My Least Favorite LifeFilmgespräch: Die ersten 4 Folgen von „True Detective“ Staffel 2

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Alle Fotos: Sky

Halbzeit bei True Detective Staffel 2. Unsere Autoren Tim Schenkl und Daniel Moersener haben sich nach den ersten vier neuen Folgen der HBO-Kultserie zusammengesetzt und sich darüber unterhalten, was ihnen gefallen hat und wo sie noch Steigerungspotential sehen. Spoiler Alert!

HBO's True Detective zählt zu den so genannten Anthologie Serien, die sich dadurch auszeichnen, dass nicht wie sonst üblich eine Geschichte über mehrere Staffeln erzählt wird, sondern jede Staffel komplett neue Charaktere und Geschichten hat und nur gewisse Motive und Thematiken übernommen werden. Während in Staffel 1 die beiden Polizei-Beamten Rustin Cohle (Matthew McConaughey) und Martin Hart (Woody Harrelson) in den Sümpfen Louisianas einem Serien-Mörder auf der Spur waren, machen sich in Staffel 2 mit Ray Velcoro (Colin Farrell), Ani Bezzerides (Rachel McAdams) und Paul Woodrugh (Taylor Kitsch) gleich drei Staatsdiener daran, den Mord an dem City-Manager der fiktionalen Kleinstadt Vinci Ben Caspere aufzuklären. Vinci hat nur ca. 90 Einwohner und gehört zum Großraum Los Angeles. Die Kleinstadt ist Mittelpunkt eines Korruptionsskandals, der unter anderem im Zusammenhang mit einem geplanten Eisenbahnprojekt steht. Das urbane Setting der zweiten Staffel verstärkt den Neo-Noir Charakter der Serie noch einmal deutlich, darüber hinaus scheint Showrunner Nic Pizzolatto etwas krampfhaft zu versuchen, die Stärken der ersten Staffel zu übernehmen und gleichzeitig auf die Kritikerstimmen einzugehen. Trotzdem ist True Detective natürlich wieder absolutes Must-See-TV und bietet jede Menge Gesprächsstoff.

Tim Schenkl: Wir haben uns ja heute getroffen, um über die zweite Staffel von True Detective zu sprechen. Zum Einstieg trotzdem die Frage: Was war für dich das Besondere an Staffel 1?

Daniel Moersener: Ich muss gestehen, dass ich bis auf ein paar Ausnahmen kein großer Freund dieser neuen epischen TV-Serien bin. True Detective 1 war für mich dann doch insofern besonders, als dass dort das Tempo sehr weit zurückgenommen wurde, es keine unwichtigen Nebencharaktere und -stränge gab, keine immer gleichen Cliffhanger, die man aus Breaking Bad, Game of Thrones und wie sie alle heißen, schon zu genüge kennt. Hier konnte man zwei ungleiche, aber doch ähnliche Männer alter Schule beim Lügen, Scheitern und Altern sehen.

Tim: Alte Schule finde ich eine passende Beschreibung für die erste Staffel, die meiner Meinung nach etwas sehr Klassisches hatte, was ich persönlich ausgesprochen mag. Cary Fukunagas Regiestil erinnert ein wenig an Clint Eastwood oder ähnliche Old-School-Regisseure. Dazu kam noch, dass Staffel 1 auf 35 mm Film gedreht wurde. Das ist im Fernsehen heutzutage außergewöhnlich und wird in Staffel 2 auch nicht mehr weitergeführt. Diesmal wurden digitale Kameras verwendet.

Daniel: Ich hatte das Gefühl, dass Staffel 1 ein Serienprodukt war, das sich konsequent gegen sein Serien-Dasein gesträubt hat — in fast allen Aspekten. Ich fand es sehr charmant, dass True Detective 1 mit seinen 8 Folgen nichts unnötig aufgebauscht hat und sich sozusagen ganz klar zu seiner Endlichkeit bekannt hat.

