Water Works – Geschichten aus Südafrikas WasserkriseTeil 3 | Dem Wasser auf den Grund
13.2.2020 • Gesellschaft – Text & Fotos: Julia KauschFür den dritten Teil von „Water Works“ hat sich Julia Kausch mit dem Geologen Dylan Blake getroffen. Die geologische Lage Südafrikas ist einzigartig und birgt viele Chancen, dem Wassernotstand langfristig beizukommen. Genau an solchen Projekten arbeitet Blake. Denn auch wenn die Dämme leerer und leerer werden: Es gibt ja schließlich noch das Grundwasser.
Wasser ist ein kostbares und endliches Gut. Wie kostbar es wirklich ist, lässt sich mittlerweile auch hierzulande ob des dramatischen Klimawandels immer mehr erahnen. Wasserknappheit ist schon lange kein Problem mehr, das wir als wohlstandsverwöhnte Europäer ignorieren können. Andere Regionen sind noch schlechter dran. Ab 2015 sah sich die südafrikanische Provinz Westkap mit einer dramatischen Situation konfrontiert: Dürre und Trockenheit ließen die Wasserreserven der Region gefährlich schwinden. Anfang 2018 schließlich wurden die Szenarien für den „Day Zero“ veröffentlicht, dem Tag, an dem das Wasser aufgebraucht sein würde. Genau in dieser Zeit fuhr Filter-Autorin Julia Kausch nach Südafrika. Um das Land kennenzulernen, vor allem aber auch, um zu surfen und sich dem Wasser der Ozeane kompromisslos auszusetzen. In ihrer Artikel-Serie „Water Works“ erzählt sie Geschichten rund um das Wasser in Südafrika. Episodisch und reportierend setzt sich so Stück für Stück oder Welle für Welle das Bild einer Krise zusammen, die von weit mehr abhängig ist als vom resourcenschonenden Umgang und der Hoffnung auf Regen.
Der Vorgarten am Haus meiner Bekannten strahlt mir in saftigem Grün entgegen, als ich durch das eiserne Tor am Anwesen (man kann es nicht anders sagen) in Simon’s Town fahre. Mein Auto parke ich auf dem kleinen Kiesparkplatz, der zwischen Tor und dem imposanten, weil dreistöckigen, Sandsteinhaus liegt und in der östlich stehenden Morgensonne Schatten für meinen kleinen Atos spendet. An der Sandsteinfassade schlängeln sich kleine Rebenzweige gen Himmel, die an der erhabenen Oberfläche zu haften scheinen; instant vacation, vierzig Minuten vom Stadtzentrum entfernt. Ich steige aus und laufe durch das frisch geschnittene Gras, das nass an meinen in FlipFlops steckenden Füßen kitzelt. Das leise Zirpen der Rasensprenger bildet den angenehm atmosphärischen Ambient-Sound der ja so geplanten Wochenendidylle in den südlichen Vororten Kapstadts, wo meine Freunde und ich die nächsten Tage verbringen wollen. Wässriger white noise, der durch ein- und auslaufende Wellen unterstützt wird: Wasserverstärker. Das Meer, welches das Grundstück im Halbkreis umarmt, ist über eine kleine Treppe erreichbar. Privatstrand – selbstverständlich, was sonst. Ich bahne meinen Weg durch den weichen Rasen in Richtung der großen hölzernen Haustür, als diese bereits aufschwingt. Überrascht tritt meine Freundin heraus und nimmt mir die Tasche ab, bevor sie mich begrüßt. Die anderen sind noch nicht da. Es ist neun Uhr morgens, wie besprochen, aber in Afrika sind die Uhren bei solchen Gruppenunternehmungen nicht aufs Atom geeicht, die Deutschen also selbst wenn zu spät immer zu früh dran. Hiken, Surfen, Wein zwischen Bergen und Meer, so lautet der Plan. Meine Freundin dreht die Rasensprenger ab, damit das Gras in der höher wandernden Sonne nicht verbrennt. Ob das Bewässern denn überhaupt wieder erlaubt sei, frage ich. „Wir haben ein Wasserbohrloch – das Wasser kommt also nicht aus dem Hahn“, erklärt sie. Ich nicke zustimmend, verstehe natürlich nichts und trete in das kühle Sandsteinhaus.
