Jede Woche liest die Redaktion das Internet leer, um sonntäglich Lesestücke empfehlen zu können. Artikel, die interessant, relevant oder gar beides sind – und zum Glück abgespeichert wurden.
UK ravt illegal
Berlin redet über Clubsterben, London zieht bereits Konsequenzen: Wil Crisp beleuchtet für den Guardian die illegale Rave-Szene in Großbritannien. Die, so sein Resümee, ist seit ein paar Jahren wieder lebendiger denn je. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die restriktive Strategie der Politik gegenüber der Club- und Rave-Szene befeuert die Renaissance der Partys ohne Lizenz, ohne Fluchtwege und ohne Sicherheitskontrollen, wie man sie von Flughäfen gewohnt ist. Menschen wollen feiern und dabei nicht gegängelt werden. Sie wollen bleiben, so lange sie wollen und konsumieren, was sie wollen. Problematisch sei das alle nicht, sagen Veranstalter*innen und DJs. Vielmehr eine klare Reaktion auf die behördlichen Auflagen für das Nachtleben.
“It’s like 1920s prohibition in America,”
Austerity, gentrification and big tunes: why illegal raves are flourishing
Hyperobjekte
Dass wir das mit dem Klimawandel zwar wissenschaftlich erkennen, aber dennoch nicht begreifen oder glauben können (davon unter anderem handelt das neue Buch von Jonathan Safran Foer), hat dem britischen Philosophen Timothy Morton nach etwas damit zu tun, dass es sich hierbei um ein „Hyperobject“ handelt, wie er es nennt: Wir schaffen es, und gleichzeitig ist es schon da. Wir bemerken es, aber es ist zu groß, zu träge, zu komplex, um es beispielsweise wieder zu „entfernen“. Als Individuum stehen wir der kollektiven Mensch-Maschine, die den Klimawandel in Gang gesetzt hat, klein und achselzuckend gegenüber, und gleichzeitig sind wir ein Teil von ihr. So, wie wir der Stau sind, in dem wir stehen und über ihn motzen. Wir werden mit Hyperobjects nur klar kommen, wenn wir sie akzeptieren, findet das Zukunftsinstitut.
Die Erderwärmung ist laut Morton das größte Hyperobject unserer Zeit. Es durchdringt uns, verändert uns, hat uns im Griff, ohne dass wir es je als Ganzes zu fassen bekommen. Und ohne dass wir es je für immer und radikal verändern könnten.
Viraler Rassismus
Dass derzeit nicht der Coronavirus das eigentliche Problem ist, sondern vielmehr die Berichterstattung, Medienaufbereitung und konspirative Panikmache, haben die Klügeren unter uns ohnehin schon herausbekommen. Dass also der eigentliche gesellschaftliche Virus nicht Corona sondern Rassismus heißt, berichtet eine Berliner Ärztin von ihrer Notaufnahme für den Freitag.
In etwa solch einer Situation stellte sich neulich also ein Patient vor, der am Vorabend in einem japanischen Restaurant essen war und nun Husten habe. Er wolle sich auf das Coronavirus checken lassen, bei japanischen Restaurants wisse man ja nie. Am nächsten Tag kommt ein anderer, der ebenfalls von Husten berichtet, er habe zwar keinen Kontakt mit Chinesen gehabt, aber die Frau seines besten Kumpels komme aus der Ukraine, und die sei häufig bei ihm zu Besuch und – genau, da wisse man ja nie.
Techno lebt
Wie viel Leben hat eigentlich ein Musikstil? Berechtigte Frage, wo sich doch gefühlt wöchentlich in der Totschreibung von Techno geübt wird. Auch im jungen Jahr 2020 lieferte Dr. Motte mit seiner durchaus komischen und sicher berechtigt kritikwürdigen Reinkarnations-Idee der Loveparade für reichlich Grabsteinsprüche und grenzwertige Headlines, wie z.B. „Techno muss sterben damit er leben“ kann. Eine Phrase, die nicht nur völlige Ahnungslosigkeit in Sachen derzeitiger Clubkultur, sondern auch gegenüber Slime bzw. Punk bzw. der Musikkultur der angeblich so sehr geliebt-geschätzten Mittneunziger beweist. Peinlich. Das hat ein Fuchs in der Redaktion dann auch gemerkt – die Zeile ist nicht mehr zu finden. Immerhin. Für Groove hat Nils Schlechtriemen einen angenehm bissigen Kommentar verfasst, der endlich mal nicht Geschichtsschreibung durch Totsagung bezweckt, sondern der Szene maximale Diversität und Vitalität zuschreibt – und auch den Kritikern was zu sagen hat:
Finale Statements mit borniertem Geschmäckle jenseits der komplexen Realität, um ein Maximum an Aufmerksamkeit zu erzeugen – zumindest das ist vielen Lohnschreiber*innen ja kurzfristig blendend gelungen.