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Ani Bezzerides (Rachel McAdams) und Ray Velcoro (Colin Farrell)

Weltschmerz und Brechtsche Bar-Szenen

Tim: Korrigiere mich, sollte ich mich irren, aber Staffel 1 war ja auch die erste Serie, in der ein bekannter Kino-Regisseur über eine komplette Staffel mit etablierten Hollywood-Stars an einem Serienprojekt gearbeitet hat. Darüber hinaus gab es mit Nic Pizzolatto ja auch nur einen Autor. Bei Staffel 2 rückt man von diesem Prinzip ab, es gibt nun mehrere Regisseure. Ich finde außerdem, dass die Serie in ästhetischer Hinsicht von dem sehr zurückhaltenden Stil abweicht und jetzt etwas stärker an konventionelle TV-Produktionen erinnert — obwohl auch dieses Mal wieder in Sachen Kamera und Ausstattung ein sehr hohes Niveau erreicht wird.

Daniel: Man könnte meinen, dass die Macher bei Staffel 2 versuchen, nicht haargenau wieder in dieselbe Kerbe zu schlagen wie davor, schon allein durch den Shift von Louisiana nach L.A.: Statt um archaische Bayou-Mythen geht es jetzt um die Mythen des modernen Alltags.

Tim: Ein Vorwurf der Kritiker an die zweite Staffel ist aber gerade, dass man sich in der Figurengestaltung viel zu sehr an McConaugheys Darstellung des Rust Cohle orientiert habe und dass man als Zuschauer ständig das Gefühl habe, Vaughn, Farrell und McAdams seien vor allem darum bemüht, McConaughey möglichst gut zu imitieren.

Daniel: Ich finde, Staffel 2 nimmt da schon einen anderen Kurs auf, es fühlt sich zumindest niemand mehr dazu berufen, den Nietzsche raushängen zu lassen und über Märsche in den Weltuntergang zu schwadronieren. Das wäre auch einer meiner wenigen Kritikpunkte an Staffel 1. In Staffel 2 scheinen alle recht geradeheraus kaputt und keine fatalistischen Grübler zu sein. McConaughey ist super, aber seine Dialoge wurden oft auch von Harrelson gerettet, der ihm bei zuviel Weltuntergangsstimmung dazwischen fuhr und ihn ermahnte, mit dem Gelaber aufzuhören.

Tim: Wenn ich an Staffel 1 zurückdenke, fallen mir bis auf Martin Harts Frau zwar auch keine „normalen“ Charaktere ein, aber jetzt wird schon sehr dick aufgetragen, was ich ausgesprochen nervig finde. Alle saufen wie die Löcher, haben Traumata-geprägte Beziehungen meist sogar zu beiden Elternteilen und schleppen dann noch Probleme wie Sorgerechts-Krieg, sexuelle Störungen und gescheiterte Ehen mit sich herum.

Daniel: Da gebe ich dir absolut Recht, das ist eindeutig zuviel des Guten. Auch diese Brechtschen Bar-Szenen, in denen eine traurige Gitarrenspielerin ihren Weltschmerz-Folk heraus haucht: “This is my least favorite Life“. Autsch!

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Ray Woodrugh (Taylor Kitsch)

Tim: Zwei Charaktere sind ja mehr oder weniger akut selbstmordgefährdet. Velcoro wird von seinem Arzt in einer Szene direkt darauf angesprochen, ob er überhaupt noch leben wolle, und Woodrugh rast auf den Motorrad fast in den Tod, bevor er die Leiche von Caspere findet. Taylor Kitsch gefällt mir von dem Ensemble persönlich am besten, ich finde, er spielt die Rolle des verkappten Homosexuellen Paul Woodrugh toll. Er galt ja lange Zeit als der kommende Superstar in Hollywood, bevor er mit John Carter und Battleship an zwei Flops beteiligt war. Allerdings zeigt sich an seiner Figur auch eine Schwäche der zweiten Staffel. Der Zuschauer wird permanent überfordert, weil er so viele Hinweise dechiffrieren muss. Gleichzeitig wird so subtil/ungeschickt erzählt, dass man Einiges einfach kaum verstehen kann. Oder hast Du auch nur irgendwie erahnt, dass Woodrugh schwul sein könnte? Ich habe mir alle Szenen mit ihm und seinem vermeintlichen Lover mehrmals angeguckt und war mir am Ende immer noch nicht 100% sicher, wie das alles zu verstehen ist. Gut, er nimmt in einer frühen Szene mit seiner Freundin Viagra, aber schließlich ist er ja auch stark versehrt, wie man an seinem vernarbten Körper sieht.

