Auf dem Weg: Fläming-Schule in Berlin / 27. Februar 2015Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
15.4.2015 • Gesellschaft – Text und Bild: Fabian ZapatkaIch stehe am Rand der Turnhalle. Das Quietschen von Turnschuhen auf dem Hallenboden. Für das Leibniz-Journal begleite ich über drei Tage Marie durch ihren Schulalltag an der Berliner Fläming-Grundschule. Es soll um Inklusion in der Praxis gehen. Die Fläming-Schule ist eine der ersten öffentlichen Grundschulen, die Kinder mit Behinderung aufgenommen haben. Ich muss daran denken, wie sehr ich den Sportunterricht zu meiner Schulzeit gehasst habe.
Als ich Marie zum ersten Mal begegne, sitzt sie gestützt von Charlotte Hübner auf dem Boden. Ihr Rollstuhl wenige Meter weiter zur Seite geschoben an der Wand. Zwei Schüler sitzen neben Marie im Schneidersitz. Charlotte hilft Marie dabei, aufrecht zu sitzen und ihren Mitschülern auf Augenhöhe zu begegnen. Sie führt Maries Hand, während diese Perlenketten auf den Klassenzimmer Boden auslegt.
Anhand der verschieden vielgliedrigen Perlenschnüre, rechnen ihre Klassenkameraden die ersten Aufgaben im Einmaleins.Kritisch fokussiert mich Marie. Freundlich stelle ich mich vor und beginne meine Aufnahmen zu machen.
Später wird Marie in ein metallisches Laufgerät geschnallt. Plötzlich ist es ihr möglich, im Klassenzimmer herum laufen. Die an Metallschienen geschnallten Beine wirft sie hastig hin und her. Gestützt durch das Laufgerät, vier Rollen rechts und links, rennt sie mit einem Mitschüler den Gang hinunter. Danach ist Marie erschöpft und sinkt in sich zusammen. Später wird sie von zwei täglich wechselnden Schülern – wie jeden Tag – in ihrem Rollstuhl in den Pausenhof zur großen Pause geschoben. Vergnügt jauchzt Marie, während ihre Mitschüler herum tollen.
Marie spricht nur wenige Worte. Kann Ja und Nein erwidern. Mit einem Tablet-Computer wird sie im Einzelunterricht von einer eine Sprachtherapeutin angeleitet. Sie hilft ihr, mit einem Finger auf der Touchscreen Oberfläche Buchstaben und Symbole anzuwählen. So soll sie sich in Zukunft einmal verständigen können. Eine blecherne Frauenstimme spricht langsam und monoton einige einfache Sätze. Es wird nicht ganz klar, wie sehr Marie hier wirklich ihre Gedanken äußern kann. Kann sie ihre Motorik bewusst kontrollieren? Deuten wir ihren Willen richtig, wenn sie zittrig die Hand zum Bildschirm hin bewegt?
Beim Sport trifft sie wieder mit der Klasse zusammen. Charlotte Hübner hilft ihr mit geschulten Bewegungen mit dabei zu sein, wenn die Mitschüler rennen, springen und sich richtig abrollen lernen. Marie wirkt den ganzen Tag über froh und interessiert. Zum Abschied drückt sie meine Hand.
Den nächsten Tag begrüßt sie mich mit einem lauten „Hey!“
Auch die beiden Lehrerinnen strahlen. Ich habe Kaffee vom Bäcker mitgebracht.
Mit erhobenem Kopf sitzt sie in ihrem Rollstuhl neben einem anderen Mädchen an einem der symmetrisch aufgereihten Tische. Marie ist das einzige Rollstuhlkind in der Klasse. Einige andere Schüler in der Klasse allerdings hören nur sehr wenig oder sind verhaltensauffällig. Eine Autistin bemüht sich immer wieder sehr um Marie. Die Klasse war auch schon zusammen auf Klassenfahrt.
Während die Klasse Englisch lernt, wird Marie mit einigen anderen schwer behinderten Kindern zusammen mit Gesang und Gitarre ermuntert, aus sich heraus zu gehen. Marie ist ein charmantes Mädchen, mit einer gewinnenden Persönlichkeit. Die meiste Zeit wirkt sie energetisch und folgt sehr bewusst dem Treiben um sie herum. Natürlich hat sie auch ihre mürrischen, unfrohen Momente. Aus meiner persönlichen Perspektive erscheint mir diese Idee der Inklusion, dieses konstruktive Miteinander, ein wichtiges Bindemittel zwischen Menschen zu sein. Denn viele Ängste und Vorurteile, die meine Schulzeit geprägt haben, sind hier im Alltag der Fläming Schule weit weg.