Ein paar Tage später und nur einige wenige Kilometer die Küste des Indischen Ozeans hinauf, treffe ich Dylan Blake. Er ist Principal Geologist – also leitender Geologe – bei Umvoto. Das Team verschreibt sich der Erschließung der Grundwasserversorgung in Südafrika, vor allem aber am Westkap, wo die Wasserkrise seit 2015 anhält. „Umvoto wurde 1992 von der Geologin Rowena Hay gegründet. Gemeinsam mit ihrem Mann, Dr. Chris Hartnady, der lange Professor für strukturelle Geologie an der University of Cape Town war, gilt Rowena als Pionierin in der Forschung an der Tafelberg-Gruppe (Table Mountain Group, kurz TMG). Seit Beginn bildet Grundwasserforschung den Arbeitsfokus bei Umvoto. Wir verstehen uns als Earth Science Research Consultancy,“ erklärt Dylan. Beratung ist gut, denke ich, Beratung schadet in Krisenzeiten selten. Generell, so scheint es, ist der Konsens unter Normalsterblichen Nichtgeolog*innen ja der Zustand totaler Verwirrung: Warum gibt es jetzt kein Wasser und wieso scheint die Stadt, die Gemeinde, die Provinz und im Grunde ja ehrlicherweise das ganze Land mit voller Breitseite von der derzeitigen Dürre überrascht worden zu sein? Meine Freunde postulieren seit Monaten die weitverbreitete Auffassung, dass Politikschaffende und jene, die in öffentlichen Ämtern angestellt sind, „greasy palms“, also fettige Finger vom ganzen Schmiergeld haben und jegliche Frühwarnsysteme, also Lernerfolge ehemaliger Dürren willentlich ignoriert wurden. Das stimme so nicht ganz, wie Dylan mir erklärt, aber dazu später mehr. Südafrika und das Westkap sind primär von Oberflächenwasser abhängig. Es wird in den umliegenden Dämmen gesammelt die untereinander verlinkt sind; Kapazitätsoptimierung für ständiges Rauschen.
Bis zu 50 Prozent Schwund
Ein Damm am Westkap erinnert dabei natürlich eher an einen großen Verdunstungskessel: Wo Dämme optimalerweise tief und eng sein sollten, ist der größte in dieser Region – der Theewaterskloof-Damm – flach und groß. Die Oberfläche, die in der afrikanischen Sonne dümpelt, kann ungehindert verdunsten. Der Berg-River-Damm ist der neueste, 2009 eröffnet. Er soll die Gesamtkapazität am Western Cape erhöhen. Sonst, so erklärt Dylan, können nur noch die Dammwände erhöht werden, um für mehr Volumen zu sorgen. Weitere Verluste, sagt er, seien schlicht und einfach auf undichte Leitungen zurückzuführen: „Wo das internationale Mittel bei 15 Prozent liegt, gehen in Südafrika im Durchschnitt 40 bis 50 Prozent verloren.“ Say what? Ja, das habe ich ganz richtig verstanden. Die Stadt habe nach der vorherigen Dürre auf Druck- und Leckreduktion gesetzt und die Wassernutzung enorm eingeschränkt. „Die Stadt hat vor der Dürre rund 1 bis 1,2 Milliarden Liter pro Tag benutzt, die durch starke Einschränkungen auf 500 bis 600 Millionen Liter reduziert werden konnten“, erklärt Dylan. Wie viele Badewannen sind das jetzt? Und wo ist das Grundwasser? „Die TMG bezeichnet eine einzigartige Reihe aus Kluftgrundwasserleitern und verdankt ihren Namen dem Tafelberg, der aus dem Gestein besteht, welches hier die Hauptformation bildet; die Peninsula Formation aus quarzistischem Sandstein“, fährt er fort und rollt eine Karte Südafrikas vor uns aus. „Das verwirrt viele erst einmal, da sie denken, es handle sich bei der TMG nur um den Tafelberg. Tatsächlich erstreckt sich die Gruppe von Port Elizabeth am Ostkap bis nach Vanrhyndorp in der nordwestlichen Ecke des Westkaps.“
Genauer meint dies eine voluminöse Reihe gefalteter, tektonisch gestörter Sedimentgesteine. Als Pioniere der TMG-Grundwasserforschung in den 1990er- und Nuller-Jahren startete Umvoto mit der Entwicklung von Brunnenfeldern in Citrusdal und Hermanus. „An Letzterem arbeiten wir noch immer. Hermanus ist eines der besten Beispiele der Nutzung von sowohl Grund- als auch Oberflächenwasser. Momentan verdankt die Stadt den drei Brunnenfeldern 30 bis 40 Prozent der Wasserversorgung. Derzeit arbeiten sie daran, die Verteilung auf 50/50 zu erhöhen – 50 Prozent Grundwasser und 50 Prozent Oberflächenwasser.“
