Auf dem Weg: Tirupur, Indien / August 2008Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
18.3.2015 • Gesellschaft – Text & Bild: Fabian ZapatkaEin unvergesslicher Moment, damals mit Herrn Sangeet.
Kaum in Indien gelandet, schon sitze ich auf einem Motorrad und fahre durch das abendliche Tirupur.
Klingt gut, aber ganz so einfach war es nicht. Denn in Mumbai gelandet, ging es wie auf allen Flughäfen dieser Welt einen langen, schmucklosen Gang entlang. Indien hatte ich bisher nur aus dem Flugzeugfenster gesehen. Als ich in meinem Sitz erwachte, lag Mumbai unter mir und durch dichten Nebel verdeckt. Überschwemmte Slums, dazwischen einzelne Hochhäuser, grüne Vegetation und das milde Blau des indischen Ozeans rahmten das Bild ab.
Mein Gepäck las ich selbst vom Band auf und brachte es zum Check-In meines inländischen Anschlussfluges. Die Verbindung kam mir gut gewählt vor – bis ich mich in einem quadratischen Raum ohne Fenster, dafür aber mir grellem Neonlicht wiederfand. Vier Stunden sollte ich hier warten, bis mich eine weitere Maschine an mein nächstes Ziel, Coimbatore, bringen sollte. Ein paar andere Verdammte hatten die Hoffnung schon aufgegeben und es sich auf den harten Plastikstühlen bequem gemacht. Müde, ausgedörrt und vor allem mutlos setzte ich mich ebenfalls.
Zum Glück öffnete sich bald eine Tür und wir durften hinaus in die feuchte, tropische Luft treten. Übers Rollfeld wurden wir zum nächsten Terminal geshuttlet. Die Tropen guckten da und dort zwischen der Transit-Architektur hervor und ich war wieder ganz froh. Während ich auf den Abflug des King-Fisher-Flugzeuges wartete, versorgte ich mich am Terminal mit Zeitungen.
Am Flughafen von Coimbatore, einer völlig gesichtslosen Millionenstadt, bestieg ich dann einen Bus weiter in Richtung Tirupur, denn meine Reise sollte mich tief ins Herz der Textilindustrie von Tamil Nadu führen. Während der Fahrt rutschte mein iPhone aus der modisch angebrachten Tasche meiner Windjacke und verschwand unter den Sitzreihen des Busses. Überfordert von Hitze und Müdigkeit nach meinem Nachtflug, blieb ich sitzen und gab das teure Gerät schon verloren. Nicht so ein freundlicher Tamile, der es einige Sitzreihen weiter hinten im Bus fand und es mir überreichte.
Schließlich erreichte ich Tirupur. Stadt ist vielleicht ein zu großes Wort für diesen Ort, an dem sich Baracke an Baracke reiht – immer um eine der vielen Textilfabriken gruppiert, von denen ich eine besuchen sollte. Die Arbeiter, wohnhaft in einem etwas freundlicheren Slum, sollten hier unter fairen Arbeitsbedingungen arbeiten. Ich war dort, um das zu dokumentieren. Und vermisste zunächst die gewohnten europäischen Ansichten einer Stadt, die mehrere hunderttausend Menschen beherbergen muss. Hier gab es weder Bürgersteige noch eine Straßenbeleuchtung.
Wie alle anderen Besucher der Stadt wurde ich vom Verlag in einem schicken Hotel etwas außerhalb der Stadt untergebracht. Ich packte meinen Koffer aus, als das Telefon klingelte und Herr Sangeet anbot, mir die Stadt zu zeigen. Im Auftrag des Textilfabrikanten sollte er mich während meines Aufenthalts betreuen. Ich nahm sein Angebot an, sprühte mich etwas zu gründlich mit No-Bite ein und begab mich in die Lobby. Etwas von diesem schlimmsten aller Mückensprays musste auf meine Lippen gelangt sein, denn als ich dem dunklen, gedrungenen Mann im Adventure-Hemd zur Begrüßung die Hand reichte, waren meine Lippen bereits völlig taub.
Die Kameratasche auf dem Rücken stieg ich auf Herrn Sangeets Motorrad und klammerte mich an ihn. Linksverkehr hat für mich überall etwas Beängstigendes, aber in Indien waren es nicht nur die aus der scheinbar falschen Richtung kommenden Autos, die mir Sorgen machten. Vielmehr schienen Autos, Motorräder und Roller aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Hupend bahnte sich jeder seinen Weg durch den dichten Verkehr, ohne Rücksicht auf die vielen Fußgänger und Fahrradfahrer. Nach kurzer Zeit entschloss ich mich, einfach nicht mehr hinzusehen und wandte statt dessen meinen Blick auf das Treiben am Rand der Straße.
Die Sonne war schon untergegangen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen versorgten sich in den kleinen Geschäften mit dem Nötigen für ihren Feierabend. Nur die Neonröhren der Auslagen tauchten die Häuserzeilen in ihr weißes Licht. Ich spürte den Wind im Haar und auf meinem Gesicht. Bald begriff ich, dass alle mich ansahen. Den hellhäutigen Europäer. Und überall lächelten mir die Menschen entgegen und hoben ihre Hand zum Gruß.
Mein Blick über die Dächer Mumbais schien nur einen Moment zurückzuliegen, während ich so durch die Straßen glitt. Später besuchten Herr Sangeet und ich noch einen Markt und aßen eine Kleinigkeit. „Hoffentlich nicht zu scharf für einen Europäer?“, fragte er besorgt. Nein, keineswegs. Schärfer und besser indisch gegessen habe ich zwar anderswo. Aber so fern und gut habe ich mich sehr selten gefühlt. Ein unvergesslicher Moment – damals mit Herrn Sangeet in Tirupur, Tamil Nadu.