Auf dem Weg: Wolfgang und Elisabeth, Erfurt / Januar 2014Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
24.12.2014 • Gesellschaft – Text & Bild: Fabian ZapatkaÜber zwei Menschen, die sich lange aus den Augen verloren hatten. Und schließlich wiederfanden. Seitdem sind sie glücklich.
Es war wohl ähnlich mild wie heute, vor knapp einem Jahr. Ich schob gerade mein Rad durch den Monbijoupark. Wollte Filme kaufen am Hackeschen Markt. Da ruft mich mein guter Freund Ralf Zimmermann an und schickt mich fürs SZ-Magazin nach Erfurt zu diesem reizenden Pärchen.
Irgendwo auf dem Weg muss dann die Temperatur rapide gefallen sein, die sanften Hügel verschwanden hinter unaufhörlich rieselndem Schnee. Im Dunklen war ich gestartet, unterwegs wurde es Tag, die Sonne blieb hinter Wolken verborgen. Hinter der Altstadt bog ich auf die Hauptstraße ein, den richtigen Plattenbaublock hatte ich schnell gefunden. Ich war zu früh. Also spazierte ich eine Weile an dem Fluss entlang, der seinen Weg zwischen den auf Stelzen stehenden Häusern findet.
Auf der Fahrt hatte ich noch mal den Text über Wolfgang und Elisabeth gelesen. Beide hatten sie den Krieg überlebt. Seine Familie wurde ermordet. Sie bringt ihm Englisch bei, er begleitet sie trotz Ausgangssperre nach Hause. Er ging dann nach Israel, um den jüdischen Staat mit aufzubauen. Sie erhält seine Briefe jenseits der Mauer nicht. Er erkennt sie nach dem Mauerfall am Bahnhof Friedrichstraße sofort wieder. Beide sind sie wenig später ein Paar. Beide leben sie heute glücklich verheiratet in Erfurt. Wie soll man so ein große Geschichte in einem Bild erzählen?
„Die Liebe ist doch schwierig zu fassen.“
Immer noch zu früh, fragt sie mich über den Lautsprecher an der Tür, ob sie mich unten abholen solle. Ich war dann froh, dass ich allein durch die verschiedenen Aufgänge und Treppenhäuser meinen Weg finden konnte. Etwas Weihnachtsgebäck war noch übrig. Sie servierte mir Kaffee. Eine charmante, weltgewandte Dame. Er war noch unterwegs. Bis vor kurzem war er Landesvorsitzender der jüdischen Gemeinde in Thüringen, da hat man Termine. Sie zeigte mir Fotos von damals. Natürlich war sie eine Wahnsinnsfrau, damals schon, als die Fotos noch schwarz-weiß waren. Einige vertraute sie mir zum scannen an. Schließlich kam er dann dazu. Im Anzug, Orden am Revers. Wir sprachen über ihre Geschichte, später über Israel und meine alte Rolleiflex. Die Rolleiflex hatte ich während unseres Gesprächs auf einem Stativ aufgebaut, von Zeit zu Zeit betätigte ich den Auslöser. Mal wechselte ich auch den Film. Die Kamera war übrigens ein Weihnachtsgeschenk und deshalb die Wochen zuvor schon im Dauereinsatz.
Schon den Text von Andreas Wenderoth zu lesen, hat mich sehr beeindruckt, aber über das Treffen mit Wolfgang und Elisabeth bin ich sehr dankbar. Die Liebe ist doch schwierig zu fassen, es gibt so viele verschiedene Konzepte davon. Mal scheint die romantische Liebe nur ein Konstrukt zu sein. Aber hier verbindet die Liebe zwei Menschen über beinahe ein ganzes Jahrhundert mit all seinen Katastrophen und ihren Folgen.
Natürlich bin ich auch froh, dass ich etwas von der Situation von damals im Wohnzimmer einfangen konnte. Zumindest merkt man nicht sofort, dass da ein Fotograf morgens früh zum einstündigen Treffen im ICE angereist ist. Das hoffe ich zumindest.
Fabian Zapatka ist Fotograf. Er bereist teils Orte, von denen viele von uns nicht mal wissen, dass es sie gibt. Für Das Filter öffnet er jetzt nach und nach sein Archiv. Ein neues Bild und eine neue Geschichte gibt es jeden Mittwoch, nur hier bei uns.