So macht Essen keinen SpaßFilmgespräch: „Im Rausch der Sterne“
2.12.2015 • Film – Gespräch: Tim Schenkl, Jan-Peter WulfWar klar, dass bei dem ganzen Futter- und Sterne-Hype ein Langfilm über Essen aus Hollywood kommen würde. Aber muss es ausgerechnet dieser sein?
Die Story in einem Satz: Chefkoch aus der Sterne-Restauration dreht durch, treibt sich und Kollegen in den Ruin, haut ab, tut Buße (Ablass: eine Million Austern knacken), kommt zurück, baut ein neues Team auf mit dem Ziel, den dritten Stern zu erkochen. Bradley Cooper mimt Adam Jones in Im Rausch der Sterne. Ein Filmtitel, der ungewollt schon drauf hinweist, dass das Sujet egaler nicht sein könnte, es geht um einen Mann und seine Mission. Eigentlich doch zugeschnitten auf einen Weltstar wie Bradley Cooper. Doch leider ist der hier fehl am Platze, der ganze Film ist fehl am Platze. Aus dem neuen Drei-Sterne-Tempel „The Table“ in Hamburg hört man, dass nicht wenige Gäste in der erkennungsdienstlichen Beleuchtung des Restaurants ihre Tropfen auf weißen Tellern instagrammen. Genießen sollen andere. Vielleicht sind solche Menschen ja das Zielpublikum? Tim Schenkl und Jan-Peter Wulf jedenfalls fühlen sich nach dem Film wie nach dem Futtern von drei Tüten Erdnussflips: voll, aber nicht satt. Und schon gar nicht glücklich.
Tim Schenkl: Ich habe neulich Woody Allens Irrational Man gesehen. In dem Film spielt Joaquin Phoenix einen Philosophie-Professor, der Vorlesungen zu Kant und Heidegger hält. Dabei ist mir einmal mehr aufgefallen, dass es schnell peinlich werden kann, wenn amerikanische Filmemacher versuchen, sich europäisch geprägten Kulturphänomenen zu nähern. Andersrum ist es oft nicht besser. Beim Im Rausch der Sterne stellte sich bei mir ein ganz ähnliches Gefühl ein. Um es etwas salopp zu formulieren: Man könnte meinen, da hätten ein paar Rednecks versucht, einen Film über die europäische Esskultur zu drehen. Oder war das für dich irgendwie überzeugend?
Jan-Peter Wulf: In einem Wort? Nein. Bradley Cooper als unbescholtener US-Scharfschütze, der einfach scharf schießt: ja. Bradley Cooper als joggender Thirtysomething nach schwerer Lebenskrise: ja. Den Koch nehme ich ihm aber nicht ab. Daniel Brühl, als verklemmter Gay auch total fehlbesetzt, ist wenigstens im echten Leben Gastronom. Vielleicht wäre er der bessere Hauptdarsteller gewesen, wer weiß. Mir fiel es jedenfalls allein schon deswegen schwer, dem Film zu folgen. Uma Thurmans Auftritt als blasierte Kritikerin, was ist das: ein Cameo?
Tim: Ich habe mich vor allem daran gestört, dass der Film scheinbar alle Klischees bestätigt, die man so über die Sternegastronomie kennt: die französische Küche als das Nonplusultra der Esskultur. Da stellt sich ja schon die Frage, ob das heute überhaupt noch so ist. In der Küche geht es extrem hierarchisch und fast schon militärisch zu und die Kritiker von Michelin verraten sich schon im Voraus immer daran, dass sie jedes Mal zu zweit kommen und stets dasselbe bestellen. Gähn!
Jan-Peter: Ich habe mich vor ein paar Wochen mit einem Koch in einem deutschen Sternerestaurant unterhalten, auch kurz über diesen Film. Bodenständiger Typ. Er meinte, dass man ihn in seiner Küche nicht hätte drehen können, weil es dort nicht militärisch mit Gebrüll, sondern recht entspannt, eher langweilig zugeht. Vorbereitung sei alles. Aber das wolle vermutlich keiner sehen, meinte er. Da hat er wohl recht. Die Frage ist: Will man Bradley Cooper als Chefkoch sehen? Ich nicht.
Kebabträume
Tim: Auch wenn ich Cooper als American Sniper natürlich auch überzeugender besetzt finde, muss man ihm zumindest zugute halten, dass er, wenn ich richtig informiert bin, während seiner Studienzeit länger in Frankreich gelebt hat und anscheinend ja auch perfekt Französisch spricht. Er scheint also zumindest privat durchaus einen Zugang zur europäischen Kultur zu haben. Aber das ist ja eigentlich auch völlig egal, denn schließlich ist er ja Schauspieler, und wie er die Rolle des Kochrebellen in Lederjacke dann am Ende spielt, ist halt eher schwach. Aus welchen Gründen auch immer. Ich habe ihm das auf jeden Fall null abgenommen. Interessant fand ich aber, dass er überhaupt einen Koch spielen wollte. Die Foodie-Bewegung scheint endgültig auch in Hollywood angekommen zu sein, wie schon Chef mit Jon Favreau gezeigt hat.