Daniel: Nein, das hat mich auch absolut überrascht. Ob es nun seine Narben sind, seine Militärvergangenheit oder auch die dunkle Familiengeschichte, die Serie schafft es — gelinde gesagt — sehr gut, den Zuschauer zu verwirren, was Woodrugh anbelangt. Persönlich frage ich mich — und da müssen wir die nächsten Folgen abwarten — inwiefern hier tatsächlich Bilder liquide und zweideutig werden sollen oder ob nicht zum Schluss doch die große Entschlüsselung und damit auch Entzauberung folgt.
Aber zurück zu den Figuren. Mir gefällt Vince Vaughn als zwischen legalem Business und Codes der Unterwelt pendelnder Gangsterboss sehr gut, genauso Colin Farrell als geschiedener Vater, der mit einem Schlagring dafür sorgt, dass sein Sohn in der Schule nicht mehr gemobbt wird. Auch wenn Velcoro nicht der erste melancholische Gunman ist, den Farrell in seiner Karriere spielt und Vince Vaughn schon in Starsky & Hutch ein kalifornischer Drogenzar war, hier dürfen beide richtig fies werden.

Tim: Ich finde Vince Vaughn als Gangsterboss auch überraschend gut. Dieses Anti-Type-Casting gefällt mir, obwohl ich vorher meine Bedenken hatte. Farrell überzeugt mich dagegen weniger, die Sünden, die er auf sich lädt, — z.B. wenn er in dieser tollen Szene vor der Schule seinen eigenen Sohn eine Fat Pussy nennt oder natürlich seine Racheaktion an dem Vergewaltiger seiner Ex-Frau — vertragen sich für mich nicht mit seinem durch den Bart und den ständigen melancholischen Blick entstehenden relativ knuffigen Look.
Was Staffel 1 immer vorgeworfen wurde ist, dass Cary Fukunaga und Nic Pizzolatto nichts zu den weiblichen Protagonisten einfiele und dass sie diese allein auf die Rolle des Sexualpartners bzw. des Hausmuttchens reduzieren. In Staffel 2 gibt es jetzt Ani Bezzerides, die ist in vielerlei Hinsicht schlimmer als der schlimmste Mann, was ja eigentlich in Ordnung, aber in diesem Zusammenhang irgendwie auch witzig ist. Wie findest Du ihre Rolle, sie trägt ja fast ausschließlich Züge, die im Film sonst meist männlichen Protagonisten zugeschrieben werden.

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Ein Haufen Weißer mit Beziehungsstress

Daniel: Ich konnte diese Vorwürfe an Staffel 1 nie nachvollziehen. True Detective war nur in dem Maße reaktionär, wie die abgeschiedenen Landstriche der Bayous es nunmal sind. Insgesamt ist das Team der Staffel 2 ja sehr an den geschlechterpolitischen Trends der Zeit orientiert. Allerdings erscheint mir Ani immer zu vordergründig tough, wie sie von Ausweidung und Messern im Stiefel palavert und quasi als weibliche Killermaschine gegen die Vorwürfe der Misogynie positioniert wird. Ich möchte hier noch einmal positiv an die von Sonja Sohn gespielte Kima Greggs in The Wire erinnern, die tough war und dazu die Jungs in ihrem Team ganz mühelos und humorvoll im Griff hatte.
Auch merkwürdig finde ich, wie bei Staffel 2 fast alle Nebenfiguren mit Nicht-Weißen besetzt sind, das Ermittlerteam aber selber ausnahmslos weiß bleibt und deren beziehungstechnische Probleme den größten Teil der Handlung einnehmen. Die mexikanischen Arbeiter, die vor den Chemie- und Stahlwerken ihre letzte Kippe vor Schichtbeginn rauchen, werden von der Kamera und den Protagonisten ebenso selten wahrgenommen wie die Wohnviertel der verschiedenen Ethnien in L.A.. Auch durch die Obdachlosenzeltstadt, durch die Velcoro und Ani einen Verdächtigen verfolgen, rauscht geradezu am Objektiv der Kamera vorbei.

