Man kann nicht alle interessanten Texte finden, die die ganze Woche über publiziert werden, geschweige denn lesen. Immer sonntags stellt die Redaktion an dieser Stelle vier bemerkenswerte Artikel vor, die über unsere Displays geflimmert sind und dabei zum Glück abgespeichert wurden.
Apokalypse der Super-Reichen
Spätestens seit dem Amtsantritt von Donald Trump ist eine neue Weltordnung in Kraft getreten. Wie und in welcher Form? Wer kann das überhaupt noch wissen und ahnen, wenn selbst die South-Park-Macher beteuern, dass die neue Realität ihre Satire längst überholt hätte. Jeder dürfte mal von Preppern gehört haben. Gemeinhin stellt man sich einfache, weiße Cowboy-Amerikaner vor, die sich mit Tonnen von Baked Beans und Schrotflinten eindecken, um im Falle einer möglichen Apokalypse autonom und vor allem sicher überleben zu können. Zombie-Survival-Kits haben Konjunktur. Aber es ist nicht nur „der kleine Mann“, der sich ums Überlegen sorgt. Seit einiger Zeit setzen auch Milliardäre aus dem Silicon Valley und New Yorker Hedgefonds-Banker auf existentielle Exit-Strategien. Immobilien und Ländereien in Neuseeland, Luxus-Appartements in alten Raketenbunkern, Kurse in Pfeil und Bogen, teils setzen ganze Firmen viel Geld ein, um im Ernstfall den Vorstand und die wichtigsten Mitarbeiter retten zu können. Eine Bewegung, über die nicht gerne öffentlich gesprochen wird. Evan Osnos ist für den New Yorker dennoch in diese Welt eingetaucht und beschreibt in seinem sehr ausführlichen Artikel „Doomsday Prep For The Super-Rich“, wie sich die Reichen die Apokalypse vorstellen und dass im Worst-Case wie immer jeder sich am nächsten ist.
„In private Facebook groups, wealthy survivalists swap tips on gas masks, bunkers, and locations safe from the effects of climate change. One member, the head of an investment firm, told me, 'I keep a helicopter gassed up all the time, and I have an underground bunker with an air-filtration system.' He said that his preparations probably put him at the 'extreme' end among his peers. But he added, 'A lot of my friends do the guns and the motorcycles and the gold coins. That’s not too rare anymore.'“
##Lernen, lernen, lernen – jetzt!
Trumps Sieg sei der Preis, den Hillary Clinton für die Ausschaltung von Bernie Sanders zu zahlen hatte, steigt Slavoj Žižek in diesen Beitrag für die NZZ ein. Und Trump verhindere, dass die Enteigneten selbst für ihre Sache einstehen können. Er sei ein moderner Citizen Kane, ein Schuft. So far, so good. Aber was nun? An Marx denken. Hegel lesen. Revolution machen. Geradezu stoisch fährt der slowenische Philosophie-Popstar die alten Größen gegen das auf, was sich in den USA gerade anbahnt (Hörtipp dazu: die aktuelle Ausgabe der Lage der Nation – baut Trump eine Demokratie zur Diktatur um wie einst Hitler?). Für die Linke sei nun endgültig die Zeit gekommen, sich selbstkritisch neu zu definieren. Und: 2020 sollten sich Trump und Sanders gegenüber stehen. Soso. Sanders, ein 2020 fast 80 Jahre alter Mann als Gegenpol zu einem, der bis dahin vielleicht sein Land zu Grunde gerichtet, mindestens aber noch tiefer gespalten und möglicherweise einen neuen Krieg angezettelt haben könnte? Wenn selbst der große Denker mit dem Rauschebart zum Thema keinen überzeugenden Text mehr hinkriegt, macht das echt nicht gerade Mut.
„Die Reaktion der Linken auf Trumps Wahl sollte sich deshalb nicht auf selbstgefällige moralische Entrüstung beschränken, sondern in harter Selbstkritik bestehen: Trumps Sieg gibt der Linken die einzigartige Chance, sich selbst zu erneuern.“
Keine Lust auf Vergangenheit
Brian Eno hat sich in den vergangenen Jahren zu einem immer streitbareren Geist entwickelt, nicht immer zur Freude seiner Fans, wenn wenn sich der musikalische Held plötzlich politisch äußert und diese Äußerung der eigenen Meinung konträr entgegensteht: Was macht man dann? Wie verhält man sich? Auch im aktuellen Interview mit The Guardian geht es hoch her, zumindest phasenweise, bevor die Stimmung gen Ende unwiderruflich kippt. Eno ist einer von denen, die Trump und den Brexit als Chance sehen. Nicht dass er den US-Präsidenten und den Austritt seines Heimatlandes aus der EU gutheißt, gar unterstützt. Es sind für ihn vielmehr Anzeichen dafür, wie sich unsere westliche Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten selbst ad absurdum geführt hat, Quittungen für ein nicht zu tolerierendes Desinteresse. Die Welt habe zu lange nach dem Prinzip des Orchesters funktioniert. Von oben nach unten. Dirigent sagt an, Musiker spielen. Das ist kein Weg für die Zukunft. Verändern kann man die Welt nur gemeinschaftlich, also wie in einer Band bei einer Jam Session, wo man auf sich achtet, aufeinander hört. Der Vergleich ist so genial wie erschütternd. Denn welche Instrumente Trump und May spielen verrät er nicht. Und wer überhaupt noch mit ihnen spielen will, auch nicht. Denn, wie gesagt: Dann eskaliert das Gespräch.
„There was a revolution brewing and we didn’t spot it because we didn’t make it.“
Tote Telefonzelle
Einst standen sie an jeder Ecke, heute sind sie selten bis überflüssig: Telefonzellen, vornehmlich gelb oder Telekom-Rosa-Grau. Selbst wer heutzutage nichts hat, hat mindestens ein Handy dabei. Dort wo die Telefonzellen noch stehen, stehen sie einsam. Diese Erfahrung macht ZEIT-Autor Moritz Herrmann, der in Hamburg einen Tag bei, oder vielmehr mit einer Telefonzelle verbringt, um etwas über sie und ihre Nutzer herauszufinden. Doch letztere bleiben leider aus. Stattdessen macht der Autor sein eigenes Verhältnis zu genau dieser Telefonzelle zum Thema, protokolliert die eigenen Gedanken des Tages. Wunderbar subjektiv, mit viel Witz und einem Hang zur Prosa. Ein Stück Easy-Reading am Ende dieser so ernsten Leseliste.
„Mülleimer, scheint mir, sind ein krisensicheres Stadtbildelement. Anders als meine Zelle. Die steht da und kann nicht anders, und ich stehe neben ihr, aber das nicht mehr lange durch, vor lauter Verzweiflung fange ich schon an, Luther zu zitieren. Wenn nicht bald was passiert, passiert hier was. Dann schlage ich meine drei Thesen an die Telefonzellentür.“