Wer Geld hat, bohrt selbst
Im Büro von Umvoto, in Muizenberg direkt neben der Surfers Corner, beschäftigt man sich mit genau dieser Optimierungsproblematik, auf der Suche nach Wasser mit wissenschaftlicher Wünschelrute. Das Thema zieht sich bereits bei Betreten des Hofs im ganz wörtlichen Sinne durch das Designkonzept, das zwischen moderner Architektur und Zen-Garten mäandert: gerundete Dekosteine, die sanft von einem in den Boden eingelassenen, längs den Wegrand säumenden Teich umspült werden, obendrauf treiben Seerosen im blättrig-löchrigen Halbschatten des danebenliegenden Baums. Auch Umvoto nutzt eigene Wasserbohrlöcher, die während der Dürre dank hauseigener Wasseraufbereitung für Trinkwasser genutzt werden konnten. „Viele Privathaushalte haben Wasserlöcher in die Grundwasserleiter gebohrt. Vor allem natürlich Leute in den südlichen Vororten, die genug Geld für eine solche Bohrung haben“, erklärt er. Wasser als Indikator der Einkommensverteilung. Das Bürogebäude zeichnet sich weich gegen den Garten ab. Säulen im Kolonialstil, innen moderne, offene Architektur, die Glasfronten in Metall gefasst. Wir sitzen im Kaminzimmer, das wie der Rest des Büros mit hohen Bücherregalen ausgestattet ist. Ein Blick auf die Buchrücken, der Kopf zum Lesen leicht geneigt, verrät die Titel: wissenschaftliche Publikationen, Geologie, Hydrogeologie – Fachliteratur. Dylan nimmt einen Schluck von seinem Tee, ich von meinem schwarzen Kaffee. Er ist groß, trägt einen dunklen, mit roten Haaren durchzogenen Bart und erinnert direkt an George Lucas. Oder eher Stanley Kubrick? Vielleicht ist es nur seine Expertise, die bereits nach wenigen Minuten beeindruckt. Alles was er sage, erklärt er, spiegele seine persönlichen Ansichten als Geologe wider und entspräche nicht zwangsläufig jenen der City of Cape Town oder anderen Gemeinden. Der Satz ist natürlich auch in anderen Kontexten wichtig. Gerade in Bezug auf polarisierende Themen wie Wasser, Nahrung und Sanitäranlagen, immer dann aber, wenn Geld involviert ist. Der kollektive Nervenzusammenbruch scheint bei sich scheidenden Geistern sonst programmiert.
Der Grund für die derzeitige Dürre ist, dass die Kaltfronten das Westkap nur noch teilweise schneiden.“
„Ich komme ursprünglich aus Durban und bin daher an heiße Sommer gewöhnt. Dort sind natürlich auch die Winter trockener und ertragbarer. Als ich also 2007 nach Kapstadt zog, war es für mich erst einmal eiskalt. Wenn man sich die Niederschlagsaufzeichnungen aus diesem Jahr ansieht, gab es damals den höchsten Regenfall seit 30 Jahren. Ich bin damals immer zur Arbeit gelaufen und musste Wechselkleidung mitnehmen, weil ich auf dem Weg so nass wurde.“ Am Western Cape ist der Winter die niederschlagsreichste Zeit, was die Sommer natürlich doppelt gut, die Winter dafür, so zumindest im Optimalfall, kalt und nass ausfallen lässt. Zentralheizung gibt es natürlich ... nicht. „Wenn die Kaltfronten, die früher viel weiter nördlich erkennbar waren, auf Kapstadt treffen, sorgt dies für Regen. Normalerweise sollte sich der südatlantische Hochdruckrücken im Winter Richtung Äquator verschieben, sodass diese Kaltfronten reinkommen können. In den letzten Jahren saßen die Hochdruckgebiete jedoch weiter südlich – es gab also weniger Regen. Der Grund für die derzeitige Dürre ist, dass die Kaltfronten das Westkap nur noch teilweise schneiden.“
