles Spence weiß, warum Kaffee aus der weißen Tasse kräftiger schmeckt als aus (Hipster-Cafés, aufgepasst) Gläsern, warum Deos für Männer lauter zischen müssen als für Frauen, warum Kekse knuspriger sind, wenn sie auf einem rauen statt auf einem glatten Untergrund serviert werden und Zitronenlimonade in einer gelblichen Dose zitroniger schmeckt. „The New Yorker“ hat den Guru der Multisensorik begleitet.
„Basically, before it was pss and after it was ktsch-h-h-h-h“
##Allheilmittel Taser
Die Los Angeles Times untersucht die zunehmende Gewalt an der Grenze zwischen den USA und Mexiko im Bundesstaat Kalifornien. Nicht die „klassische“ gun violence war dort in den vergangenen Jahren das Hauptproblem (die US-amerikansichen Grenzschützer haben seit 2010 24 Menschen erschossen – ein Verfahren wegen Mordes läuft, sonstige Disziplinarmaßnahmen Fehlanzeige), sondern griffen vermehrt zum Taser. Wirkliche Regeln für den Einsatz schien es lange nicht zu geben, so wurden auch vermeintlich Illegale beim Überklettern des Zauns in Richtung Mexiko so gestoppt. Mittlerweile haben die Behörden das Problem erkannt und die Anzahl der Übergriffe, sprich der Verwendung eines Tasers in klar ersichtlich ungefährlichen Situationen sinkt. Ein Ende ist jedoch nicht in Sicht und Schwerverletzte gibt es reichlich zu beklagen.
„I'm not condoning shooting anyone in the back with a Taser.“
How Tasers became instruments of excessive force for the Border Patrol