„The Circle“ warnt vor den Auswüchsen der Digitalisierung. Doch die Verfilmung von Dave Eggers Bestseller findet keine Bilder für ihren Gegenstand. Christian Blumberg hat ein Lehrstück gesehen und fragt sich, inwiefern Filme digitale Sphären überhaupt abbilden können.
Immer freitags tritt Eamon Bailey vor seine von ihm sehr begeisterten Mitarbeiter, um zu erläutern, dass von der Prosperität seines IT-Konzerns nicht weniger als die globale Gesamtsituation abhängt. Das ist zumindest seine Kernbotschaft. Bailey, der im Casual Look und mit Drei-Wochen-Bart auftritt, formuliert sie viel lockerer, irgendwie CEO-iger. Das diesem superslicken Typen unterstellte Unternehmen heißt The Circle. Man kann es sich als eine Fusion von Branchenriesen wie Google, Facebook und Apple vorstellen. Es vereint, was gut ineinandergreift: Social Media Network, Hardware-Produktion und äußerst neugierige User-Anwendungen aller Art. Ein Machtzentrum, gelenkt vom Clooney-grauen Bailey, immer lässig feixend, immer einen gebrandeten Kaffeebecher in der Hand. Gespielt wird Bailey von Tom Hanks, und weil Tom Hanks ein guter Schauspieler ist, geraten seine Auftritte auch zu den Höhepunkten dieses Films, der natürlich die Adaption von Dave Eggers Bestseller gleichen Namens ist.
The Circle will ein Lehrstück sein. Eines über die Konzentration von Macht, über Entgrenzungen zwischen Wirtschaft und Politik, über Auswüchse von Social Media. Vor allem will The Circle ein großes Warnschild im Bewusstsein seines Publikums aufstellen, welches die baldige Ankunft einer totalen Überwachungsgesellschaft verkündet. James Ponsholdt (Regie und Drehbuch) setzt dafür auf donnernde Technologiekritik. Durchexerziert wird das alles am Exempel einer jungen Frau. Die heißt Mae. Verkörpert von einer offensichtlich unterforderten Emma Watson, tritt jene einen Job bei Circle an, dessen Hauptsitz dem von Apple geplanten „Apple Park“ sehr, vielleicht zu ähnlich sieht. Alle hier sind freundlich und glücklich und haben außerdem diese gewisse Start-up-Coolness. Zugleich ist der Circle aber auch eine Art Sekte. Wer hier mitspielen will, wird zwar umsorgt, muss der Firma jedoch sein komplettes Dasein schenken. Schon bald wird Mae sich einen permanenten Chip implantieren, um dem neuen Arbeitgeber ihre Gesundheitsdaten in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Später überredet Technologie-Guru Bailey sie höchstpersönlich, ihr Leben in einen kontinuierlichen Livestream zu verwandeln: "I'm going fully transparent" verspricht sie der Circle Community (die nicht nur die Mitarbeiterschaft umfasst, sondern so ziemlich jeden Menschen mit WLAN-Zugang).
Wer in der Realwelt als Normal-User schon mal ein Instagram Live-Video gestartet hat, weiß, was anschließend passiert: Nicht so viel.
Vielleicht schauen ein paar gute Freunde zu. Maes Life-Stream wird hingegen nicht von einer Blase, sondern immer gleich von Millionenschaften beobachtet. Mit Feinheiten wie Filter Bubbles und deren eigentlich anthropologischen Problemen kann sich der Film gar nicht aufhalten. Sein pädagogischer Auftrag zwingt ihn permanent zu der lauthals verkündeten Behauptung, den Nutzern von Social Media würde drohen, was seiner Protagonistin widerfährt: umfassende Überwachung. Nur Mae hört diese Drohung nicht. Dass volle Transparenz vielleicht doch nicht so demokratisch ist, wie ihr Boss Bailey jeden Freitag beteuert, sondern einer Selbstpreisgabe Orwell'schen Ausmaßes gleichkommt, wird sie erst bemerken, wenn es schließlich zur Katastrophe kommt.
Klingt etwas plump? Ist es auch. Das Fehlen von Ambivalenzen und die immerzu alarmistische Tonlage verleihen The Circle eine Holzschnitthaftigkeit, die ihn als ernsthaften Debattenbeitrag nahezu unbrauchbar macht. Fortwährend präsentiert er kulturpessimistische Binsen und Klischees, die ebenso nerven, wie sie gut gemeint sind. Als Film hadert The Circle zudem mit handwerklichen Kriterien. Für eine Produktion seiner Kragenweite ist er ausgesprochen sprunghaft erzählt, gerade im letzten Drittel hat eine Schnittschere die Konsistenz der Geschichte fast völlig zertrennt. Und das gerät einem Film, der fast ausschließlich auf Handlung und Figurenentwicklung setzt, durchaus zum Problem.
