Auf dem Weg: Treffen mit Zakaria Zubeidi. Jenin, 7. August 2010Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
6.5.2015 • Gesellschaft – Text & Bild: Fabian ZapatkaDieses Bild entstand im Garten des FREEDOM THEATER im Flüchtlingslager bei Jenin. Zu sehen ist Zakaria Zubeidi. Zakaria wuchs hier im Flüchtlingslager auf und wäre beinahe, als Bulldozer der israelischen Streitkräfte die Mauern der Häuser im Lager einrissen, unter dessen Trümmern begraben worden. Vorausgegangen war eine Welle von Selbstmordattentaten auf israelischem Boden, mit verheerenden Folgen auf beiden Seiten.
Zum Ende meiner Kolumnen-Zeit hin versuche ich mich an einer schwierigen Biographie. Eine Biographie, wie sie selbst für den Nahen Osten nicht alltäglich ist und die jenseits meines Horizontes liegt.
Als Kind spielte Zakaria hier im FREEDOM THEATER Theater. Praktisch die einzige Zuflucht jenseits des Alltags im Lager. Ein kleines Zugeständnis an eine ferne Normalität. Ja, Schauspieler wäre er schon gern geworden, sagte er einmal zu mir und lächelte dabei. Erst zögerlich, dann befreit und offen. Dabei entspannten sich seine weichen Gesichtszüge. Er ist ungefähr mein Jahrgang. Power Dealer in Jenin. Israels Most Wanted Man. Überlebender unzähliger gezielter Tötungsversuche. Aber auch verantwortlich für unsagbares Leid.
Zakaria überlebte unter den Trümmern der eingestürzten Mauern. Nach den ersten Wochen meiner Zeit in Jenin mehrten sich die nächtlichen Besuche bewaffneter Männer. Sie bezeichneten sich selbst als ehemalige Freiheitskämpfer und sie wollten Geld. Man könnte auch sagen: Sie kamen, um Schutzgeld zu kassieren. Bis Markus Vetter, der Schirmherr des Projekts CINEMA JENIN, die Initiative ergriff. So befanden wir uns nachts in einem Taxi auf dem Weg zu Zakaria. Der Wagen schlängelte sich den Berg hinauf. Unten lag die erleuchtete Stadt. Oben auf der Bergspitze angekommen blinkte ein Funkmast. Daneben lagen zwei Häuser, eines von Zakaria und das andere von Juliano Mer-Khamis, dem Leiter des FREEDOM THEATER. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er es weiter geführt. Auch während der verheerenden Schlacht um Jenin hielt er sich im Lager auf, zusammen mit seinem jungen Freund Zakaria. Nun stand in dieser Nacht Juliano neben Zakaria. Die tragende Stimme war Juliano geblieben. Früher war er einmal Schauspieler gewesen, drüben in Israel. Immer noch pendelte er zwischen Israel und den besetzten Gebieten. Das harte Licht einiger Glühbirnen erleuchtete in dieser ersten Nacht den Raum. Juliano sprach viel und unterstrich jeden seiner Sätze mit dramatischen Gesten. Zakaria blieb dagegen blieb ruhig und schien die ganze Zeit zu lächeln. Es wurde Bier getrunken, später brachte jemand Pizza.
Zakaria hatte die Waffen niedergelegt. Nun gewährte er dem Theater seinen Schutz und Fürsprache. Auch das Kino konnte sich auf seine Unterstützung verlassen. Ich schaute Zakaria an, den gefährlichen Mann. So wie ich es auch tat, als wir dieses Bild im Sommer 2010 aufnahmen. Inzwischen hatte ich ihn schon öfter fotografiert. Ich sah dieses Mal länger in seine Augen, sah all die kleinen Narben der Granatsplitter. Einmal war eine Splitterbombe in seinem Gesicht explodiert. Ein befreundeter Arzt aus Jenin konnte seine Augen retten. Da war dieser weiche, traurige Blick und sein zaghaftes Lächeln, seine weichen Züge. Alles stand im Gegensatz zu seiner Präsenz und der Autorität, die er ausstrahlte. Später, kurz vor der Kinoeröffnung, ging es darum, ob auch Israelis die Eröffnung besuchen würden. Unter ihnen eine Freundin von mir. Witwe nach einem der Anschläge, die zur Schlacht um Jenin führten. Hier war eine Grenze für Zakaria überschritten. Er hielt nachts vorm Kino, öffnete die Türe eines in Israel gestohlenen Autos, erkennbar am Nummernschild, und hieß einzusteigen. Markus und sein palästinensischer Freund Fahkri mussten lernen, als Zakaria seine Pistole auf den Tisch legte, dass wohl keine Gäste von jenseits der Grenze kommen würden. Zuletzt habe ich Zakaria im Rahmen der Kinoeröffnung gesehen. Ich stand inmitten einiger Dutzend Fotografen. Mit seinem schlendernden Gang kam er zu mir herüber, lächelte freundlich und schüttelte meine Hand. Ich sah ihm nach, als er beinahe unsicher hinüber zum Auto ging. Er würde eines gewaltsamen Todes sterben, dessen war er sich sicher. Bisher war es noch nicht soweit. Anders als Juliano. Anfang 2011 wurde er, der Furchtlose, seinen kleinen Sohn neben ihm, vor dem FREEDOM THEATER erschossen.