Auf dem Weg: Jenin im Regen. Tag eins im Nahen Osten, 1. Februar 2010Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
29.4.2015 • Gesellschaft – Text & Bild: Fabian ZapatkaAuch im Nahen Osten scheint nicht jeden Tag die Sonne.
Vielleicht hatte ich tatsächlich Sand, Staub und flirrende Hitze erwartet. Ganz im Norden der besetzten Gebiete, direkt an der schwer bewachten Grenze zu Israel, liegt Jenin. Zum Ende des Winters erwartete mich dort Regen und feuchte Kälte. Die Art von Kälte, die durch Mauern kriecht und sich einfach nicht abschütteln lässt. Nun hat sie es dort auch nicht gerade schwer. In den Häusern soll ja die Luft zirkulieren, damit sich die Hitze nicht einnisten kann. Damals hatte sich leider die Kälte eingenistet.
Gemeinsam mit dem deutschen Dokumentarfilmer Markus Vetter und anderen abenteuerlustigen, jungen Menschen war ich am Flughafen Tegel gestartet. Nun saßen wir am Abend des gleichen Tages in einem Sammeltaxi, holpernd auf dem Weg nach Jenin.
Unter Markus’ Anleitung hatten wir die Grenzkontrolle, den Weg durch Jerusalem und das Chaos in Ramallah gemeistert. Dort hatte er sich verabschiedet. Für sein Projekt, den Wiederaufbau eines alten Kinos am Rande der Westbank, dem Cinema Jenin, wollte er dort bei einer kleinen Feier des Goethe Instituts um Gelder werben. So wagten sich Markus und sein mutiger palästinensischer Freund Fakhri Hamad mit ihrem Projekt auf dieses schwierige Parkett. Ich hatte Markus ebenfalls auf glatten Parkett, nämlich in einer Talkshow zum Thema Väter und Söhne, kennen gelernt. Ich und mein Vater waren unter anderem die Gäste – aber das ist eine andere Geschichte.
Gegen Abend erreichten wir schließlich Jenin und das neu eröffnete Gästehaus am Rande der Stadt, die wie viele dieser Orte über eine sehr dürftige Straßenbeleuchtung verfügt. Wenige Neonröhren beleuchteten die zwei noch geöffneten Kioske. Rinnsale und kleine neue entstandene Bäche flossen über die brüchigen Bürgersteige und schwemmten Erde mit sich. Ein fieser Gestank kam uns aus dem Gästehaus entgegen. Im grellen Neonlicht des Treppenhauses sahen wir das Malheur. Die Toilette war übergelaufen. Die freiwilligen Helfer hatten wieder einmal zu viel Toilettenpapier mit hinuntergespült. Oben im schummrigen Licht des Aufenthaltsraumes saßen einige Freiwillige. Sie saßen hier schon den ganzen Tag. Wie auch die nächsten Tage. Außer für einen fleißigen Stuttgarter, der mit seinem pensionierten Kollegen Husein am Projektor des Kinos arbeitete, gab es für die anderen gerade nichts zu tun. Auch die Arbeit am Vor-Vorkriegs-Projektor diente eher als Beschäftigungsmaßnahme. Dieser Projektor lief noch mit Kohle und hatte über die Jahre vor der ersten Intifada hauptsächlich ägyptisches Kino auf die Leinwand projiziert. Husein war eben erst aus Ramallah zurück und hatte in der dortigen Unterwelt die sprichwörtliche Kohle besorgt.
Am nächsten Morgen spazierte ich durch den Ort. Nieselregen den ganzen Tag. Damals wagte ich mich noch nicht ins Flüchtlingslager vor. So beschränkte ich meinen Spaziergang auf die Stadt. Oder was nach der zweiten Intifada von ihr übrig war – ein verschlafener Rest. Trotz meiner inneren Aufregung nach all den Schreckensgeschichten über die Stadt der Selbstmordattentäter, herrschte in den nächsten drei Wochen vor allem große Langeweile. Ich wartete darauf, endlich jemanden interessanten kennen zu lernen, Geschichten zu hören und hoffentlich spannendes Geschehen fotografieren zu können. Viel geschah nicht. Die Menschen blieben in ihren Wohnungen. Sie richteten ihre Satellitenschüsseln aus und schauten fern. Manchmal trank ich einen Kaffee auf dem Markt. Aß einen Schawarma. So sind viel alltägliche Bilder über einen sehr vertrauten Alltag entstanden. Heute mit dem nötigen Abstand und mit etwas mehr Erfahrung, freue ich mich sehr über diese Momente. Mehr als über alles, was später in Jenin noch so passiert ist.