Der Videokünstler Omer Fast hat einen Kinofilm gedreht: „Remainder“ ist eine Art Kunst-Mystery-Mindfuck-Film, der sich vieles vornimmt, aber am Format des Kinos scheitert.
Etwas Großes fällt vom Himmel und einem jungen Mann auf den Kopf. Der Mann heißt Tom, doch an vielmehr als seinen Namen erinnert er sich nach diesem seltsamen Unfall nicht. Das ist die Ausgangssituation von Remainder, der auf dem gleichnamigen Roman von Tom McCarthy basiert. Adaptiert hat ihn der als Videokünstler bekannte Omer Fast – in seinem Kernmetier wird Fast als große Nummer gehandelt. Remainder ist seine erste Arbeit fürs Kino, also einem Format, in dem er sich ebenso neu zu orientieren hat wie sein von retrograder Amnesie geplagter Protagonist Tom im eigenen Leben. Dem wird ein kleines Vermögen angeboten, sofern er nur Stillschweigen über die mysteriösen Geschehnisse notariell versichert. Tom nimmt an und ist in Folge ein physisch wie psychisch gezeichneter, aber eben sehr vermögender Mann. Doch dann kommen die Flashbacks. Sequenzen aus der eigenen, nicht länger zugänglichen Erinnerung. Sie werden zur Plage, weshalb Tom beschließt, sein Geld einzusetzen, um groß angelegte Reenactments der eigenen Erinnerungsfetzen zu arrangieren, in der Hoffnung, diese würden den Zugriff auf die eigene Festplatte wieder ermöglichen.
Keine Erinnerungen, ein nicht bestimmbares Objekt, das aus dem Himmel stürzt: Natürlich lässt Omer Fast sein Publikum ebenso im Dunkeln tappen wie die Figur Tom selbst, und es liegt nicht verkehrt, wer in einem solchen Setting Parallelen zum Mikrogenre des Mindfuck-Films erkennt, wie ihn etwa Christopher Nolan mit Filmen wie Memento oder Inception bis aufs Blockbuster-Niveau gestemmt hat. Die Unterschiede zwischen einem wie Nolan und Fast sind freilich enorm: Fasts Remainder legt es keine Sekunde darauf an, seine ZuschauerInnen vermittels graduell steigendem Erkenntnisgewinn in einen narrativen Sog zu ziehen, auf den man im System Hollywood fast naturgemäß angewiesen wäre. Die meisten der sowieso nur spärlich gelegten Hinweise und Fährten laufen stets ins Leere, und so bleibt der Film fast gänzlich verrätselt. Die einzige Gewissheit besteht hier von Beginn an darin, dass es Gewissheit nicht geben wird, dass eine Auflösung der Geschehnisse nicht zu erwarten steht. Das ist insofern zu begrüßen, als man sich wiederum sicher sein kann, hier nicht durch volle Konzentrationsfokussierung auf etwaige Handlungswendungen um den Genuss jener Aspekte des Films gebracht zu werden, die sich abseits des Drehbuchs entfalten.
##Banal-allegorische Filmgestaltung
Omer Fast legt einen Film vor, der sich dramaturgischen Kinostandards offensiv verweigert, die sich so eröffnenden Möglichkeitsräume aber mit Klischees vollrümpelt.
Doch blöderweise gibt es in diesem Abseits gar nicht so viel zu bestaunen. Obwohl sich die Kameraarbeit bemüht, mittels zahlloser Nahaufnahmen und taktilem Abtasten von Oberflächendetails ein hohes Intensitätslevel zu installieren, lässt einen das stereotype Inventar des Films doch einigermaßen erschüttert zurück. Toms Resterinnerungen etwa scheinen motivisch einer psychoanalytischen Mottenkiste entliehen, die die Filmgeschichte eigentlich schon in den 80er-Jahren wegen übermäßiger Abnutzungserscheinungen in den hauseigenen Keller verfrachtet hatte: Immer wieder erscheinen Tom – bevorzugt ausgerechnet beim Blick in den Spiegel – entweder eine unheimliche Greisin oder aber ein kleiner Junge, der Tom bedeutungsvoll eine Hand entgegenstreckt. Wobei es visuell offenbar unerlässlich ist, dass dabei das Gesicht des Jungen immer halb verdeckt oder wenigstens leicht unscharf bleibt, damit er auch ja als Imago identifizierbar bleibt. Und je länger der ganz, ganz bleich geschminkte Tom durch diesen sowieso hochgradig farbentsättigten Film humpelt, desto häufiger stellen sich denn auch Momente der Frustration über solch banal-allegorische Filmgestaltung ein: Tom geht es schlecht, bebildern wir es doch mit Grautönen und ordentlich Blaustich! Und dazu lässt Schneider TM für den Score seine Synthesizer die untergründigsten Patterns spielen. Deep! Ja, es ist unfair, Remainder seine einfallslose Mystery-Oberfläche vorzuwerfen, hätte man doch bloß nicht ständig das Gefühl, er hielte sie selbst für so wahnsinnig bedeutend. Die Crux liegt wohl auch eher darin, dass Omer Fast einen Film vorlegt, der sich dramaturgischen Kinostandards offensiv verweigert, die sich so eröffnenden Möglichkeitsräume aber mit lauter Klischees vollrümpelt.
Tatsächlich gelingt Omer Fast auch viel, so implementiert er – durchaus subtil – realpolitische Beobachtungen, etwa zu Mechanismen der Gentrifizierung: Tom lässt ein komplettes Mietshaus entmieten, weil er es als Kulisse für die Performance seiner bruchstückhaften Erinnerungen benötigt. Statt von Mietern wird es nun von engagierten Statisten bevölkert, die darin Toms Gedächtnis aufführen – das Projekt beginnt sozialverträglichen Standards zu entgleiten. Der moralisierende Unterton, der sich durch solche Szenen zunächst ganz leise in den Film schleicht, wird jedoch zunehmend lauter. Toms unbedingter Wille, seine Erinnerungsbilder in aktual wahrnehmbare Realität zu transformieren, wird am Ende anderer Menschen Leben kosten.
Nun hätte sich Omer Fasts Mindfuck-Variation zwar den Verzicht auf jegliche Moral leisten können (ein Komfort einer „Jenseits von Arthouse“-Produktion, von dem Christopher Nolan wohl stets nur träumen konnte), aber immerhin bekommt Remainder auf diese Weise noch einen Showdown, der natürlich kein klassischer Showdown ist, sondern eher eine Reflexion des Reenactments als künstlerische Praxis. Allerspätestens hier wird dann offensichtlich, worin die eigentliche Problematik des Films besteht: Die Übertragungsmöglichkeit von Bildern, die ihren scheinbar angestammten Platz in Galerieräumen und Ausstellungskontexten verlassen und ins Kino drängen. Eine Bewegung, die eigentlich Grund zum Jubeln gäbe, hier aber einfach nicht recht aufgehen will: Das erzählerische Spiel mit Realitätsebenen wird letztlich von einer Realität der Dispositive eingeholt.
Remainder
Großbritannien, Deutschland 2015
Regie: Omer Fast
Darsteller: Tom Sturridge, Cush Jumo, Ed Speleers
Laufzeit: 103 Minuten
im Kino