Was der Auslöser für diese Verschiebung ist, wisse keiner so genau. Ein möglicher Faktor könnten jedoch steigende Temperaturen der Meere sein, erklärt Dylan. Regionen um Gauteng, Limpopo und Mpumalanga sind dem Westkap zyklisch genau entgegengesetzt und von der ebenfalls äquatornahen Interkontinentalen Konvergenzzone abhängig: feuchte Luft, die im Sommer trichterartig Richtung Ostkap gesogen wird. Etwas weiter südlich, in KwaZulu-Natal (KZN), ist unter optimalen Umständen das ganze Jahr Regen gegeben, meist jedoch in den Sommermonaten. Die Agulhas-Strömung entlang der Ostküste Südafrikas, welche ebenfalls für feuchte Luftströmungen sorge, biete Niederschlag in Verbindung mit Niedrigdruckgebieten für das Ostkap und KZN. Natürlich komme zusätzlich noch Niederschlag und Feuchtigkeit vom Mozambik-Kanal dazu, der den Osten des Landes versorge: zyklonischer Regenfall. „Die Garden Route, die sich von Hermanus bis Port Elizabeth erstreckt, hatte lange Zeit die höchsten Niederschläge.“ Dylan schiebt nun mit beiden Händen über der Karte die imaginären Hoch- und Tiefdruckgebiete sowie weitere niederschlagsindizierende Zonen umher, was bei mir ein imaginiertes, hologrammartiges Wetterspiel evoziert, etwa so wie eine Wetterbericht-Animation. Die Garden Route, so Dylan, habe Niederschläge also Sommer wie Winter erlebt. Auch an der früher sattgrünen Garden Route herrscht nun, in fäkalsprachlicher Leerstelle, tote Hose, denke ich. Cloudseeding? Vielleicht lieber nicht.
Zwischen Ekel und Schönheit
Wir sitzen am Privatstrand in Simon’s Town. Dort, wo die weltbekannten Pinguine in der warmen afrikanischen Sonne auf den Steinen backen und sich zur Abkühlung in das hier türkisfarbene Meer stürzen. Federlose Flügel zurück, den Kopf bzw. Schnabel zuerst, scheinbar auch hier: instant vacation. Das Wasser ist angenehm warm beim Hineingehen und auch Haie wurden länger nicht mehr gesichtet. Das ist natürlich super für uns. Leider, so heißt es, habe die Wasserqualität in den letzten Jahren enorm nachgelassen. Vielleicht deshalb keine Haie? Vor allem in Mouille Point, Camps Bay und Hout Bay, also Touristenepizentren, aber auch im in der Nähe gelegenen False Bay, würden die Klärwerker, so die Gerüchte, Abwasser direkt ins Meer pumpen. 36,5 Megaliter (1 Megaliter sind 1.000.000 Liter) ungeklärtes Wasser, heißt es. Das ist natürlich in erster Linie wahnsinnig eklig. Wer möchte schon in, Pardon my French, Scheiße surfen oder schwimmen? Interessanterweise lässt das Abwasser aber auch Rückschlüsse auf die Medikamenteneinnahme und damit den Wohlstand der Gegend zu, aus der das Abwasser stammt, sagt ein Freund, der das saubere Hermanus-Wasser gewöhnt ist. Dylan nickt zustimmend, als ich ein paar Tage später mein Halbwissen teile. „Verschmutzung ist definitiv ein kritischer Faktor: Medikamente, Koffein und Hormone dienen alle als Indikator, wie wohlhabend eine Gegend ist, je nach Art der Empfängnisverhütung und der Bluthochdruckmedikamente. Derzeit können diese in den Klärwerken nicht herausgefiltert werden. Es wird einfach immer teurer, ist jedoch theoretisch möglich. Bisher wurden bei Tests der Wasserbohrlöcher der Table Mountain Group keine solcher Indikatoren festgestellt, sodass wir davon ausgehen, dass diese auf natürlichem Wege geklärt werden.“
Natürlich ist Grundwasser nicht gleich Grundwasser. Die Region um Kapstadt beherbergt drei Arten von Grundwasserleitern: Basement Aquifers, die TGM Grundwasserleiter und Sandgrundwasserleiter. „Basement-Grundwasserleiter sind jene, die in den ältesten Steinen, den sogenannten Basement Rocks, liegen – Granit und Schiefer. Ersteres gehört zur Cape Granite Suite, Schiefer zur Malmesbury Group. Diese sieht man beispielsweise in Clifton, Camps Bay, an der Atlantik-Seite. In Simon’s Town gibt es die Küste entlang viel Granit, welches in die Malmesbury Group eingedrungen ist. Schiefer sieht man vor allem in De Waal Drive oder Sea Point. Hier findet sich auch der bekannte Sea Point Contact. Charles Darwin hielt hier einst an, um den in den Schiefer der Malmesbury Group eingedrungenen Granit zu untersuchen. Dies gilt nach wie vor als einschneidendes Ereignis in seinem Verständnis der Geologie.“ Das schwarze Gestein – Schiefer – eigne sich nicht unbedingt als Grundwasserleiter, da die Brüche und Verwitterung im Stein oft nur 50 bis 100 Meter tief und Grundwasserreserven somit begrenzt seien.