Jan-Peter: Ist halt gerade das Thema: Essen. Irgendwann kommt ein neues. So integral als Teil des Lebens wie im asiatischen Film wird es in Hollywood nicht werden. Und wie es erst wird, wenn die ersten deutschen Fernsehfilme das Thema aufgreifen: Sie will ihn, er will sie, aber erst muss noch die Makrönchen-Manufaktur vor der Pleite gerettet werden. Wo du gerade Chef erwähntest, was auch kein Masterpiece ist: Da geht es wenigstens noch um echtes Essen für Menschen, um Streetfood. Lustigerweise spielt das in Im Rausch der Sterne auch immer dann eine tragende Rolle, wenn Adam Jones sich inspirieren lassen will oder einfach nicht pennen kann. Dann geht er auf die Märkte Londons, isst irgendwo alleine in einem Imbiss, denkt sich Rezepte aus, klaut sich einen Koch.
Tim: Aus einem Kebabladen.
Jan-Peter: Soll Authentizität vermitteln: Der Typ hat die Basics drauf, der kann mit mir Sterneküche machen.
Tim: Oder Hipness. Streetfood ist ja momentan der Food-Trend überhaupt. Ich fand das irgendwie widersprüchlich und dadurch ungewollt witzig. Er haut sich Streetfood rein, engagiert diesen Koch, aber in seiner eigenen Küche geht es doch alles andere als fortschrittlich, geradezu altmodisch zu. Molekularküche und Vakuumieren sind ihm ein Graus. Er steht für die ganz klassische französische Kochkunst.
Jan-Peter: Das ist richtig schrecklich. Also nicht das Vakuumieren, sondern die filmische Zuspitzung mit diesem mysanthropen Kunst-Food-Spot seines Widersachers Reece, gespielt von einem hier im Gegensatz zu The Americans sehr blass bleibenden Matthew Rhys. Der arbeitet mit Sous-Vide-Technik, mit „Kondomen“, wie Adam sie nennt. Lustig die Szene, wo er sich damit umbringen will. Diese Garmethode ist übrigens nicht der letzte Schrei aus der futuristischen Trendküche, wie im Film vermittelt, sondern eine eher gängige Methode in der gehobenen Restaurant-Mittelklasse.
Tim: Ich bin da ja auch alles andere als ein Experte, und im Presseheft kann man lesen, dass die Produktion intensiv von echten Sterneköchen beraten wurde, aber man hat tatsächlich oft das Gefühl, die wissen nicht so wirklich, wovon sie da erzählen. Als wir aus dem Kino kamen, sagtest du mir ja auch sofort, dass es eigentlich gar keine Sterneköche gibt – was der Film jedoch behauptet.
Jan-Peter: Ja, es gibt nur Sternerestaurants. Es gibt eine Menge Irrtümer, ich empfehle diesen Text dazu. Das mit dem Sternekoch finde ich aber als dramaturgischen Kunstgriff okay, es soll ja um einen von Ehrgeiz bis zur Verbissenheit getriebenen Typen gehen. Wie dem auch sei: Dieser Sterne-Hype hat mich schon immer fasziniert und irritiert. Wie man so darauf abgehen kann. Der Guide Michelin ist letztlich nur ein dünnblättriger, ziemlich hässlicher Restaurantführer, der den ersten Autofahrern Europas – gut betuchten Menschen – ein Ziel geben wollte. Damit sie Reifen abfahren und sich neue kaufen.
Sterne und andere Klischees
Tim: Dem Sternesystem steht der Film im Allgemeinen ja wenig kritisch gegenüber. Im Gegenteil! Dass Essen eine sinnliche Erfahrung ist, vermittelt sich überhaupt nicht. Adams Motivation scheint es vor allem zu sein, den dritten Stern zu bekommen. Ihm geht es gar nicht darum, gut zu kochen.
Jan-Peter: Absolut. Wahrscheinlich hat er nach dem Film, äh nach dem – Spoiler Alert – Stern gleich gekündigt.
Tim: Wie gesagt, der Film arbeitet wahnsinnig viel mit Klischees. Ich glaube, ich habe auch wirklich nichts Neues über die Kochkunst erfahren. Eine Doku-Serie wie Chef’s Table auf Netflix fand ich da viel aufschlussreicher. Dort vermittelte sich mir z.B. der Eindruck, dass ein Drei-Sterne-Koch vor allem auch ein guter Theoretiker ist. Ich zumindest glaube eigentlich nicht, dass zwischen Ein- und Drei-Sterne-Küche wirklich ein geschmacklicher Unterschied besteht.