Es offenbart sich aber noch etwas ganz anderes. Nämlich die Schwierigkeit, modernen Formen der Überwachung mit filmischen Mitteln beizukommen. Solange Überwachung an Bilder und Fragen der Sichtbarkeit geknüpft war, schien ein visuelles Medium zu deren Verhandlung geradezu prädestiniert. Die Frage, wer wen oder was sieht (oder eben nicht), ist schließlich so etwas wie das natürliche Terrain des Kinos.
Rückschau auf wenigstens zwei kanonische Beispiele des Hollywood-Kinos: In Francis Ford Coppolas The Conversation verkörperte Gene Hackman einen Überwachungsexperten, der selbst abgehört wird. Auf der Suche nach der Wanze nimmt Hackman in der berühmt gewordenen Schlusssequenz sein eigenes Apartment sprichwörtlich auseinander. Sogar die Wände reißt er auf, die Suche jedoch bleibt erfolglos. Der Clou der Szene liegt darin, dass das Kinopublikum selbst zur überwachenden Instanz wird. Das gelingt über das Spiel mit medialen Dispositionen. Schließlich sind es Filmkamera und Tonangel, die in einer Filmszene präsent sind, als extradiegetische Instanzen aber außerhalb der erzählten Welt bleiben und so unmöglich von Hackman gefunden werden können. Die vierte Wand lässt sich eben nicht so einfach einreißen. Das war 1974. Gut 20 Jahre später warf Regisseur Tony Scott deutlich fortgeschrittene Überwachungstechnik ins Spiel. In Enemy Of The State gerät Will Smith ins Visier der NSA, die ihm so viele Peilsender unterjubelt, bis jeder seiner Schritte von Satellitenkameras beobachtet und fotografiert werden kann. Das Ergebnis war ein Blockbuster aus Überwachungsbildern.
Überwachung im Digitalen aber bedarf keiner Bilder mehr.
Sie verläuft über die Konglomeration von Metadaten und den sich ergebenden Datenspuren. Es braucht weder Kameras noch Menschen, die diese bedienen. Sie vollzieht sich irgendwo in einer unsichtbaren Welt der Algorithmen, in den dunklen Kammern der Blackboxes. Wie soll, wie kann ein Film dieses überhaupt adäquat bebildern? Man könnte von hier aus eine weitere Krise (des an Krisen derzeit nicht armen) Kinos skizzieren.
In The Circle wird dieses grundlegende Problem so deutlich, weil er an der Bebilderung seines Sujets scheitert. Zwar gibt es eine etwas halbherzige Augmented-Reality-Sequenz, und hin und wieder gerät die Sphäre der Social Media über Einblendungen von Chat-Sprechblasen sogar ins Bild. Doch meistens greift der Film auf klassisches Inventar zurück. Das beginnt mit einem stets wachsenden Berg von Bildschirmen auf Maes Schreibtisch. Es führt sich in unfreiwillig komischen Bildern von Menschen fort, die mit ihren Smart Devices filmend wie Zombies durch die Gegend taumeln. Und während der IT-Konzern zunächst als Super-Datensammelstelle skizziert wird, ist er plötzlich nur noch damit beschäftigt, die Welt mit kleinen Kameras zu versehen, die Bilder direkt ans eigene Network liefern. Sie haben ausgerechnet Größe und Form eines menschlichen Auges (und man kann sie zudem problemlos an eine Wand werfen, wo sie dann haften bleiben).
In der Mitte des Films erleidet Mae während eines Kajak-Ausflugs Schiffbruch. Ihre Rettung ist die Technologie des Circle. Aber nicht, weil sie zu orten ist und irgendeine Unwetter-App sich mit ihrem Bewegungsprofil kurzgeschlossen und Alarm geschlagen hätte, sondern weil der Konzern offensichtlich an jeder Boje der San Francisco Bay eine seiner Augapfel-Kameras installiert hat – und Maes Unfall gleich als „Truman Show“-artige Liveübertragung an seine Kundschaft streamt. Der Film bemüht in solchen Szenen ein längst vergangenes skopisches Regime, für welches eine Dominanz des Sehens ebenso grundlegend war wie die Annahme, dass eben dieses Sehen einen dauernden Wissenserwerb gewährleistet. Anstatt Mae als einen Körper in einem Gestrüpp aus Daten zu inszenieren, konzentriert sich The Circle auf die guten alten Machttechnologien Blick und Kamera. Das ist zwar eine legitime Strategie, aber eine, die gerade kein realistisches Szenario liefert.
So schießt The Circle letztlich ins Leere. Er wird genau jenem Punkt nicht gerecht, vor dem er seine Zuschauer eigentlich warnen will: nämlich der Transparenz, die sich aus den offen liegenden Datenspuren des digitalen Lebens ergibt.
The Circle
USA 2017
Regie/Script: James Ponsholdt
Darsteller: Emma Watson, Tom Hanks, Karen Gilian
Laufzeit: 110 Minuten
ab dem 07.09.2017 im Kino