Ins älteste Gebirge der Welt
Meine Freunde und ich, die Diskussion über Wasser oder ja eher „lack thereof“ ins Auto verlegt habend und auf engem Raum dem Nervenzusammenbruch nun auch einen Schritt näher, machen uns von Simon’s Town auf den Weg die Küste hinauf, über den Chapman’s Peak Drive nach Llandudno Beach. Der Pass wurde nach unzähligen Unfällen komplett neu angelegt. Er geht einmal durch das 630 Millionen Jahre alte Granitgestein. Die Route ist tatsächlich in die Bergkontur eingearbeitet, wobei die Straße selbst im Malmesbury-Gestein sitzt. Ein kurzer Stopp am Strand und weiter um den Tafelberg herum, vorbei an den Zwölf Aposteln, das Tischtuch wie flüssiger Stickstoff auf dem Berg liegend. Wir wandern den Devil’s Peak von der Tafelberg Road hinauf, begleitet vom schwindelerregenden (sogar von unten) Blick auf die weltbekannte Nordfront des Tafelbergs.
Etwas weiter oben, nun auf dem Bergsattel Richtung Devil’s Peak Spitze, öffnet sich nach einigen Kilometern das Tal in Richtung südlicher Vororte: von Kirstenbosch und Cecilia Forest, Newlands, bis nach Muizenberg. An diesem klaren Tag sehen wir vom höchsten Punkt über die Cape Flats und Somerset West den ganzen Weg nach Gordon’s Bay. Der Weg hinauf ist gesäumt von blühenden Proteas und Disas – Fynbos als visueller Weichmacher des harten Gesteins. „Die Sandsteine der TMG sind resistent, wobei die natürlichen Gebirgsrücken orographische Winterregenfälle begünstigen. Die Feuchtigkeit wird dann nach oben gedrückt und die Grundwasserleiter bei Regen aufgeladen, wenn dieser in die U-förmigen, synklinalen Falten entlang der gestörten/gebrochenen Pfade fließt“, sagt Dylan. Die zwei aufeinander treffenden Meere, der Gebirgsrücken als Obstruktion und Leiter und die Gesteinsformationen als Filter bilden hier ein einzigartiges Ökosystem. „Die TMG, also der zweite Grundwasserleiter, sitzt auf den Basement Rocks, die von der Witterung abgeflacht wurden. So konnten sich die Table-Mountain-Sedimente darauf ablagern. Die Gesteine der TMG wurden vor Millionen von Jahren unter Druck gefaltet und gestört – der dicke Quartzsandstein schließlich gebogen und gebrochen. Ganz ähnlich wie Glas, ist das Gestein sehr resistent gegen Erosion, eines der härtesten Materialien der Welt. Tatsächlich sind diese Gebirge am Westkap die ältesten der Welt“, so Dylan. Die Table Mountain Group, die rund 390 bis 480 Millionen Jahre alt sei (Ordovizium bis Devon), wurde von der Kaporogenese verformt und mit Spaltung des Superkontinents Gondwana vor 180 Millionen Jahren weiter gebrochen und gestört. Dylan und sein Team finden große Bruchsysteme. Sie sind besonders am Steenbras-Damm vorhanden, wo das Umvoto-Team auf Hochtouren arbeitet. Optimalerweise würde das Wasser von dort direkt ins Aufbereitungswerk geleitet. Die Leitungen seien aufgrund der schroffen Begebenheiten jedoch kostspielig. „Derzeit führen wir unter der Ingenieurfirma Aurecon Bohrungen am Steenbras-Brandvlei Megafault durch, von wo das Wasser in den Upper Steenbras Dam geleitet wird.“ Die Wasserqualität in der gesamten TMG sei exzellent: niedriger Salzgehalt, ähnlich dem von aufbereitetem Wasser.
