Auf dem Weg: Gatersleben/Sachsen-Anhalt, August 2014Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
4.3.2015 • Gesellschaft – Text & Bild: Fabian ZapatkaZu Besuch in der größten Genbank Europas.
An einem sonnigen Augusttag 2014 reisten mein Autoren-Freund David Schelp und ich nach Gatersleben in Sachsen-Anhalt. Dort besuchten wir für einen Artikel die Genbank des „Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung“, IPK. Vom kleinen Bahnhof Gatersleben kommend, spazierten wir durch die Sommerhitze. Außer einem Radfahrer begegnete uns niemand auf dem Weg. Die 100 Hektar mit Europas größter Genbank kann man eigentlich kaum verfehlen. Hier lagern Getreide-, Gemüse- und Gräsersamen. Längst ausgestorbene Arten warten darauf, vielleicht nochmals in Aktion treten zu müssen. Sollte sich unser Klima drastisch verändern, würde das zum Beispiel unser hochgezüchteter Weizen nicht bewältigen. Diese Sorten sind komplett vom Menschen abhängig. Im Ernstfall würde Andreas Börner dann seine Daunenjacke überstreifen, die Schleuse zum Kühlhaus öffnen und – wie damals im August letzten Jahres – die Regalreihen mit den Samen auseinander fahren lassen.
Im schummrigen Licht zwischen den Einmachgläsern mit den Samen von 3.212 Arten und 776 Gattungen baute ich mein Stativ auf. Während meine Finger schon festzufrieren begannen, verschwanden Autor und Börner wieder durch die Schleuse ins Warme. Rotz lief aus meiner Nase als wir anschließend zu dritt über’s Gelände spazierten. Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet Börner schon hier, seine Familie betreibt seit dem 18. Jahrhundert hier Landwirtschaft. Nach der Wende war das Schicksal der Genbank zunächst offen. Schließlich aber wanderten die Samen aus dem westdeutschen Pendant in Braunschweig hierher: eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte.
In einem Flachbau fanden wir ein Labor, in dem gerade Studenten Tomatensamen auf Filterpapier keimen ließen. Keimen von 100 Samen einer Sorte weniger als 70, muss die Art neu angebaut werden. Hier wird es nun interessant für den Fotografen.
Auf einer weitläufigen Wiese stehen viele kleine Gewächshäuser, in denen die praktisch ausgestorbenen Arten neu angebaut werden. Mitarbeiterinnen auf Fahrrädern pendeln zwischen den Häusern. Verschwommen hinter Glas: Wassermelonen, Paprikas, Auberginen; schön und gut.
Börner öffnete die Tür zu einem der größeren Häuser. Wie schauten zu einem vier Meter hohen Hanf auf. Auch eine Nutzpflanze. David und ich umkreisten die Pflanze. Mehrfach fragten wir, ob es sich denn um eine weibliche Pflanze handelte. Börner gab vor, die Antwort nicht zu kennen. Hinter einem Schlafmohnfeld fotografierte Frau Schmidt unterdessen eine unförmige Tomatensorte vor schwarzem Hintergrund, die „Golden King of Siberia“. Mit ihrer Spiegelreflex dokumentierte Frau Schmidt über 300 Tomatensorten. Die ganze Kollektion, wie sie erzählte. Etwas abseits standen Sonnenblumen. Einige der Blüten waren unter Stoffkapuzen verborgen. Um sie vor den Vögeln zu schützen. Dieses Bild der vermummten Sonnenblumen blieb hängen.
Später im Büro zeigte uns Börner Fotos seiner Tochter. Eine fröhliche, blonde, junge Frau lächelt zusammen mit ihren vorderasiatischen Begleitern in die Kamera. Für ein privates Unternehmen sammelt sie dort Pflanzensamen. Börner war sichtlich stolz auf seine Tochter. Wir dachten an den „Svalbard Global Seed Vault“, hoch oben in Spitzbergens ewigen Eis. Hier sollen Doppelgänger aller Samen aus allen Genbanken der Welt sicher eingelagert werden. Sicher vor den Krisen der Welt. Indien plant ein ähnliches Projekt im Himalaya, das Land vertraut den Europäern nicht. Börner kann das nicht wirklich verstehen. Als wir ihn besuchten, hatte er gerade Samen nach Äthiopien geschickt. Die Pflanze war dort ausgestorben und sollte nun wieder angesiedelt werden. Aber auch jeder von uns kann in Gatersleben nach Samen fragen und diese für den heimischen Garten bestellen.
Fabian Zapatka ist Fotograf. Er bereist teils Orte, von denen viele von uns nicht mal wissen, dass es sie gibt. Für Das Filter öffnet er jetzt nach und nach sein Archiv. Ein neues Bild und eine neue Geschichte gibt es jeden Mittwoch, nur hier bei uns.