Tim: Mir ist aufgefallen, dass in den ersten beiden Folgen mehrere Asiaten mitspielen, jedoch ebenfalls nicht in entscheidenden Rollen, sondern eher im Hintergrund. Ich bin da auch ein wenig über mich selbst erschrocken, dass ich sowas überhaupt bemerke, es sollte doch eigentlich normal sein, aber in amerikanischen Serien ist dies halt immer noch eine absolute Ausnahme.
Ich würde gerne noch mal zu Ani zurückkommen. Sie ist für mich exemplarisch für ein weiteres Problem von Staffel 2: Die Charaktere werden einfach total mit persönlichen Problemen überladen, und so wirkt die Story dann am Ende doch arg konstruiert und somit auch unglaubwürdig. Die arme Frau ist nicht nur bereits geschieden, scheint mit ihren Forderungen im Bett die Männerwelt einzuschüchtern und säuft regelmäßig so lange, bis sie des Lokals verwiesen wird, ihre Schwester arbeitet auch noch im Porno-Business, ihre Mutter hat Selbstmord begangen, und ihr Vater ist der Kopf einer zwielichtigen Hippie-Sekte. I mean, come on!
Wie fällt denn dein persönliches Fazit bisher aus? Folge 4 endete ja genau wie in der ersten Staffel, in der es diese grandiose Plansequenz gibt, mit einem großen Knall. Ani, Ray und John geraten in eine Schießerei, die fast an die Shootouts in den Filmen von Michael Mann (Heat, Miami Vice) herankommt. Nach Folge 4 ging es in Staffel 1 ja dann eher bergab. Was glaubst du, kann sich Staffel 2 noch steigern?

Daniel: Ich bleibe bisher wohl ein Verfechter von Staffel 1, bin aber wirklich gespannt, welche Richtung Staffel 2 jetzt einschlägt. Falls sie sich am Ende nicht dazu hinreißen lässt, einen Masterplan hervorzuzaubern, der alle Rätsel und Verwirrungen lösen und auf den Boden der Tatsachen zurückholen möchte, könnte trotzdem etwas richtig Gutes daraus werden: Ein Haufen Weißer mit Beziehungsstress, der konsequent am kalifornischen Verfall vorbeisieht und dessen Ermittlungen zum Schluss womöglich im Nichts verlaufen.

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Frank Semyon (Vince Vaughn)

Tim: Allgemein scheint der Tenor ja bisher eher negativ auszufallen, ich habe bereits einige enttäuschte Stimmen vernommen, führe dies jedoch auch ein wenig darauf zurück, dass viele Zuschauer von der Komplexität der Erzählung einfach ein wenig überfordert sind. Ich habe jetzt alle Folgen mindesten zweimal gesehen und habe schon das Gefühl, dass hier kohärent erzählt wird. Die Staffel ist einfach prädestiniert für das Binge-Watching, anders vergisst man einfach zu viele Namen und kleine Details, die später dann für das Verständnis des großen Ganzen entscheidend sind. Ich bin bei der Zweitsichtung richtig gut in die Staffel hereingekommen und habe viel Spass daran gehabt, mich selbst ein bisschen detektivisch zu betätigen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Pizzolatto noch Einiges für uns in petto hat und die zweite Staffel am Ende vielleicht sogar besser wird als die erste. Wir werden sehen und alles Weitere dann nach den nächsten vier Folgen besprechen.

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