Tag zwei des Gruppenwochenendes. Wir sind auf dem Weg Richtung Steenbras Dam, um zu den daneben gelegenen Crystal Pools Wasserfällen zu wandern. Es ist acht Uhr. Die Sonne brennt bereits auf uns herab, sodass die Klimaanlage auf Eisfach, also mit Rädchen auf maximal rechtem Anschlag läuft. Wir folgen der N2 Richtung Gorden’s Bay: vorbei an Muizenberg, den Cape Flats und Somerset West. Weiter nördlich, in Atlantis, aber auch in den Cape Flats, finden sich Sandgrundwasserleiter, die durch Sturmwasser oder artifiziell aufgeladen werden können. Die Cape Flats – hier entstanden während der Apartheid zahlreiche Townships, Philippi, Mitchells Plain, Khayelitsha – sitzen zwar auf einem großen Grundwasserleiter, jedoch ist der verschiedenen Verschmutzungsfaktoren ausgesetzt: „Fehlende Sanitäranlagen in Townships, Mülldeponien, Industriegebiete und Klärwerke können problematisch sein“, wirft Dylan ein. „Deshalb ist neben Wasseraufladung der Grundwasserleiter auch das Ausspülen mit aufbereitetem Wasser geplant.“ Etwa 2.000,000 Menschen leben in den dortigen Townships in Armut. Ihr Grundwasserverbrauch ist minimal; etwa ein Hahn pro 100 Einwohner.
„Die Wassernutzung wird dramatisch steigen, wenn die Stadt ihre „Sustainable Development Goals“ bis 2030 erreichen will. Dabei soll die Lebensqualität auf den Stand einkommensstärkerer Haushalte gebracht werden, was ethisch gesehen dringend notwendig ist.“ Um bei wachsender Nachfrage und sinkendem Wasserstand kein Salzwasser einzuziehen, werden derzeit so genannte „Aufladevorhänge“ in den Cape Flats Aquifer eingesetzt. Dabei werden mehrere Bohrungen an der Küste durchgeführt, in die aufbereitetes Abwasser eingespeist wird. Oberflächenwasser, das von verschiedenen Dämmen in die Stadt gesogen wird, sorgt für eine positive Wasserbilanz Kapstadts. „Aber derzeit fließt dieses Wasser einfach in die Ozeane“, erklärt Dylan. Der Wasserüberschuss biete großes Potential für Wiederaufladung der Sandgrundwasserleiter. „Die Cape Flats könnten außerdem begrünt werden, sodass die dortige ökologische Funktion und Bioremediation verbessert wird, bevor das Wasser in die Grundwasserleiter eingespeist wird.“ Neben sozio-ökonomischen Problematiken, müsse die Bevölkerung ihre direkte Umgebung und mögliche Umweltfaktoren verstehen und erkennen lernen: „Die Denkweise muss sich einfach ändern“, meint Dylan.
Dreißig Minuten laufen wir, bevor wir den ersten Wasserfall erreichen. Sein braunes Wasser stürzt sich in das bereits randvolle Becken. Was zunächst schmutzig (oder eher rostig?) aussieht, ist nicht etwa Eisen, es sind Gerbstoffe und Huminsäure. Die Fynbos-Pflanzen sorgen für diese Verfärbung, die fast die Farbe von Tee hat. Vor allem am Steenbras Dam achte man auf Bewahrung und langlebige Projektplanung, um potentielle ökologische Auswirkungen zu minimieren, erklärt Dylan: „Hier gibt es viele Straßen eines ehemaligen Forstreservats. Die Forstwirtschaft ist zwar weitestgehend verschwunden, aber die vorhandenen Wege können nun genutzt werden. Darüber hinaus müssen Oberflächenwasser, Grundwasser, Entsalzungsanlagen und Wasserwiederverwendung in Konjunktion verwendet werden – soweit möglich“, sagt Dylan. Außer Baboons (Paviane!) und Wasser, das sich seinen Weg von weit oben den Berg hinab bahnt, sieht man hier nicht viel. Zu sechst treiben wir also in der Oase aus Frischwasser. Gleich müssen wir los, sagt meine Freundin. Der Rasen muss bewässert werden. Ich tauche unter und nehme einen Schluck: schmeckt nicht nach Tee, aber auch nicht nach Scheiße – kaltes, klares Wasser.