Auf dem Weg: Anouk, Berlin-Kreuzberg 2014Eine Kamera, ein Bild und seine Geschichte
21.1.2015 • Gesellschaft – Text: Fabian ZapatkaEin Sommermorgen. Die großen Ferien waren nicht mehr fern. Sicher hatte ihr Vater die zierliche Anouk am Schultor abgesetzt. Ein Jahr an einer Schule mit ehemals zweifelhaften Ruf. Es war mal eine schwierige Gegend hier, im heute so beliebten Kreuzberg.
Gern verleiht man dem Stadtteil Eigenschaften wie bunt, lebendig und großstädtisch. Hier an dieser Schule waren all das lange keine erwünschten Eigenschaften. Die Kinder konnten, und können auch heute oft immer noch kein Deutsch an ihrem ersten Schultag. Wie soll da vernünftig gelernt werden?
Allerdings verläuft der Graben, wie die schlaue Autorin Annabel Wahba in ihrem Text für „Die Zeit“ festgestellt hat, nicht zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Der Graben verläuft eigentlich eher zwischen arm und reich. Klingt altertümlich. Wer ist reich? Wer arm? Sind nicht all die Künstler aus Mitte, Kreuzberg und Neukölln, jene Autoren und Fotografen, die oft in ziemlich prekären Verhältnissen leben, ganz schlicht arm? Leben sie nicht von der Hand in den Mund? Einige schaffen den Sprung ins Establishment. Auch in Kreuzberg. So steigen die Mieten. Dieses Wochenende erst warteten gefühlte fünfzig Menschen am Planufer auf eine Wohnungsbesichtigung. Teuer verglaste Fassaden werden eingeworfen. Ein letztes Aufbäumen gegen die neue Zeit.
Noch ein schöner Gedanke aus dem lesenswerten Text von Annabel, für den ich die Bilder liefern durfte. Die Schulpflicht wurde nicht allein zur schulischen Bildung eingeführt. Sie sollte vor allem auch die Gesellschaft zusammenhalten. Tut sie es noch? Die klugen und engagierten Eltern der kleinen Anouk haben sich dafür entschieden, ihren Kiez nicht weiter auseinander driften zu lassen. Sie schicken ihr Kind hier zur Schule, damit sie mit ihren Nachbarn lernt, mit Kindern aus ganz verschiedenen Lebenswirklichkeiten. Wie toll wäre es, wenn sich diese Kinder alle einmal als Bürger einer Stadt fühlen, sich weiterhin verbunden bleiben.
Mein bester Freund in der Grundschule lebte mit seiner türkischstämmigen Familie im damals noch nicht schicken Münchener Glockenbach-Viertel. Ich und meine Familie im bürgerlichen Lehel. Leider war ich immer ein schlechter Schüler. Und ich fühlte mich zwischen den Akademiker-Kindern in meinem Bezirk nicht gerade wohl. Tue es immer noch nicht. Mein Freund Adem und ich waren eigentlich immer unterwegs. Wir haben viel erlebt und auch bei uns zu Hause war er sehr beliebt. Meine Grundschulzeit war kein Spaß, aber diese Freundschaft war schön und wichtig. Leider haben sich unsere Wege später getrennt und die Freundschaft ging verloren. Vielleicht klappt es ja mit der Freundschaft zwischen Anouk ihren Freunden.
Fabian Zapatka ist Fotograf. Er bereist teils Orte, von denen viele von uns nicht mal wissen, dass es sie gibt. Für Das Filter öffnet er jetzt nach und nach sein Archiv. Ein neues Bild und eine neue Geschichte gibt es jeden Mittwoch, nur hier bei uns.