Jan-Peter: Das glaube ich schon. Leider ist es meist so, dass ich dann, wenn ich mal so ein High-End-Essen vorgesetzt bekomme, mit Leuten am Tisch sitze, die sich erzählen, wo sie neulich ein noch viel high-endigeres Essen gegessen haben. Pressetermine sind kein Spaß und schon gar nicht sind sie Genuss. Außer wenn man die Augen und Ohren zumacht und einfach für sich feststellt: Das ist jetzt der ultimative Erbsengeschmack. Das ist schon toll. Chef’s Table fand ich auch sehenswert, allein weil die Serie – vermutlich ohne es zu wollen – zeigt, in was für einer irren Welt wir leben: Ein US-Koch (Dan Barber), der die Vier-Felder-Wirtschaft als neuen Weg lobt. Die haben wir doch in Erdkunde noch gelernt. Basics eigentlich, aber nicht mehr im Monokultur-Land USA. Oder der weltberühmte Francis Mallmann, der mit seinen „Jüngern“ irgendwo im Eis Patagoniens ganze Tiere über dem Feuer grillt und wie ein Eremit zu leben scheint, aber, das sieht man auch und das sagt er auch, jeden zweiten, dritten Tag ins Flugzeug steigt, weil es ihn um die Welt treibt. Essen in der Erde vergraben, Kerosin in die Luft blasen. Bestimmt gibt es bei der Weltklimakonferenz, zu der alle mit Learjets anreisen, auch Springbock aus der Picardie vor den Toren der Stadt. Irre. Fandest du übrigens auch, dass das Sterne-Essen auf den weißen Tellern irisierend leuchtet?
Tim: Zumindest hatten diese Bilder etwas leicht Unwirkliches und ließen einem nicht gerade das Wasser im Munde zusammenlaufen. Irgendwie schön waren sie natürlich trotzdem, aber auf eine sehr oberflächliche Weise.
Jan-Peter: Als er das erste Mal Essen in den Speisesaal schickt und die ganzen blasierten Leute im Restaurant beim ersten Bissen innehalten. Ein Genussmoment, aber nicht für uns. Total weit weg. So macht Essen keinen Spaß. Gut, soll es hier ja auch nicht.
Tim: Eine Szene, die in vielen Besprechungen des Films erwähnt wurde, ist das Treffen zwischen Adam und Helene (Sienna Miller) bei Burger King.
Jan-Peter: Was für ein Affront.
Tim: Helene fühlt sich provoziert und verurteilt das Essen aufgrund seines hohen Salzgehalts und der schlechten Qualität. Darauf versucht Adam, ihr die Augen zu öffnen, indem er sagt, Arbeiteressen sei schon immer zu salzig und von minderer Qualität, und das Burger-King-Essen sei nicht schlechter als das, was in jedem französischen Bistro serviert werde. Merkwürdig, so eine Message in einem Film über die Sterneküche zu finden. Auch wenn das inhaltlich nicht komplett falsch sein mag, zucke ich immer zusammen, wenn mir solch plakative Aussagen im Kino oder dem TV über den Weg laufen. Denn ich finde nicht, dass man Fastfood-Essen auch nur ansatzweise öffentlich verharmlosen sollte.
Jan-Peter: Mag sein. Nun ja: Auch wenn sie brüskiert ist, am Ende kriegen sie sich ja doch. Was eigentlich aber auch völlig belanglos ist. Die kleine Affäre zwischen den beiden hat was Checklistenhaftes: muss halt in so einen Film rein. Warum? Es gibt keinen Grund. Irgendwie ist dieser Film auch Sinnbild – aus meiner Sicht jedenfalls – für eine Formatkrise: das Sujet als Serie oder Mini-Serie, das hätte was werden können. Die Pariser Vorgeschichte, die eigentlich nicht uninteressanten Personen in seinem „Küchen-Dreamteam“, die aber alle nur angerissen werden und danach völlig irrelevant bleiben, weil es halt nur 100 Minuten gibt. Meinetwegen dann auch die Liebesgeschichte. Aber so wird dann z.B. der eine Koch, der just aus dem Knast kommt, kurz eingeführt, man denkt, das wird spannend mit dem, und dann ist der danach quasi unsichtbar.
Tim: Der Anfang erinnerte mich stark an Blues Brothers. „We’re putting the band back together.“
Jan-Peter: Das Ende hat mich versöhnlich gestimmt: Es gibt was zu essen, Personalessen, Pie. Schon zum zweiten Mal in dem Film, und richtig lecker sieht es aus. Und dass er – Achtung, Spoiler! – seinen doofen Stern bekommen hat, erfahren wir in einer Szene ohne Ton. Stummes Nicken. Wie ist dein Schlusseindruck?
Tim: Ich bin da weniger versöhnlich gestimmt.
Jan-Peter: Versöhnlich ist übertrieben, da hast du wohl recht. Es ist und bleibt kein guter Film und kein Film über Essen. Da bleibt wenig übrig, was man gut daran finden könnte. Dein Lieblingsfilm über Essen?
Tim: Jiro Dreams of Sushi hat mir ganz gut gefallen. Ist aber eine Doku. Deiner?
Jan-Peter: Eat Drink Man Woman. Und Brust oder Keule.
Im Rausch der Sterne
USA 2015
Regie: John Wells
Drehbuch: Steve Knight
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Daniel Brühl, Emma Thompson, Omar Sy, Matthew Rhys, Uma Thurman, Alicia Vikander, Riccardo Scamarcio
Kamera: Adriano Goldman
Musik: Rob Simonson
Laufzeit: 103 min
ab dem 3.12.2015 im Kino